Bundespräsidentenwahl:Gauck-Nachfolge - die Zeichen stehen auf Kampfabstimmung

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Bundespräsident Joachim Gauck: Wer zieht nach ihm ins Schloss Bellevue? (Foto: dpa)
  • Am 12. Februar, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, wird in der Bundesversammlung ein neues Staatsoberhaupt bestimmt.
  • Eine klare Mehrheit haben nur zwei Konstellationen: Union/SPD und Union/Grüne; die zwei noch anstehenden Landtagswahlen werden daran nichts ändern.
  • Weder Union noch SPD wollen ein großkoalitionäres Signal; also wird es keinen gemeinsamen Kandidaten geben.

Von Heribert Prantl, München

Könnte man den neuen Bundespräsidenten malen: Es gäbe ihn schon. Es wäre einer, der politisch ist, aber über den Parteien steht; einer, der Erfahrung hat mit dem Politikbetrieb, aber dort nicht glatt geschliffen wurde; einer, der dem Volk aufs Maul schaut, aber nicht nach dem Mund redet; einer, der eine gespaltene Gesellschaft zusammenführt und zusammenhält; einer, der den Menschen in Terrorzeiten Halt geben kann; einer, der europäisch denkt und über Flüchtlinge und Integration so reden kann, dass man innehält; einer, den die Altbürger schätzen und die Neubürger respektieren; und der in einer Welt, in der die Putins, Erdoğans und Trumps die Nachrichten bestimmen, für die Grundwerte steht, die den liberalen Verfassungsstaat ausmachen. Im Idealfall wäre es eine Frau, weil es bisher noch keinen weiblichen Bundespräsidenten gegeben hat.

Das Bild, das so in den Parteien gemalt wird, changiert zwischen Martin Luther, Richard von Weizsäcker und Mutter Teresa; ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte. Aber die Bundesversammlung ist eine Wahlversammlung, keine Malversammlung; sie muss wählen, nicht wünschen; die Leuchtgestalt, die man sich wünscht, leuchtet nicht; sie ist gar nicht zu sehen; und auch so liebenswürdige Wünsche wie der, dass Persönlichkeiten wie Hans-Jochen Vogel oder Rita Süssmuth noch einmal jünger sein möchten, gehen nicht in Erfüllung. Es ist bezeichnend, dass die Personen, die in Gesprächen mit Parteistrategen als Erste genannt werden, älter sind als Gauck.

Die Mikado-Strategie: Nicht zu früh bewegen

Das hat mit einer Mikado-Strategie zu tun: nicht zu früh bewegen, nicht zu früh echte Namen nennen, die jeweils anderen Parteien kommen lassen. Also wartet Sigmar Gabriel darauf, dass Angela Merkel den ersten Zug macht; die Grünen warten darauf, dass die SPD zugreift oder die CDU womöglich Winfried Kretschmann für wählbar hält - mit dem sich Merkel in eineinhalb Wochen trifft; die Linken warten auf die Gestalt, die ein "Breilibü", ein breites linkes Bündnis aus SPD, Grünen und Linken möglich macht. Damit sind die Parteien, auf die es ankommt, schon genannt; die anderen, FDP, Piraten und AfD, spielen Zünglein an der Waage, falls es zur Kampfabstimmung im dritten Wahlgang kommt.

Ein halbes Jahr vor dem magischen Datum, dem 12. Februar, herrscht das große Raunen, auch wenn viele Rauner noch in Ferien sind. An den Telefonen der CDU wägt man Namen wie den von Finanzminister Wolfgang Schäuble ("alt"), der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ("in der Partei nicht so beliebt"), Bundestagspräsident Norbert Lammert ("selbstbewusst"). Bei der SPD fragt man sich, ob nicht doch Frank-Walter Steinmeier der Richtige wäre; und ob man es, weil Merkel da nicht mitmacht, mit dem Napoleon-Motto versuchen soll: Man begibt sich in den Kampf, dann wird man sehen.

So war das auch in der berühmten Bundesversammlung 1969: Auch damals regierte eine große Koalition, und es schickten die Koalitionäre jeweils einen ihrer Minister ins Rennen: die CDU den Außenminister Gerhard Schröder, die SPD den Justizminister Gustav Heinemann. Letzterer gewann mit sechs Stimmen Vorsprung - das leitete die goldenen Zeiten der SPD ein, weswegen die Sozis noch heute leuchtende Augen kriegen. Damals, 1969, reichten die Stimmen der FDP, um der SPD zum Sieg zu verhelfen. Heute bräuchte die SPD die der Grünen, der Linken und wohl auch der Piraten. Die Linken für Steinmeier? Das wäre ein politisches Wunder.

Ein politikferner Kandidat wäre das falsche Experiment

Eine klare Mehrheit in der Bundesversammlung haben nur zwei Konstellationen: Union/SPD und Union/Grüne; die zwei noch anstehenden Landtagswahlen werden daran nichts ändern. Ein halbes Jahr nach dem Präsidenten wird der Bundestag gewählt; der 12. Februar ist daher mehr als ein Vorspiel, er ist schon Teil des Spiels - weil sich mit den Namen der Kandidaten Signale für den Herbst verbinden: Weder Union noch SPD wollen ein großkoalitionäres Signal; also wird es den gemeinsamen Kandidaten nicht geben. Die Grünen werden sich auf eine schwarz-grüne Koalition vorab so wenig festlegen wollen wie auf eine rot-rot-grüne - es sei denn, Merkel und Kretschmann brechen das noch auf. In diesem Gewoge hat auch ein politikferner Kandidat keine Chance; bisweilen wird der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani genannt. Ein solcher Kandidat wäre, da herrscht in Berlin ziemlich Einigkeit, derzeit das falsche Experiment; es würde, heißt es, der Integration mehr schaden als nützen.

Was bleibt? Wahrscheinlich wird es, des Wahlkampfs wegen, keine Vorabsprachen der Parteien geben. Sie werden sich mit eigenen Kandidaten auf die Unwägbarkeiten der Bundesversammlung einlassen. Dann wird im dritten Wahlgang der Zufall oder spontane strategische Raffinesse entscheiden. Die besseren Karten hat Merkels Kandidat; er könnte Lammert heißen. Aber wenn Gabriel am 12. Februar die Karten behände mischt, ist ein Nicht-CDU-Kandidat nicht chancenlos. Man geht in die Schlacht und man wird sehen.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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