Wahlkampfendspurt in Bayern:"Jetzt mag ich nicht mehr!"

Lesezeit: 7 min

Der bayerische SPD-Spitzenkandidat Christian Ude und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf der Abschlusskundgebung ihrer Partei zur bayerischen Landtagswahl (Foto: dpa)

Die einen verteilen Luftballons und Rosen, andere leisten bis zum Schluss Überzeugungsarbeit - und manche gehen einfach gemütlich mit Freunden essen. Wie die bayerischen Spitzenkandidaten die letzten Stunden vor der Landtagswahl verbringen.

Gegen 12 Uhr am Marienplatz in München. Es hat gerade angefangen zu regnen, doch der Mann im beigen Trenchcoat scheint nichts davon zu bemerken. Mit Verve schnappt sich Christian Ude einen Strauß roter Rosen und stürmt auf eine Gruppe von 20-jährigen Frauen zu. Er drückt ihnen freundlich lächelnd die Blumen in die Hand, sagt ein paar nette Worte. Die jungen Frauen sind ein wenig verlegen, doch sie freuen sich.

So ist es auch bei allen anderen, die Ude an diesem Samstagnachmittag mit einer Rose beglückt. Oft muss er posieren, viele wollen ein Foto mit dem Mann, der am morgigen Sonntag zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt werden will. Kein Wunder, dass Ude hier gut ankommt. München ist für ihn Heimspiel.

Egal wie die bayerische Landtagswahl morgen auch ausgehen wird, eines muss man Ude lassen. Selbst am letzten Tag vor der Entscheidung kämpft der SPD-Kandidat noch mit einer Energie, die man bei anderen Politikern lange suchen muss.

Vor seinem Auftritt als Rosenkavalier in der Münchner Innenstadt hat sich Ude zwischen 10 und 11 Uhr noch einmal im Chat den Fragen der Mitbürger gestellt. Via Live-Webcam konnte man Ude umringt von seinem Wahlkampfteam in der SPD-Parteizentrale am Oberanger beobachten, wie er vor einem Computer sitzend offenbar ziemlich viel Spaß mit seinem jungen Mitarbeiter-Team hatte und den Bildschirm betrachtete. Selbst tippen sah man den SPD-Kandidaten jedoch nicht.

Bei der Fragerunde ging es um ein breites Themenspektrum, wie etwa eine erneute Olympiabewerbung, die Enthüllungen von Edward Snowden und die Überalterung in manchen Gegenden Bayerns. Auf Fragen wie "Herr Ude, wie möchten Sie als Ministerpräsident die Forschungslandschaft in Bayern verbessern?" bekamen die User Ude-typische Antworten: "Was und wo geforscht wird, soll natürlich die scientific community entscheiden und um Himmels Willen nicht der Ministerpräsident! Mein Beitrag wird sein: Mehr Geld für Forschung und Bildung und möglichst dezentrale Verteilung der Forschungseinrichtungen."

Süffisante Provokationen des Users "BrummBär32", der in die Runde warf: "Seehofer wird die Maut schon umsetzen! Wie kann man da nur dagegen sein? Es soll ja nur für Ausländer sein", konterte Ude souverän mit: "Sie sind ja so naiv, dass man es schon brummen hört! Nix für ungut, lieber Brummbär, aber eine PKW-Maut nur für Ausländer gibt es nirgendwo in Europa, wird es nie geben und kann es nie geben. Das bestätigt ja sogar die schwarz-gelbe Bundesregierung. Wenn Maut, dann für alle Autobahnbenutzer. Und das heißt: 95% zahlen die Deutschen. Vor allem Pendler! Die können doch nicht so dumm sein, die Abzocke der eigenen Person auch noch zu wählen."

Viele Themen, wenig Konkretes - und vor allem nichts Neues. Und am Sonntag? Da will Ude am späten Vormittag seine Stimme abgeben und anschließend mit der Familie im Englischen Garten essen gehen. Erst wenn die ersten Ergebnisse bekannt gegeben werden, will Ude vor die Presse treten.

Von Beate Wild

Horst Seehofer gestaltet das Wahl-Wochenende komplett anders. "Jetzt mag ich nicht mehr!" Mit diesen Worten hat er seine letzte Rede im Wahlkampf beendet. Zünftig, so sollte die CSU-Schlusskundgebung am Donnerstagabend in München sein. Mit Bierbänken, blau-weißen Fähnchen und Sitzpolstern, mit Bratwürsten und Sauerkraut. Als Seehofer vom Rednerpult stieg, sah er entspannt aus, nicht erschöpft. Ein Bier gönnte er sich trotzdem nicht, an dem runden Stammtisch in der Mitte der Halle trank er Saft.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer auf der Schlusskundgebung der CSU (Foto: dpa)

Anders als SPD-Herausforderer Christian Ude lässt er es in den letzten Stunden vor der Wahl ruhig angehen. Während die CSU "in die Phase des dezentralen Wahlkampfs" eingetreten ist, wie die Junge Union erklärt, also auf den Straßen und Plätzen des Freistaates Präsenz zeigt, hat Seehofer für den Samstag vor der Wahl nichts geplant. Er macht es da wie den gesamten Wahlkampf über: nur nicht den Eindruck erwecken, es sei notwendig zu kämpfen, womöglich sogar bis zur letzten Minute.

Seehofer inszeniert sich schon seit Monaten als Landesvater, der sich auf keine Scharmützel einlässt, sich nicht in die Niederungen des Wahlkampfs begibt. Aber gar nichts machen? Den ganzen Tag? Es könnte sein, dass sich der Ministerpräsident spontan in seinem Stimmkreis unters Volk mischt, sagt sein Sprecher. Seehofer tritt in dem neu geschaffenen Stimmkreis Neuburg-Schrobenhausen an.

Am Sonntag will Seehofer um 9 Uhr in Gerolfing wählen gehen - und dann "zum ersten Mal seit längerer Zeit in Ruhe frühstücken". Anschließend will er sich entspannen, seinen Hobbys nachgehen. Am späteren Nachmittag fährt Seehofer mit seiner Frau Karin in die Staatskanzlei. Dort wird er dann auf die ersten Prognosen und Hochrechnungen warten. Auch das in Ruhe, wie er betont. Er betont es etwas zu oft. Man spürt: Auch Seehofer, der sich zum ersten Mal in Bayern zur Wahl stellt, ist jetzt, so kurz vor der Entscheidung, nervös.

Von Sebastian Gierke

Die Grünen sind fleißig bis zum Schluss - Spitzenkandidaten eingeschlossen. Viel hat man in diesem Wahlkampf dennoch nicht von der Partei gehört: Bayern schaut auf das Duell Seehofer gegen Ude, Freie-Wähler-Chef Aiwanger könnte zum Königsmacher werden, die FDP kämpft gegen die drohende Bedeutungslosigkeit. Und die Grünen? Die setzen auf Sachpolitik. In den jüngsten Umfragen rutschte die Partei auf elf beziehungsweise zehn Prozent ab. In der Wahlkampfzentrale gibt man sich dennoch optimistisch: "Viele Wähler haben sich noch gar nicht entschieden, und die wollen wir jetzt erreichen", heißt es dort. Und Spitzenkandidatin Margarete Bause sagt: "Auf jeden Fall über zehn Prozent."

Entsprechend hart wird noch gearbeitet. Haben sich die Grünen mit der SPD abgesprochen? Die Aktionen der Parteien sind nämlich so gut wie identisch: Sechs Menschen sitzen um einen Tisch, die Tischdecke ist giftgrün mit großen Blumen, an den Wänden hängen Plakate, leises Tippen ist zu hören. "Kann jemand die Frage zu den Wahlplakaten beantworten?", fragt jemand. Auf einem alten Korbsofa werden Interviews geführt. WG-Atmosphäre statt schniekes Fernsehstudio also, Motto-Shirts statt Anzug. "Drei Tage Wach" heißt die Aktion der Grünen im Netz. Weil sich immer mehr Wähler erst kurz vor dem Urnengang entscheiden, für wen sie abstimmen, setzt die Partei auf den Wahlkampfendspurt. Auf 3tw-bayern.gruene.de kann der Bürger in den letzten 72 Stunden vor Schließung der Wahllokale Fragen stellen. Und damit er weiß, mit wem er es zu tun hat, lässt sich auch das Grünen-Team dabei filmen.

Neben dem Livestream ist zu sehen, wie viele Fragen bereits beantwortet wurden, mehr als 700 sind es am Samstagmittag. Manche mehr, manche weniger ernst gemeint. "Wo ist der grüne Anorak? Der würde so gut zur grünen Tischdecke passen", schreibt Mapa. "Ab wie vielen Tieren sprecht ihr von Massentierhaltung?", will dagegen Martin wissen. Auch die Politikprominenz nimmt an der Aktion teil. Am Samstagvormittag beantwortete Grünen-Chef Jürgen Trittin Fragen, am Abend kommt die bayerische Spitzenkandidatin Bause in die Drei-Tage-Wach-WG. Davor absolviert sie allerdings noch einige andere Termine. Ganz wollen sich die Grünen dann doch nicht auf den virtuellen Wahlkampf verlassen.

In München findet an diesem Samstag das Streetlife-Festival statt, ein autofreies Fest wie gemacht für die urbane Klientel der Grünen. Bause, die in diesem Wahlkampf bereits von Haustür zu Haustür gezogen ist, diskutiert dort über Bildung und Zukunft. Etwa 100 weitere Helfer haben in der ganzen Stadt Infostände aufgebaut. Wahlkampf auf die altmodische Art. Selbst die erst 28-jährige Katharina Schulze, Direktkandidatin für Milbertshofen, twittert: "Und was machst du heute so? Infostand, Infostand, Streetlife, Podiumsdiskussion, Kneipenwahlkampf, #3tw - #Endspurt #ltwby13."

Von Anna Fischhaber

Soviel Aktionismus wie SPD und Grünen lassen die Liberalen nicht mehr erkennen. Die FDP hat ihre Abschlusskundgebung zur Landtagswahl in Bayern am Freitag am Stachus in München abgehalten. Weil die Partei Umfragen zufolge knapp an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern droht, kamen auch Parteichef Philipp Rösler und Rainer Brüderle, der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Rösler weilte sogar schon am Donnerstag in der Stadt und verteilte Rosen:

Der hohe Besuch sollte dem bayerischen Spitzenkandidaten Martin Zeil noch mal Wählerstimmen bringen. Weitere Wahlkampfveranstaltungen scheint der amtierende Wirtschaftsminister aber nicht für nötig zu halten - seitens der FDP-Zentrale ist zumindest niemand für eine Auskunft zu erreichen, in der Rubrik "Termine" auf Zeils Homepage: gähnende Leere.

FDP-Fraktionschef Thomas Hacker ließ sich von den schlechten Umfragewerten zwischen drei und fünf Prozent nicht beeindrucken, er rechnete fest mit einem Wiedereinzug in den Landtag: "Acht Prozent sind unser Wahlziel. Ich gehe aber nach den Gesprächen mit den Bürgern in den vergangenen Tagen davon aus, dass das eher die Untergrenze sein wird." Zur Sicherheit twittert Hacker aber am Samstag noch ab und an. Etwa eine Grafik der frei fließenden Donau - samt Erklärung, dass der Ausbau-Stopp allein der FDP zu verdanken sei.

Im niederbayerischen Straubing, so meldeten Passanten am Samstag, machte die Kollnburger Bürgermeisterin Josefa Schmid noch Wahlkampf für sich. Durch ein kürzlich veröffentlichtes Video hat Schmid fast so etwas wie Berühmtheit erlangt, zumindest auf Youtube. Darin singt sie von der Liebe zur Heimat - selbstverständlich im Dirndl und inmitten des Bayerischen Waldes. In Straubing trägt sie kein Dirndl, erkannt wird sie trotzdem. Diese Bekanntheit kann die von der CSU zur FDP übergelaufene Politikerin gut gebrauchen, sie will morgen in den Landtag gewählt werden.

Von Thierry Backes

Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger hielt seine letzte größere Kundgebung wie die CSU bereits am Donnerstagabend ab. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Aiwanger stillhält. Den Samstag verbringt der Spitzenkandidat nebst Infostand und "vielen Freie-Wähler-Freunden und Kandidaten" in Landshut, erzählt einer seiner Mitarbeiter. Dort gehe es in erster Linie darum, weitere Unterschriften für das Volksbegeheren zur Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums zu sammeln. 19.000 Bürger haben schon unterschrieben, 25.000 müssten es bis zur Bundestagswahl am 22. September werden. Unwahrscheinlich, dass die Freien Wähler dieses Ziel noch erreichen. Aber aufgeben? Nicht mit Aiwanger.

Außerdem schließt Aiwangers Mitarbeiter nicht aus, dass sich in der Landshuter Fußgängerzone doch noch der ein oder andere unentschlossene Wähler überzeugen lässt, "diesen Effekt nehmen wir natürlich gerne mit." Also werden nochmal einen Nachmittag lang Luftballons, Kugelschreiber und Aufkleber verteilt. Den Abend will Aiwanger dann ruhiger verbringen. "Kraft tanken im Kreise der Familie", lautet die Ansage aus seinem Büro.

Am Sonntag gegen elf Uhr will der Freie Wähler-Chef im niederbayerischen Inkofen bei Rottenburg ins Wahllokal gehen und seine Kreuzchen machen. Am Nachmittag fährt er dann nach München zum Bayerischen Landtag. Da er eine klare Koaltitionsaussage bis zuletzt fast genüsslich verweigert hat, könnte es für Aiwanger ein großer Abend werden, je nach Ergebnis stehen ihm alle Optionen offen. Und dass die Freien Wähler mit der CSU mindestens genauso viele Übereinstimmungen haben, wie mit Rot-Grün, sorgt schon länger für Rechenspiele.

Von Ingrid Fuchs

© Süddeutsche.de/infu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: