Wahlkampf-Endspurt:Fahrplan zur Kanzlerschaft

Lesezeit: 4 min

Werbematerial der beiden Hauptkontrahenten auf einer Collage vereint (Foto: dpa)

Ach richtig, die Wahl! Viele Bürger beschäftigen sich erst jetzt damit, am 22. September ihre Stimme abzugeben. Für das Duell Merkel gegen Steinbrück bedeutet das: Endspurt, quer durchs Land, 11.000 Kilometer. Was CDU, SPD und die kleinen Parteien noch vorhaben - ein Überblick.

Von Michael König, Berlin

"Es ist schon irre", raunte neulich einer, der in der CDU was zu sagen hat. "Wir machen seit Monaten Kampagne, und die Leute bemerken erst allmählich, dass sie am 22. September wählen sollen." Außerhalb der Berliner Käseglocke hätten bislang vor allem die Schulferien eine Rolle gespielt und vielleicht der Saisonstart der Bundesliga. Der Wahlkampf komme erst jetzt bei den Menschen an. Spät, aber mit Wucht.

Die Ausgangslage laut Umfragen: CDU und FDP haben je nach Institut 45 bis 46 Prozent, SPD, Grüne und Linke gemeinsam auch. Es kommt auf jede Stimme an. Was das für die Kandidaten bedeutet? Alle Kraft in den Endspurt legen, viele Kilometer machen. Obwohl die Ausdauer schwindet, das Nervenkostüm dünner wird - und damit die Fehleranfälligkeit wächst.

SPD: Von Tür zu Tür zu Tür mit Klartext - hoffentlich ohne Stinkefinger

Die SPD-Strategie heißt "Klartext", und sie sieht vielversprechend aus. Nach Aufholjagd, nach einer Chance. Schon für seinen Auftritt im TV-Duell vor zwei Wochen war SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück von seinen Genossen gefeiert worden. In der ARD-Wahlarena, einer Art Fernduell mit Kanzlerin Angela Merkel vor Publikum, setzte er am vergangenen Mittwoch noch einen drauf: "Steinbrück wie ein echter Herausforderer", jubelte Zeit Online. "Wenn der Wahlkampf doch immer so einfach gewesen wäre", schrieb Spiegel Online .

SPD-Wahlkämpfer schnitten sogleich alle Szenen zusammen, in denen Merkel bei ihrem Wahlarena-Auftritt "Ich guck mir das an" und "Ich nehme das mal mit" sagte - als Beleg dafür, dass nur Steinbrück Klartext rede.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Hinzu kamen die Einschaltquoten: 3,87 Millionen Menschen schalteten bei Steinbrück ein, bei Merkel waren es am vergangenen Montag nur 3,18 Millionen gewesen. Die Neugier der Menschen auf den Herausforderer ist groß, Klartext gewinnt, das ist die Botschaft, die SPD-Wahlkämpfer nun von Haustür zu Haustür tragen sollen. Fünf Millionen Klingeln wollen sie bis zum Wahlabend gedrückt haben.

SPD-Kanzlerkandidat im SZ-Magazin
:Steinbrück zeigt den Stinkefinger

Der Mittelfinger hat nicht erst seit Stefan Effenberg einen schlechten Ruf. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zeigt ihn trotzdem im Foto-Interview mit dem SZ-Magazin - und landet damit auf dem Titel. Wie es dazu kam und was sein Sprecher dazu sagt.

Von Michael König, Berlin

Der "Stinkefinger", den Steinbrück auf dem Titel des aktuellen SZ-Magazins zeigt, ist dabei eine Hypothek. Das Foto ist dermaßen einprägsam, dass es dem Kandidaten noch häufig vorgehalten werden wird. Wie weit darf Klartext gehen? Das ist die Frage, die mitschwingt. Die CDU spottet:

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Die andere Hypothek ist das Ergebnis der Bayern-Wahl am Sonntag: Wird die SPD im Süden abgewatscht, nimmt das der Steinbrück-Kampagne womöglich den Schwung.

Auffällig ist, dass der Kanzlerkandidat das flächenmäßig größte Bundesland ab sofort meidet: Von Freitagmorgen an reist Steinbrück kreuz und quer durch Norddeutschland. 3800 Kilometer gibt Google Maps für die Route aus, 39 Stunden Fahrt. Seine südlichste Station ist Saarbrücken am morgigen Samstag. Die offizielle "Endspurt"-Veranstaltung steigt am Donnerstag auf dem Berliner Alexanderplatz.

Steinbrücks Tournee durch Deutschland: Der Süden fehlt (Foto: Screenshot: Google Maps)

Die CDU ist damit später dran - und macht insgesamt mehr Kilometer.

Anders als Steinbrück hat die Kanzlerin kein Problem mit Bayern. Sie wird am Donnerstag (19. September/Augsburg) und Freitag (20. September/München) dort zu Gast sein.

Merkels Tournee: Kreuz und quer durch Deutschland (Foto: Screenshot: Google Maps)

Erstens, um ein bisschen Glanz des wahrscheinlichen Wahlsiegers auf sich abfärben zu lassen. Zweitens, um die Bayern zu ermahnen, auch am Sonntag nach der Landtagswahl wieder ihre Kreuzchen bei der CSU zu machen. Drittens, um den bayerischen Löwen im Zaum zu halten: CSU-Chef Horst Seehofer könnte ihr das Leben schwermachen, wenn er mit Verweis auf seinen glorreichen Sieg etwa auf die Einführung der Pkw-Maut pocht, die Merkel für einen Fehler hält.

Seehofers Selbstbewusstsein ist nicht die einzige Gefahr für Merkel: Ihr Herausforderer Steinbrück polarisiert als Klartext-Redner, er bringt mit dem Stinkefinger Emotionen in den Wahlkampf. Das war in der CDU-Kampagne eigentlich nicht vorgesehen. Sie setzt wie vor vier Jahren darauf, möglichst wenig Reibung zu erzeugen, um die Wahlbeteiligung niedrig zu halten - zulasten der SPD.

Geheimnisse der Kanzlerin
:Zehn Dinge, die Sie noch nicht über Angela Merkel wussten

Von Kirsch-Whisky, Döner ohne Soße und geheimen Ängsten: Über Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt es auch jenseits von Krisengipfeln und Regierungsarbeit einiges zu erfahren. Eine Annäherung in Bildern.

Zudem muss Merkel fürchten, dass viele CDU-Wähler ihre Stimme der FDP leihen, um Schwarz-Gelb zu stärken. Das gilt insbesondere dann, wenn die FDP in Bayern nicht wieder in den Landtag einzieht.

Entsprechend viele Merkel-Termine stehen bis zur Wahl im Programm, kaum eine Region wird ausgelassen. 7000 Kilometer wären es, führe die Kanzlerin von Auftritt zu Auftritt. 65 Stunden im Auto, Staus nicht einberechnet.

Am Mittwoch (18.) kommt sie Steinbrück noch einmal ganz nah: Kanzlerin und Kandidat treten am Abend etwa zur gleichen Zeit in Hamburg auf, nur etwa fünf Fahrradminuten voneinander entfernt. Die Endspurt-Veranstaltung findet am Samstag vor der Wahl in Berlin statt, anschließend reist Merkel noch in ihren Wahlkreis nach Stralsund, wo sie vor dem Ozeaneum sprechen wird.

FDP: Westerwelle hilft in der Herzkammer NRW

MeinungFDP legt sich auf Schwarz-Gelb fest
:Nicht ohne meine Kanzlerin

Keine Chance ohne Merkel: Dass sich die Liberalen vor der Bundestagswahl auf eine Koalition mit der Union festlegen, ist keine einfache taktische Entscheidung. Sondern die Voraussetzung dafür, dass die FDP den Herbst übersteht.

Ein Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Die Zuversicht ist da, aber die Umfragen sind noch immer wackelig: Die FDP steht bei fünf bis sechs Prozent, der Wiedereinzug in den Bundestag ist keinesfalls sicher. Die Liberalen setzten deshalb im Wahlkampf-Endspurt auf Guido Westerwelle in Nordrhein-Westfalen - und auf Leihstimmen der CDU.

Der Bundesaußenminister hat seinen Terminkalender freigeschaufelt für Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen, wo er als Spitzenkandidat antritt. NRW hat Baden-Württemberg als Herzkammer der Liberalen ein Stück weit abgelöst, auch dank des früheren Generalsekretärs Christian Lindner, der hier bei der Landtagswahl im Mai 2012 8,6 Prozent holte - während die Südwest-FDP mit 5,3 Prozent 2011 fast aus dem Landtag flog und inzwischen von Dirk Niebel als Spitzenkandidat geführt wird, der wegen seines Widerstands gegen Parteichef Philipp Rösler nicht unumstritten ist.

Die letzte Großkundgebung vor der Wahl findet entsprechend in Düsseldorf statt, die Botschaft wird lauten: Schwarz-Gelb oder nichts. Alle anderen Koalitionsoptionen hat die FDP ausgeschlossen, in der Hoffnung, die Zweitstimmen vieler CDU-Wähler zu bekommen. So könnten erneut sieben oder gar acht Prozent möglich sein.

Die Grünen: Drei Tage wach

Der grüne Wahlkampf war sehr lange pannenfrei, dann kam der womöglich etwas zu laute Ruf nach Steuererhöhungen und die von der Bild-Zeitung und der politischen Konkurrenz begierig aufgenommene Empfehlung, einmal in der Woche vegetarisch zu essen. Nun liegen pessimistische Umfragen bei neun Prozent, was angesichts der zuvor prognostizierten 15 oder 16 Prozent eine herbe Enttäuschung wäre.

Die Grünen steuern gegen mit ihrem Wahlkampf-Evergreen "Drei Tage wach", einer 72-stündigen Online-Aktion, bei der Wahlkämpfer Tag und Nacht Fragen im Internet beantworten. Wirklich alle Fragen, versprechen die Grünen. Wer wissen möchte, wer 2014 Bundeskanzler ist, bekommt etwa das hier zu sehen:

Liebe Grüne, wer wird Bundeskanzler? "Peer Steinbrück" - ohne Wenn und Aber (Foto: Screenshot: 3tw.gruene.de)

Genauso jugendlich wie die Ansprache ist der "Wahlkampfhöhepunkt" gestaltet: Am Samstag vor der Wahl im Biergarten der Skatehalle in Berlin-Friedrichshain. Also dort, wo die Grünen 2009 mit 27,4 Prozent ihr bundesweit bestes Ergebnis feierten.

Wahlkreis-Atlas
:Merkels einsamster Kämpfer

Anderswo wäre er Favorit, hier ist er für viele ein Feindbild: Götz Müller kandidiert im traditionell linken Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost für die CDU. Es ist ein mühsamer Kampf. Gegen Intoleranz gegenüber Konservativen, gegen wütende Frauen und gegen Hans-Christian Ströbele, den Liebling der Massen.

Von Michael König, Berlin

Die Linke: Einfach immer weitermachen

Der Preis für den unaufgeregtesten Wahlkampf geht an: die Linke. Ihr achtköpfiges Spitzenteam spult in den Tagen bis zur Wahl die Forderungen herunter, die allesamt nach Opposition riechen: Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, Geheimdienste abschaffen, keine Rente mit 67, weg mit Hartz IV.

Wahlkampfendspurt der Linken
:Mit Hurra in die Opposition

Rot-Rot-Grün? Auch die Linke scheint nicht mehr daran zu glauben und kappt alle Verbindungen zur SPD. 13 Tage vor der Bundestagswahl feiert sie sich lieber als Oppositionspartei - und tritt dabei alles andere als bescheiden auf.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Die Bundesvorsitzende Katja Kipping wird Sachsen bereisen. Sahra Wagenknecht konzentriert sich auf Nordrhein-Westfalen, Fraktionschef Gregor Gysi beackert zunächst Bayern, dann Berlin, dann Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Am 20. September treffen sich dann wieder alle an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz - zum zentralen Wahlkampfabschluss.

Klingt langweilig, ist aber erfolgreich: Die Linke darf nach langem Siechtum in Umfragen wieder auf ein zweistelliges Ergebnis hoffen.

Mitarbeit: Antonie Rietzschel

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: