Holocaust-Gedenktag:"Ich bin traurig und doch auch befreit"

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Bei den Gedenkveranstaltungen zum Holocaust-Gedenktag in Schönbrunn und Dachau spielen sich bewegende Szenen ab.

Helmut Zeller

Es ist die Bitte von Schwester Benigna Sirl um Verzeihung, die in Erinnerung bleiben wird von dem Holocaust-Gedenktag in Schönbrunn. "Ich bin traurig und doch auch befreit" erklärt die Generaloberin der Franziskanerinnen, nachdem Namen und Alter der Opfer der "Euthanasie"-Morde verlesen worden sind. 40 Minuten dauerte die Verlesung am Donnerstagnachmittag. Nach der bewegenden, fast beklemmenden Zeremonie ziehen die 300 Besucher in einer Prozession zum Altar der Kirche St. Josef und stellen kleine Kerzenlichter neben einer großen Osterkerze auf den Boden, auf dem die Namenslisten ausgebreitet liegen. 546 behinderte Bewohner der Pflegeanstalt, des heutigen Franziskuswerks, wurden zwischen 1939 und 1945 deportiert und in Tötungsanstalten der Nazis ermordet oder sind an bewusster Vernachlässigung gestorben. Das jüngste Opfer, Ruppert, war vier Jahre alt, das älteste, Maria, war 81, als es Schönbrunn verlassen musste.

Erstmals legte Landtagspräsidentin Barbara Stamm zusammen mit den KZ-Überlebenden Max Mannheimer (links) und Jack Terry einen Kranz in der KZ-Gedenkstätte Dachau nieder. (Foto: DAH)

Schwester Benigna bricht in Tränen aus, fast versagt ihr die Stimme, als sie die Opfer um Verzeihung für das lange Schweigen des Ordens bittet. Die Franziskanerinnen hatten ihr Klosterarchiv erst 2007 für eine wissenschaftliche Auswertung der Dokumente aus der NS-Zeit freigegeben. Von den Todestransporten wusste man seit Kriegsende schon, aber die Verstrickung des damaligen Anstaltsleiters, Prälat Josef Steininger, wurde jetzt von den Historikern belegt. Bekannt war Steiningers Rolle, der bis zu seinem Tod 1965 als Widerstandskämpfer galt, bereits in den 1990er Jahren durch die Forschungen des Focus-Journalisten Markus Krischer. Doch das wurde in Schönbrunn ignoriert.

Und heute geht Schwester Benigna noch einen Schritt weiter in dieser schmerzhaften Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit der NS-Vergangenheit. Sie distanziert sich öffentlich von Steininger, dem sie vorwirft, früh mit den Nazibehörden kooperiert zu haben. Er habe nicht absichtlich töten wollen, aber den Tod der Heimbewohner in Kauf genommen, als er sie auslieferte, um die Pflegeanstalt zu retten. In diesem Moment, in der Stille des riesigen Kirchenschiffs, zerbricht der Mythos vom tapferen Prälaten Steininger. Es ist eine schwere Stunde für die Generaloberin, die immer wusste, welchen Schmerz sie damit den älteren Schwestern zufügt, die Steininger erlebt, geschätzt und bewundert haben. Jetzt fühlt sie sich befreit.

Spät in der Nacht, der Holocaust-Gedenktag geht schon seinem Ende zu, erzählt Dachaus Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU), wie tief ihn Charlotte Knobloch mit ihrer Rede am Dienstag im bayerischen Landtag beeindruckt habe. Die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinden in München und Oberbayern habe jungen Deutschen patriotische Gefühle zugestanden, schon deshalb, weil man das Land nicht den Rechten überlassen dürfe. So, sagt Bürgel, habe er das noch nicht bedacht. Und er wirkt erleichtert. Gerade an Tagen wie dem 27. Januar wird der Oberbürgermeister in einen Strudel von Gefühlen hineingezogen. Dachau ist seine geliebte Heimat, aber auch eine schwierige Heimat.

Ein paar Stunden zuvor hat er den KZ-Überlebenden Vladimir Feierabend aus Prag im Thoma-Haus begrüßt: "Der Name der Stadt Dachau ist auf engste mit der NS-Geschichte verknüpft. Und diese Geschichte kann nicht überwunden werden", sagte Bürgel. Dieses Eingeständnis, dass Dachau sein Nazi-Erbe nicht überwinden und verschwinden lassen kann, wirkt befreiend. Denn, wie Bürgel auch sagt, die Geschichte kann und muss man als eine politische Verantwortung für die Zukunft annehmen. So hat er auch die Worte Knoblochs verstanden.

Vladimir Feierabend, Präsident der tschechischen Lagergemeinschaft, berichtet vor fast 200 Besuchern vom Leidensweg seiner Familie durch die KZ, verhaftet, weil sein Onkel Ladislav Minister der tschechischen Exilregierung in London war. Feierabend, der als politischer Häftling in der politischen Abteilung des KZ Dachau die Eingangsakten ausfüllen musste, erzählt auch vom Leid der 30 000 jüdischen Häftlinge in den Außenlagern bei Kaufering. Fast jeder zweite starb an der Sklavenarbeit und am Hunger. Er warnt vor den Neonazis, ein paar Tausend in Tschechien, die Roma verfolgen und angreifen. Aber Feierabend macht es den Zuhörern durch seinen Humor leicht. Dann aber sagt er: "Ich frage mich noch heute, warum?" Dieser Satz bringt die Vergangenheit in den Saal. Wie das Zitat aus einem Interview über einen Kindertransport aus Schönbrunn. Schwester Maria Andrea, 2009 gestorben, berichtete. "Wir mussten in die Kapelle gehen. Als wir zurückkamen, waren, was für ein Schock, alle weg. Auf einmal war alles leer."

© SZ vom 29.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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