ARD-Wahlarena mit Peer Steinbrück:Souveränität des Chancenlosen

Lesezeit: 4 Min.

Zwei Tage nach Kanzlerin Merkels Adoptionsrechts-Debakel legt Herausforderer Steinbrück einen hochentspannten Auftritt in der ARD-Wahlarena hin. Ob Steuern, Leiharbeit oder die Hebesatzpolitik eines Kleinstadt-Bürgermeisters, Steinbrück hat seine Themen fest im Griff. Eine Antwort bleibt er allerdings schuldig.

Eine TV-Kritik von Thorsten Denkler, Berlin

Vielleicht gehören ja Geisterfahrer tatsächlich zu den drängendsten Problemen im Land. Der Mann aus Wesel am Niederrhein jedenfalls, seit 25 Jahren Außendienstler und praktisch auf den deutschen Autobahnen zu Hause, hat das Glück der ersten Frage in dieser zweiten ARD-Wahlarena live aus Mönchengladbach. Und sich akribisch vorbereitet auf diesen Moment: 1800 Geisterfahrer gebe es im Jahr, doziert er. Der ADAC spreche gar von 2800 Falschfahrern. Und was jetzt bitte er, also SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, dagegen zu tun gedenke.

Geheimnisse des SPD-Kanzlerkandidaten
:Zehn Dinge, die Sie noch nicht über Peer Steinbrück wussten

Methodik-Sauger, Rotwein-Zocker, Modellschiff-Sprenger: Wer ein bisschen forscht, entdeckt viel Kurioses über SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Eine Annäherung in Bildern.

Schweigen. Steinbrück guckt einen Moment wie überfahren. Mit diesem aufreibenden Problem hat er sich offenkundig noch nie beschäftigt. "Sie überraschen mich mit Ihrer Frage", sagt er. Und mehr, als dass es Schilder geben müsse, wüsste er jetzt auch nicht zu sagen. Der Außendienstler hilft nach, es gebe da ein Pilotprojekt in Bayern, und ob das nicht auch bundesweit eingeführt werden könne.

Steinbrück stammelt etwas ratlos was von "werde mir das ansehen" und wenn es da was Gutes aus Bayern gebe, werde ein künftiger Verkehrsminister unter seiner Kanzlerschaft das sicher aufnehmen. Es wird das letzte Mal in diesen 75 Minuten sein, dass eine Frage ihn etwas hilflos aussehen lässt.

Am Montag noch war Merkel in der Arena zu Gast. Es gab einige sehr konkrete Fragen, denen sie gewohnt schwammig ausweichen konnte. Aber als sie selbst auf Nachfragen nicht zu erklären vermochte, aus welchen Gründen sich ihre Unsicherheit speist, ob gleichgeschlechtliche Ehepaare Kinder adoptieren dürfen, da kam sie mit den üblichen, nichtssagenden Floskeln nicht mehr weiter. Im Netz brach ein Sturm der Entrüstung darüber los, wie sich Merkel dem Austausch von Argumenten verweigerte.

Von so einem Moment bleibt Steinbrück verschont. Obwohl es einige der repräsentativ ausgesuchten Studiogäste durchaus versuchen. Ein Unternehmer, Mittelständler aus Essen, hält offenbar gar nichts von Steuerhöhungen und glaubt einen Königsweg gefunden zu haben, weil der Bürgermeister der Kleinstadt Monheim die Steuern senkte und heute die Stadt am Rhein ohne Schulden dastehe.

Womit er wohl nicht gerechnet hat: Steinbrück kennt den Fall. Der Bürgermeister, konkretisiert der, habe "den Hebesatz für die Gewerbesteuer gesenkt". Und an den Unternehmer gewandt sagt er: "Sie vergessen und verschweigen dabei, dass sich der Bürgermeister damit einen schlanken Fuß gemacht hat." Er habe mit sehr viel Geld Betriebe aus der Region abgeworben. "Wenn der mit solch einer goldenen Mohrrübe lockt, ja dann komme ich doch nach Monheim!" Er, Steinbrück, aber wolle, dass es nicht nur Monheim gutgehe. Sondern allen Kommunen. Punkt für Steinbrück.

Oder der Rechtsanwalt in der ersten Reihe, der von sich sagt, dass er nach Steinbrücks Einschätzung "zu der Gruppe der Besserverdienenden" gehöre. Wo er sich aber überhaupt nicht sehe. Und dass es ungerecht sei, wenn Menschen wie er dazu gezwungen würden, "uns am Gemeinwohl zu beteiligen. Wir geben unser Geld lieber selber aus."

Steinbrück kontert auch ihn aus. Als verheirateter Mann müsse er schon 200.000 Euro im Jahr verdienen um von den rot-grünen Steuerplänen überhaupt betroffen zu sein. 200.000 Euro im Jahr - so viel Geld dürften auch in diesem Studio die Wenigsten nach Hause bringen. Der Rechtsanwalt gehört also wohl zu denen, für die Steinbrück einige wenige Steuern erhöhen will.

In Bildung, Infrastruktur, Kommunen und Schuldenabbau soll das Geld gehen. Das sichere er zu, sagt Steinbrück. Er wolle "wieder stärker das Wir und weniger die Ellenbogen in die Mitte der Politik stellen". Der Anwalt sitzt jetzt ziemlich alleine da.

Das zieht sich durch beinahe alle Themen, die von den Gästen angesprochen werden. Missbrauch von Leiharbeit, von Befristungen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Wo Merkel sich nicht festlegen wollte, will Steinbrück Gesetze machen.

Je mehr er darüber sprechen kann, desto öfter löst er sich von dem runden Plexiglaspult, gestikuliert, wandert um das Pult herum, schaut die Menschen an, die rund um ihn herum sitzen. Souverän wirkt er. Aber es gibt ja auch nicht mehr all zu viel zu verlieren. Nach Lage der Dinge kann er nur noch gewinnen. So unwahrscheinlich ist es, dass er es tatsächlich ins Kanzleramt schafft.

Das zeigt auch die eine Frage, die er nicht konkret beantworten will. Mit wem will er regieren, wenn es nicht für Rot-Grün reicht, fragt ein Studiogast. Also: lieber große Koalition oder Rot-Rot-Grün? "Für welche würden Sie sich entscheiden?", wird Steinbrück gefragt.

Der Kandidat weicht aus: "Sie haben vielleicht Verständnis, dass ich jetzt für Rot-Grün kämpfe", sagt er. Der Fragesteller sieht nicht danach aus, als ob er für diese Antwort Verständnis hat. Also erklärt Steinbrück: Die große Koalition habe er schon gehabt, das will er nicht noch mal. Und mit den Linken "werde und kann ich nicht regieren". Auch nicht mit einer Tolerierung.

Der Mann hakt nach: "Dann werden Sie sich also für die große Koalition entscheiden?" Eine berechtigte Frage. Wirklich erklären kann Steinbrück seine Abneigung gegen eine Koalition mit CDU und CSU nämlich nicht. Er vertagt die Antwort auf die Zeit nach der Wahl.

Es ist einer der seltenen Momente, in denen Jörg Schönenborn eingreift, der mit Andreas Cichowicz zusammen die Sendung wohltuend zurückhaltend moderiert. Schönenborn fragt in die Runde, wer denn für eine große Koalition sei. Finger gehen hoch, aber das ist klar die Minderheit.

"Wer sollte denn da Ihrer Meinung nach auf dem Fahrersitz sitzen", fragt Steinbrück. Eine Dame immerhin zeigt auf ihn. Merkel nennt niemand.

Sie wird wohl dennoch Kanzlerin bleiben. Das würde immerhin eine weitere Reise Steinbrücks nach Bayern unnötig machen. Von dort hat ein Zuschauer per Mail die Frage gestellt, ob Steinbrück bereit sei, ein Pfand zu geben für den Fall, dass er seine Wahlversprechen nicht halte. Merkel wurde am Montag die gleiche Frage gestellt, hat aber herumlaviert, dass sie ja so konkret gar nichts versprechen könne.

Steinbrück lässt sich darauf ein. Er muss dem Fragesteller jetzt ein Pils zapfen, sollte er seine Versprechen nicht einhalten. Aber sollte er es tatsächlich doch noch schaffen, Kanzler zu werden, würde er dem Mann wohl auch einfach so ein Pils zapfen. Egal in welchem Winkel von Deutschland.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: