Alternative für Deutschland:Kreuzzug der schrillen Intellektuellen

Sie präsentieren sich als Partei der Professoren und Ökonomen und schlagen trotzdem laute und rechtspopulistische Töne an: Die Vertreter der "Alternative für Deutschland" führen einen widersprüchlichen Wahlkampf. Am Sonntag könnten sie die Wahl entscheiden.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Titel sind wichtig für die Alternative für Deutschland. Vier Professoren säßen hier, freut sich Ex-Industriepräsident Hans-Olaf Henkel auf einer Pressekonferenz der Partei in Berlin. "Ich finde es bemerkenswert, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte eine Partei haben, die von Leuten geführt wird, die von Wirtschaft was verstehen."

Zum ersten Mal in der Geschichte also. Darunter geht es nicht. Jedenfalls nicht für Henkel, der soeben begründet, warum er bereits mehrere Tage vor der Bundestagswahl per Briefwahl für die AfD gestimmt habe - jene eurokritische Partei, die er seit ihrer Gründung im April unterstützt.

Henkel setzt sich für die Einführung eines Nordeuros ein und sieht in der AfD seine neue politische Heimat. Die FDP, erklärt er, habe ihn mit ihrer Krisenpolitik enttäuscht.

Zwei Plätze weiter sitzt Jörn Kruse, Mitglied im sogenannten "wissenschaftlichen Beirat" der Partei und ebenfalls Inhaber diverser akademischer Titel. Der Volkswirtschaftsprofessor pflichtet Henkel bei: "Unsere Politik ist sachorientiert, vernünftig und seriös." An Selbstbewusstsein mangelt es keinem der anwesenden Vertreter.

Die Professorenpartei Alternative für Deutschland als Stimme der Vernunft - so versucht sich die AfD seit ihrer Gründung zu präsentieren. Stolz unterzeichnen ihre Unterstützer selbst Leserbriefe mit voller Titel- und Berufsbezeichnung.

Konservativ-marktliberales Bürgertum

Es ist das konservativ-marktliberale Bürgertum, das hier seine Unzufriedenheit über die Europapolitik der Regierung Merkel kundtut. Und das nun bei der Bundestagswahl eben dieser Regierung gefährlich werden könnte. Die meisten Umfrageinstitute sehen die Partei zwar deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde - so richtig sicher ist sich aber keiner, was von der AfD zu erwarten ist. Keiner wisse, wie hoch die "Dunkelziffer" derer sei, die die AfD zwar wählen würden, das in Umfragen aber nicht zugäben, erklärte jüngst etwa Forsa-Chef Manfred Güllner.

Das Wahlprogramm der AfD ist, so werfen es Kritiker der neuen Partei vor, noch recht dünn. Der wichtigste Punkt ist die Kritik an der Krisenpolitik der Regierung. Mit Parolen wie "Deutschland braucht den Euro nicht" geriert sie sich damit als einzige wahre Opposition zum Euro-Kurs von Kanzlerin Angela Merkel und fordert die Wiedereinführung "nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde". Außerdem haben sie sich einiges vom Erfolg der Piraten abgeguckt: Sie fordern mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz, vor allem in Fragen der Europapolitik.

Die Partei will zudem die Familie als "die Keimzelle des Staates" besserstellen. So sprach sich zum Beispiel Vorstandssprecher Konrad Adam dafür aus, Kinderlose stärker zugunsten von Familien zu belasten und Kindererziehung auch in der Rente deutlicher zu berücksichtigen.

Den Vorwurf des Rechtspopulismus brachte der AfD eine Forderung in der Zuwanderungspolitik ein: Sie will Migranten nach Qualifikation auswählen, "kanadisches Modell" nennt Henkel das in Berlin.

Im Wahlkampf gerne schrill

Im Wahlkampf wirkt die Strategie der Partei allerdings deutlich widersprüchlicher. Denn obwohl ihre Vertreter stets die eigene Seriosität betonen, sich auf vermeintlich wasserdichte wissenschaftliche Fakten berufen, schlägt die AfD in der Öffentlichkeit häufig schrille und populistische Töne an.

So fischt sie am rechten Rand - zum Beispiel, wenn Parteichef Bernd Lucke von Einwanderern als "eine Art sozialem Bodensatz" spricht. Mehrere ihrer Vertreter ließen sich bereits vor der Parteigründung lang und breit in der stramm rechten Zeitschrift Junge Freiheit aus.

Ausgerechnet ein Vertreter der NPD bezeichnete schließlich die AfD in einem Video als "Türöffner" für rechtes Gedankengut - gerade, weil ihre Vertreter auf den ersten Blick so stockseriös daherkämen. Zwischenzeitlich fürchteten sogar mehrere AfD-Landesverbände eine Unterwanderung durch rechte Gruppierungen.

Sicher, ihre Unterstützer kann sich eine neue Partei nicht immer von Anfang an aussuchen - dennoch war es AfD-Chef Lucke selbst, der im Interview mit dem Handelsblatt davon sprach, Wähler von rechten Parteien ansprechen zu wollen - natürlich nur solche, die in Wahrheit gar nicht rechtsextrem, sondern einfach nur frustriert seien.

Bei einem Pressegespräch stellte Lucke jüngst einen Mann als Energie-Experten der Partei vor, dem zu den Bedrohungen des Klimawandels nur einfiel, das sei wie "Pipi im Baggersee". Die Botschaft: Klimawandel? Gibt es nicht.

Die AfD sieht sich als Medienopfer

Dazu machten mehrere AfD-Landesverbände bereits kurz nach der Gründung mit internen Streitigkeiten von sich reden. Mitglieder in Bayern fühlten sich vom Vorstand bedroht. In Hessen warfen sich Kreisverbände und Landeschefs der AfD gegenseitig Machtgier und Profilsucht vor. In Berlin gab es einen schmutzigen Kleinkrieg innerhalb des Parteivorstands. Und auch in Baden-Württemberg und Sachsen klagten Mitglieder darüber, von den Landeschefs systematisch unterdrückt zu werden. Ein fatales Signal für eine Partei, die auch mit dem Versprechen von mehr Demokratie und Mitbestimmung punkten will.

Und was sagen die professoralen Unterstützer dazu? Alles nur eine Kampagne der Medien und etablierter Parteien. Da sind sie sich sicher. "Stimmungsmache" sei das, sagt Henkel in Berlin - solche Aussagen gehören inzwischen zum Standardrepertoire von Führung und Basis. Für die Einstufung der eurokritischen AfD als rechtspopulistisch gebe es "null Beweise". Er selbst werde als Anti-Europäer verunglimpft, seit er sich öffentlich zu der eurokritischen Partei bekannte.

Diese Verteidigungsstrategie ist nicht neu. Parteichef Bernd Lucke etwa behauptete im Interview mit dem Handelsblatt, das Umfrageinstitut Forsa rechne die Alternative für Deutschland absichtlich klein. Dessen Chef Güllner erwirkte gegen diese Behauptung eine einstweilige Verfügung. Von nun an, so trat Güllner nach, werde er den AfD-Chef nur noch "Lügen-Lucke" nennen. Ein derber Kontrast zum Slogan der AfD: Mut zur Wahrheit.

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