Film "Nervöse Republik":"Ich möchte mit Journalisten gar nicht gut zusammenarbeiten"

  • Stephan Lamby stellt in Berlin seinen Film "Nervöse Republik - ein Jahr Deutschland vor".
  • Der Film gibt Laien Einblick in die Arbeit unterschiedlicher Medien und den bundespolitischen Betrieb.
  • Bei der anschließenden Podiumsdiskussion arbeiten sich die Beteiligten jedoch vor allem an der Partei AfD ab.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Anne Will kennen Fernsehzuschauer vor allem als Fragestellerin in der eigenen TV-Sendung. An diesem Abend im Kino Babylon hat sie die Moderationskarten in der Hand. Und doch fällt sie für wenige Sekunden aus der Rolle. Der Grund ist AfD-Chefin Frauke Petry, die den regelmäßigen Ausschluss einzelner Medienvertreter von Parteitagen rechtfertigt. Sie würden schlecht über die AfD berichten, so die Begründung. "Sie wollen nicht, dass jemand ihre Partei als 'braun' darstellt, dann lassen sie alle Journalisten zu", sagt Will.

Es ist einer von vielen hitzigen Momenten während einer Podiumsdiskussion im Berliner Kino Babylon. Anlass ist die Vorführung des Dokumentarfilms "Nervöse Republik - ein Jahr Deutschland", der am 19. April im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt wird. Filmautor Stephan Lamby hat für die Dokumentation ein Jahr lang Politiker und Journalisten begleitet. Heraus gekommen ist ein Film, den man sich wohl mehrmals anschauen muss, weil er so viele Themen abdeckt: Die Rituale der politischen Berichterstattung, Vertrauensverlust, das Selbstverständnis von Journalisten und Politikern in Zeiten der "Lügenpresse"-"Volksverräter"-Rhetorik, der Umgang mit Anfeindungen.

Der Innenmister futtert Haribo

Lamby springt im irren Tempo durch das Jahr 2016: Tortenangriff auf Sahra Wagenknecht, Terroranschlag in Würzburg, Terroranschlag in Ansbach, Hackerangriff auf den Bundestag, Donald Trump, Terroranschlag in Berlin, dann Anfang des Jahres die Nominierung von Martin Schulz als SPD-Parteichef und Kanzlerkandidat. Massenhaft Bilder und Schlagzeilen ziehen vorüber. Der Film imitiert die hohe Taktung, die im politischen Betrieb und den Redaktionen herrscht. Die Abgeordneten sitzen häufig im Auto, auf dem Weg zum nächsten Termin. Innenminister de Maizière futtert dabei Haribo.

Der Film gibt Laien Einblick in die Arbeit unterschiedlicher Medien. Er zeigt, dass bei Spiegel Online nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel die Zeilen für Eilmeldungen diktiert, sondern ein Redakteur. Lamby und sein Kamerateam begleiten die Redaktion durch die Brexit-Abstimmung. Ein Redakteur kommt zu Wort, der völlig optimistisch ist, dass die Briten Teil der EU bleiben. Die Kamera läuft, als schließlich die Ergebnisse der Abstimmung einlaufen. Schockierte Gesichter vor den Bildschirmen angesichts des Irrtums.

Auch wenn der Film Journalisten und Politiker vor allem als Antagonisten zeigt, wirkt die Ähnlichkeit zwischen deren Alltag manchmal frappierend. Bei der Bild-Zeitung diskutiert die Redaktion das Thema des Tages. Bei der Präsidiumssitzung der SPD lässt sich Katarina Barley einen Überblick über die Berichterstattung der Medien geben. Die SPD analysiert aktuelle Umfrageergebnisse. Julian Reichelt, damals Chefredakteur von Bild.de, zeigt auf einem Computer-Bildschirm, welche Artikel auf der Internetseite am meisten geklickt werden.

Die Politiker nutzen die Diskussion, um über die Medien zu jammern

Die Podiumsdiskussion bringt viele Protagonisten des Films schließlich zusammen. Moderatorin Anne Will sitzt zwischen SPD-Generalsekretärin Barley, CDU-Generalsekretär Peter Tauber, AfD-Chefin Frauke Petry, der Fraktionschefin der Linken Sahra Wagenknecht. Stephan Lamby ist gekommen sowie der Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer und Julian Reichelt, heute Vorsitzender der Bild-Chefredaktionen.

Lamby hatte vor der Diskussion die Hoffnung geäußert, dass alle Beteiligten nicht übereinander sprechen, sondern miteinander. Aber vor allem die Politiker nutzen die Zeit, um über angebliche Ungerechtigkeiten seitens der Medien zu jammern. Petry beschwert sich, dass über ihre Partei nur negativ berichtet würde. Sahra Wagenknecht ist genervt, weil zu viel über die AfD berichtet wird und zu wenig über die Linken. Barley macht Journalisten mit dafür verantwortlich, dass Politiker die Menschen nicht mehr erreichen würden: "Eine Zeit lang drehten sich die Themen immer nur um AfD, Flüchtlinge und Umfragen." Da sei kein Platz mehr für Sachthemen gewesen, die Leute hätten gar nicht mitbekommen, woran die Partei gearbeitet hätte, sagt Barley.

Julian Reichelt muss sich zu einem Zitat seines Vorgängers Kai Diekmann äußern. Der hatte im Film gesagt, er sei als Journalist auch Aktivist und müsse menschenverachtende und antisemitische Tendenzen bekämpfen, wie es sie in der AfD gebe. Reichelt stimmt dem mehr oder weniger zu. Zwischen ihm und Petry entspinnt sich ein minutenlanger Schlagabtausch darüber, ob die AfD solche Tendenzen aufweist. Reichelt liest den Beitrag eines AfD-Politikers vor, der muslimische Jugendliche als "Gesindel" bezeichnet.

Peter Tauber platzt schließlich dazwischen, wirft Petry ein fragwürdiges Medienverständnis vor: "Ich möchte mit Journalisten gar nicht gut zusammenarbeiten", sagt Tauber. Er führe auch Hintergrundgespräche mit Journalisten, obwohl die negativ über die CDU berichtet hätten. "Das muss man aushalten - so ist das Spiel".

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