Flüchtlingspolitik:Merkel zeigt Seehofer, wer der Ober und wer der Unter ist

Coalition Partners Agree Over New Government Policies

Deutlicher kann man die Machtverhältnisse wohl nicht zurechtrücken: Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU).

(Foto: Getty Images)

Erstaunlich nonchalant reagiert die Kanzlerin in ihrem Brief auf die Drohungen Seehofers mit einer Verfassungsklage. Der destruktive Konflikt der beiden in der Flüchtlingspolitik wird weitergehen - wovon auch die AfD profitiert.

Kommentar von Robert Roßmann

Deutlicher kann man die Machtverhältnisse wohl nicht zurechtrücken. Volle drei Monate hat sich Angela Merkel Zeit gelassen, um den Drohbrief von Horst Seehofer zu beantworten. Der Inhalt des Schreibens ist trotzdem dürftig. Die Kanzlerin geht auf die Argumente des bayerischen Ministerpräsidenten nur ziemlich allgemein ein. Merkel lässt Seehofer kühl abblitzen. Sie zeigt ihm, wer in diesem Land der Ober und wer der Unter ist.

Einen Kurswechsel der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik hatte niemand erwartet, aber die Nonchalance im Umgang mit Seehofer ist doch erstaunlich. Beschweren dürfen sich die Bayern darüber aber nicht. Die Drohung der bayerischen Staatsregierung mit einer Verfassungsklage gegen eine Bundesregierung, an der die CSU selbst beteiligt ist, war kein stilbildender Zug.

Am Dienstag bemühten sich zwar beide Seiten, den Konflikt öffentlich nicht noch weiter zu befeuern. Angesichts der aktuell niedrigen Flüchtlingszahlen glaubt auch die CSU nicht, dass mit Attacken auf die Schwesterpartei derzeit etwas zu gewinnen ist. Doch befriedet wird der Konflikt noch lange nicht sein. Das liegt auch an den unterschiedlichen Rollen von Seehofer und Merkel.

Seehofer reicht es, wenn die CSU ihre Macht behält

Seehofers Interesse gilt vor allem den Umfragewerten seiner CSU in Bayern. Die Partei muss die Alleinregierung im Freistaat verteidigen, um ihre Sonderrolle im Bund zu behalten. Das gelingt Seehofer bisher ziemlich gut. Trotz des Einbruchs der Union in Deutschland sagen die Auguren der CSU in Bayern immer noch eine absolute Mehrheit voraus. Gleichzeitig schneidet die AfD schlechter ab als in vielen anderen Bundesländern.

Es ist also kein Wunder, dass sich Seehofer in seinem Kurs bestätigt fühlt. Er muss sich ja anders als Merkel weder um den Zusammenhalt Europas, noch um eine nachhaltige Lösung des Flüchtlingszuzugs nach Deutschland kümmern. Dem bayerischen Ministerpräsidenten reicht es, wenn die CSU ihre Macht behält.

Merkel kann ihre Macht im Bund dagegen nur dann verteidigen, wenn sie den Flüchtlingszuzug tatsächlich in geordnete Bahnen lenkt. Dafür genügen - anders als bei Seehofer - keine Forderungskapriolen. Merkel wird als zuständige Kanzlerin nicht an ihrer Rhetorik, sondern an den Ergebnissen gemessen. Außerdem reicht es Merkel schon, wenn gegen ihre CDU keine Regierung gebildet werden kann - dafür genügen sogar die 31 bis 35 Prozent, bei denen die Wahlforscher die Union derzeit sehen.

Schon wegen dieser unterschiedlichen Ziele wird der Streit zwischen Seehofer und Merkel weitergehen. Außerdem ist beiden Parteichefs eine an Sturheit grenzende Beharrlichkeit nicht fremd. Und dann geht es ja noch um den Gesichtsverlust. Seehofer kann in dem Streit nicht nachgeben, ohne in München als Bettvorleger der Kanzlerin gescholten zu werden - ihm sitzt Markus Söder im Nacken. Und Merkel, die sich in Hannover gerade wieder als Weltpolitikerin inszeniert hat, kann nicht vor einem Regionalpolitiker zurückziehen.

Trotz aller Bemühungen, ihren Streit zu begrenzen, werden Seehofer und Merkel also noch lange keinen Kompromiss finden. Das ist nicht nur ein Problem für die Union, sondern auch eines für ganz Deutschland. Denn der destruktive Streit der beiden Schwesterparteien ist auch ein Konjunkturprogramm für die AfD.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: