Autoritäre Regime:Der richtige Umgang mit Regelbrechern und Despoten

Lesezeit: 3 min

Von allen Seiten wird die Demokratie benagt - ein Wagen auf dem Düsseldürfer Rosenmontagsumzug hat das Thema im Februar 2017 aufgegriffen. (Foto: dpa)

Wie reagieren auf Erdoğan? Was tun mit Orbán? Rechtsbeuger gab es immer, aber jetzt scheinen demokratischen Staaten die Druckmittel auszugehen. Drei Grundsätze, die bei der Entscheidung helfen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Was also soll Angela Merkel tun, falls Marine Le Pen am Sonntag den ersten Wahlgang gewinnt - und in zwei Wochen gar zur Präsidentin gewählt wird? Soll Deutschland die Kommunikation mit Frankreich einstellen? Die Grenzen kontrollieren? Verträge aufkündigen? Was tun mit dem türkischen Präsidenten, der seiner Demokratie den Sauerstoff entzieht? Müsste man nicht endlich die Assoziierungsverhandlungen mit der EU stoppen und das Land aus der Nato werfen?

Und überhaupt: Wäre es nicht klüger, in der Nato auf Distanz zu den USA zu gehen, wo der Präsident relativ freihändig mit Kriegsgerät hantiert? Schließlich: Mit wie vielen Milliarden will man es eigentlich noch belohnen, dass der ungarische Premier die Regeln der EU verhöhnt, Polens Regierung die Gewaltenteilung aushöhlt und Griechenland eine Weltwährung am Abgrund hält?

Wahl in Frankreich
:Was Le Pen und Trump eint und trennt

Die Chefin des rechtsextremen Front National nutzt im französischen Wahlkampf Trumps Methoden. Sie übersieht dabei allerdings entscheidende Unterschiede.

Von Lilith Volkert

Vernunft ist zwischen Staaten nicht im Überfluss vorhanden

Überall auf der Welt demonstrieren an diesem Wochenende Wissenschaftler für die Verteidigung der Vernunft. Doch Vernunft ist im Geschäft zwischen Staaten gerade nicht im Überfluss vorhanden. Das irritiert besonders die Deutschen, die ein bisschen zu viel Kant in den Genen tragen und zu wenig Skeptizismus eines Hobbes.

Klarheit, Wahrheit und demokratischer Purismus mögen hehre Ziele in der Politik sein, aber die Messlatte für Moral und Tugend im Staatengeschäft wird in diesen Tagen eher ein wenig tiefer angeschraubt. Was also tun mit all den Regelbrechern und Rechtsbeugern? Wann zeitigen Taten auch Folgen, und welche Sanktionsmöglichkeiten und Druckmittel sind geeignet?

Griechenland blieb auch als Militärdiktatur Nato-Mitglied

Es ist das uralte Thema Staatensouveränität, das die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes verbietet. Eigentlich. Tatsächlich aber sind seit dem Westfälischen Friedensschluss nahezu 400 Jahre vergangen. Inzwischen berührt es die Deutschen durchaus, in welchem Zustand sich die Türkei befindet. In der EU wird Souveränität sehr wohl geteilt, die Nato versteht sich als Wertegemeinschaft, und ein stolzer Nationalist wie Recep Tayyip Erdoğan weiß, welche Reflexe er reizt, wenn er in Europa Wahlveranstaltungen inszeniert.

Der Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit, etwa in einem Bündnis, ist ein alter Bekannter. Gerade jährt sich die Machtergreifung der griechischen Putschisten zum 50. Mal. Sieben lange Jahre blieb Griechenland trotz Militärjunta und vieler Rechtsverstöße Mitglied der Nato. Selbst die Besetzung Nordzyperns durch die Türkei blieb ohne Folgen für die Bündniszugehörigkeit - sowohl Ankaras wie auch Athens. Erst nach Ende der Militärherrschaft beschloss der gewählte Premier Konstantinos Karamanlis den (Teil-)Austritt. Heute sind Griechenland und Türkei wieder Mitglieder, was zumindest den militärischen Umgang zweier potenzieller Rivalen kontrollierbar macht.

Warum? Weil es klüger ist. Eine Vielzahl von Kalkulationen stehen auf dem Rechnungszettel.

Im Falle Griechenlands und der Türkei ähneln sich die Argumente: Der Sowjetunion/Russland wollte man die beiden strategisch wichtig gelegenen Staaten nicht überlassen. Ähnliche Überlegungen gab es beim faschistisch-autoritären Portugal unter Salazar, das gar Gründungsmitglied der Allianz war.

Es geht also um eine Hierarchie von Interessen, die Abwägung von Vor- und Nachteilen - und nur selten allein um Moral und die Reinheit der Lehre. Niemand hat diese Interessenpolitik besser beschrieben als US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der Kritik am Besuch des nicaraguanischen Diktators Somoza mit dem Satz beiseitewischte: "Er mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn."

Im Falle Erdoğans sollte man auf dieses Vokabular tunlichst verzichten, aber dennoch kühl abwägen, welche Hebel gegen die Entdemokratisierung zur Verfügung stehen - und ob deren Anwendung auch die gewünschten Resultate bringt. Man kann über Menschenrechtsverletzung hinwegsehen oder sich darüber empören. Entscheidend ist, ob man sie abstellen kann.

Europäische Volkspartei
:Wer Orbán jetzt stoppen muss

Europas Christdemokraten sehen sich als Verteidiger europäischer Werte. Und doch lassen sie zu, dass Ungarns Regierungschef die Grenze zum Völkischen verwischt. Kein Interesse kann das rechtfertigen.

Kommentar von Daniel Brössler

Seine Stärken kennen, aber auch die Grenzen des Einflusses

Freilich haben Selbstvergewisserung und Belehrung auch ihren Wert. Sie benennen den eigenen Anspruch oder sorgen für die moralische Unterstützung einer unterdrückten Opposition. In der Türkei etwa gibt es 49 Prozent Gegner der Verfassungsänderung, von denen viele inständig hoffen, nicht von der EU alleinegelassen zu werden.

Es sind schwierige Abwägungsprozesse: Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um mit Russland über die Beziehungen zu reden? Was geschieht dann mit den Sanktionen? Ist China plötzlich ein enger Verbündeter, nur weil man - anders als mit Donald Trump - dieselben Freihandelsvorstellungen teilt?

Außenpolitik steckt voll solcher Abwägungen, die nur dann leichter fallen, wenn man seine Hebel kennt, seine Stärken, aber auch die Grenzen des eigenen Einflusses. Vorteilhaft ist es, Sanktionen und Reaktionen in kluger Weitsicht vor einem Ereignis anzukündigen; ideal ist es, die Korrektur einer falschen Politik zu erzwingen, ohne den Gegner zu demütigen. Auch in der weiten Welt gilt die Dorfweisheit: Man sieht sich immer zweimal, mindestens.

Zu oft dürfen sich die Maßstäbe nicht verschieben

Die USA haben als Supermacht eine Menge Hurensohn-Erfahrung gesammelt. Das hat das Land angreifbar und unglaubwürdig gemacht. Zu oft dürfen sich die Maßstäbe eben auch nicht verschieben, in der zynischen Abwägung von Interessen kann die Gunst auch schnell beim Falschen landen. Die neue außenpolitische Kraft Deutschlands beschert dem Land diese Erfahrung erst noch. Wer im Glashaus sitzt, sollte aufpassen, aus welcher Richtung die Steine fliegen.

Ein paar Grundsätze gibt es am Ende durchaus, die bei der Entscheidung helfen: Erstens sind Despoten schlechte Bettgenossen. Diese Erfahrung haben die USA vom persischen Schah bis zu Pinochet häufig gemacht. Zweitens ist Wirtschaftskraft (vulgo Geld) kein schlechtes Druckmittel - eine Erkenntnis, die der Soft-Power-Nation Deutschland gerade gegenüber der Türkei und im EU-Konzert helfen wird. Und drittens gilt: Wer im Namen der Demokratie handelt, sollte keine allzu radikalen Abweichungen davon tolerieren. Sonst beschädigt er sein wertvollstes Gut: die eigene Glaubwürdigkeit.

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Historie
:Das Schwert der Diplomatie ist stumpf geworden

In diesen Tagen, in denen Erdoğan schimpft und wütet, scheint die Diplomatie wirkungslos. Sie hat schon bessere Zeiten erlebt. Ein Rückblick.

Von Stefan Kornelius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: