Analyse des Wahlkampfes:Kämpfen, straucheln, wieder aufstehen

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Die Union hofft auf einen echten Triumph, die SPD hat sich nach einem holprigen Start auf der Zielgerade gefangen. Die Grünen hadern mit sich selbst, die FDP setzt auf Mitleid - und die Linke freut sich schon auf die Opposition. Gekämpft haben sie alle. Bis zum Schluss. Wir ziehen eine Bilanz des Wahlkampfes der Parteien.

Von Thorsten Denkler, Michael König und Antonie Rietzschel, Berlin

CDU: Endlich ein echter Triumph

Die Zustimmungswerte für Angela Merkel sind bombastisch, das waren sie stets. Aber die Wahlergebnisse? 35,2 Prozent 2005, eine Enttäuschung. 33,8 Prozent 2009, noch schlechter, aber dank der FDP mit ihren sensationellen 14,6 Prozent gerettet. Auch deshalb kämpft die Kanzlerin jetzt mit viel Ausdauer und der immer gleichen Botschaft gegen Leihstimmen für die Liberalen: Sie will die 40-Prozent-Marke knacken. Sie will diejenige sein, die aus der CDU wieder eine Volkspartei macht. Zumindest dem Ergebnis nach.

Wahlkampf-Ende der CDU: Kanzlerin Merkel in Augsburg (Foto: dpa)

Klappt das nicht, etwa weil doch viele Wähler zur FDP abwandern oder weil die AfD im bürgerlichen Lager wildert, könnte Merkel Probleme bekommen. Ihren wenigen parteiinternen Kritikern dürfte dann wieder einfallen, dass Merkels sozialdemokratischer Kurs viele konservative Kernpositionen der Union geräumt hat. Dass viele Landtagswahlen verloren gingen. Dass ihre Nachfolge ungeklärt ist, dass keiner weiß, wie es in einer Post-Merkel-Ära weitergehen soll.

38, 39 oder gar 40 Prozent bei der Wahl am Sonntag, und diese Sorgen sind vorerst vergessen. Egal, ob es dann für Schwarz-Gelb reicht oder für eine große Koalition. Deshalb hat Merkel in den vergangenen Tagen Kilometer gemacht, deutlich mehr als ihr Kontrahent Peer Steinbrück, der davon auch schon eine ganze Masse auf dem Buckel hat. Sie hat die Konkurrenz gerügt, aber nie zu sehr. Sie hat Herzenswärme gezeigt und zuletzt sogar Selbstironie, etwa als sie beim Wahlkampfabschluss in Berlin sagte, ihre Frisur sei "gut gesichert". Da war für jeden was dabei, ihre Werbestrategen waren selig. Jetzt muss nur noch das Ergebnis stimmen.

SPD: Mühsam, holprig - aber Chance gewahrt

Immerhin hat Steinbrück es geschafft, zum Ende des Wahlkampfes noch etwas Spannung hineinzubringen. Seit dem Kanzlerduell vor drei Wochen hat die SPD wieder etwas Aufwind bekommen. Mehr als 17 Millionen Menschen haben da einen Peer Steinbrück erlebt, der doch nicht ganz so schlimm ist, wie die Debatten um Vortragshonorare, Pinot Grigio und Kanzlergehalt haben vermuten lassen. Andererseits: Erst die Vertragshonorare haben aus einer zwar risikoreichen, aber durchaus Erfolg versprechenden Kandidatur eine fast unmögliche werden lassen. Seine ansehnlichen Beliebtheitswerte stürzten danach in den Keller und haben sich seitdem kaum mehr erholt.

Die Umfragen gaben nach, die SPD orientierte sich in Richtung CDU. Die Grünen (siehe Seite 2) kämpfen in den letzten Stunden nicht mehr für Rot-Grün, sondern nur noch auf eigene Rechnung.

FDP: Vergeblicher Kampf ums Geliebt werden

Die größte Selbstdemütigung bringt sich die FDP ausgerechnet in der letzten Wahlkampfwoche bei. Ein Zweistimmenkampagne, damit Merkel Kanzlerin bleibt. So hat es ihr "Spitzenmann" Rainer Brüderle am vergangenen Montag erklärt. Das erinnert an den Wahlkampf 1994, als damals die FDP auch nur noch ausschließlich über das Funktionsargument gewählt wurde. Der Slogan damals: "Wer Kohl will, muss die FDP wählen."

Last Exit Hannover? Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler vor der Bühne (Foto: dpa)

Für viele Liberale war damals ein Tiefpunkt der Selbstachtung erreicht - auch übrigens für den heutigen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler. Der hat seine Antrittsrede 2011 mit den Worten begonnen: "Es war für mich enttäuschend, dass an dieser Stelle nur noch das Funktionsargument stand und nicht mehr unser liberales Programm." Er habe sich damals geschworen: Solch "eine Situation darf sich für die Freien Demokraten in Deutschland nicht noch einmal wiederholen". Nunja ...

Der Wahlkampf der Liberalen war von Anfang an verkorkst. Sie traten nicht mit politischen Visionen auf, mit Lösungen an. Sie warben für sich als Verhinderungspartei: Steuererhöhungen werde es mit der FDP nicht geben. Das ist die einzig erkennbare Botschaft. Das ist wohl selbst Sympathisanten zu wenig. In den Umfragen vor der Wahl hat sie nur ganz selten mal die Sechs vor dem Komma erreicht. Meist lag die FDP deutlich unter fünf Prozent.

Das liegt wohl auch daran, dass sie nach den gescheiterten Steuerversprechen von 2009 massiv an Glaubwürdigkeit verloren hat. Und es weder Brüderle noch Rösler gelang, den Enttäuschten etwas Neues zu präsenteren, für das es sich lohnen würde, FDP zu wählen.

Dennoch wird sie es dank des Funktionsargumentes wohl wieder irgendwie in den Bundestag schaffen. Sollte es darüber hinaus erneut für Schwarz-Gelb reichen, hätte Merkel einen äußerst handzahmen Partner an ihrer Seite.

Grüne: Vor der Selbstzerfleischung

Die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, auf dem Kinderbauernhof 'Pinke Panke' in Berlin (Foto: Soeren Stache/dpa)

Der Gemütszustand grüner Wahlkämpfer ist irgendwo zwischen Wut, Verzweiflung und Trotz anzusiedeln. Dass die Abschlussveranstaltung am Freitagabend in Berlin-Friedrichshain im Starkregen unterging, war symptomatisch für die Kampagne. Die sah sehr lange sehr gut aus: Die Grünen wurden gelobt für ihr durchgerechnetes, realistisches Programm, an dem sich andere Parteien mehr oder minder offensichtlich orientierten. Die Werbemittel: pointierter als jene der Konkurrenz. Die Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt: in einer Urwahl bestimmt, anschließend gefeiert.

15 Prozent und mehr schienen drin zu sein. Trittin mokierte sich öffentlich über die schwachen Werte der SPD, des Wunschkoalitionspartners. Dann kippte die Stimmung. Die Forderung nach Steuererhöhungen für Besserverdienende war vielen Wählern aus dem bürgerlichen Lager nicht zu vermitteln. Dort aber haben die Grünen viel Potenzial, siehe Baden-Württemberg. Auch der "Veggie-Day", lediglich auf Seite 164 des Wahlprogramms, erwies sich als Einfallstor für die politische Konkurrenz. CDU und FDP zogen fortan in jeder Rede über die "Verbotspartei" her. Schließlich: die Pädophilie-Debatte mit Vorwürfen gegen Trittin und den Parlamentarischen Geschäftsführer, Volker Beck.

Die Linke - alles auf Gysi

Wahlkampf-Abschluss Die Linke in Berlin: Gregor Gysi spricht auf dem Alexanderplatz (Foto: dpa)

Es ist schwer alle Namen des achtköpfigen Spitzenteams zusammenzubekommen, das die Linke einst für die Bundestagswahl aufgestellt hat: Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch - und dann hört es schon fast auf. Während des Wahlkampfs waren sie als Team kaum präsent. Nur Gysi, der war immer da. Er war es, der recht früh das Thema Rot-Rot-Grün auf die Agenda setzte - und damit seine Partei immer wieder im Gespräch hielt.

Auch in den letzten Tagen vor der Wahl stichelte er auf Marktplätzen und in Talkshows gegen die Sozialdemokraten. Gleichzeitig beschwor er ein Wir-gegen-alle-Gefühl, indem er zuletzt immer wieder darauf hinwies, die anderen Parteien könnten sie nicht leiden. "Wirklich nicht". Dazu passt, dass das letzte vor der Wahl aufgestellte Plakat der Partei den Slogan trug: "Wir lassen uns nicht kaufen" - die anderen schon, sollte das suggerieren. Das riecht vor allem nach Opposition.

Geholfen hat der Partei auch, dass sie bis zuletzt unbeschadet durch den Wahlkampf gekommen ist - im Gegensatz zu den Grünen und der FDP. Die größte Gefahr der Linken war immer die Partei selbst mit ihren Flügelkämpfen. Doch die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping hielten Gysi den Rücken frei und sorgten für Ruhe. Die ihm nicht gerade wohlgesonnene Sahra Wagenknecht war weit weg. Sie machte Wahlkampf in ihrer neuen Wahlheimat Nordrhein-Westfalen. Nur einmal sorgte sie für Aufregung: Wagenknecht ließ sich für die Gala als Frida Kahlo fotografieren. Sie, die sich nie auf ihr Aussehen reduzieren lassen wollte, zeigt sich plötzlich als die "schöne Linke". Geschadet hat das der Partei sicher nicht.

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