Kriminalität:Wenn Polizisten zu Opfern werden

Jahresbericht 'Gewalt gegen Polizeibeamte'

Fast jeder zweite Polizist wurde 2016 Opfer von verbaler oder physischer Gewalt. Der beschädigte Polizeihelm steht symbolisch dafür.

(Foto: David Ebener/dpa)
  • Am vergangenen Wochenende kam es in Regensburg zu vier Übergriffen auf Polizeibeamte.
  • Dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern im schwersten Regensburger Fall um Afghanen handelt, hat die Debatte über Ausländerkriminalität befeuert.

Von Johann Osel, Ulrike Schuster und Wolfgang Wittl

Nach mehreren Attacken auf Polizeibeamte am Wochenende in Regensburg nimmt die Debatte über den Respekt vor Einsatzkräften wieder an Fahrt auf. In der Nacht zum Sonntag war es in der Stadt unabhängig voneinander zu gleich vier Übergriffen auf Beamte gekommen, ein Polizist brach sich dabei den Knöchel, ein weiterer erlitt eine Schädelprellung mit Gehirnerschütterung.

Ermittlungen wegen diverser Delikte laufen, gegen einen der Täter, einen 17-jährigen Afghanen, wurde wegen versuchter Tötung Haftbefehl erlassen. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte am Montag, er halte die Vorfälle für "völlig unerträglich". Es müsse "konsequenter gegen solche Gewalttäter vorgegangen werden".

Zahlreiche Übergriffe auf Polizisten und auch Rettungskräfte an Silvester hatten zuletzt bundesweit die Diskussion entfacht. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) verwies in der Folge darauf, dass der Bundestag 2017 die Strafen für Angriffe auf Rettungskräfte verschärft habe. Unter anderem wurde ein neuer Straftatbestand des "Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte" geschaffen.

Das bayerische Innenministerium hatte in einem "Lagebild" vergangenen Sommer eine verstörende Bilanz vorgestellt, wie sich Übergriffe auf Polizisten im Freistaat entwickelt haben. Ein Mord, mehr als ein Dutzend versuchte Tötungen, 2500 Körperverletzungen und viele Tausend Beleidigungen hat es 2016 gegeben; 16 450 Polizeibeamte wurde Opfer von verbaler und physischer Gewalt.

Das ist ein Plus von 10,2 Prozent, bei verletzten Beamten betrug der Zuwachs 16,3 Prozent. Das Gros der Fälle machten zwar einfache Körperverletzungen und Widerstände gegen Polizeivollzugsbeamte (gut 51 Prozent) aus; versuchte Tötungsdelikte haben sich aber - wenn auch auf niedrigerem Niveau - innerhalb von zwei Jahren verdoppelt. 67,2 Prozent der Tatverdächtigen standen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Schwerpunkt der Taten waren größere Städte.

"Gewalt gegen Polizeibeamte beschäftigt die Oberpfälzer Polizei das ganze Jahr über. Das Wochenende stellt allerdings mit Blick auf die Häufigkeit und Intensität eine Ausnahme dar", sagte ein Sprecher der Regensburger Polizei am Montag. Beide Beamte befanden sich Montagmittag noch im Krankenhaus. Der Beamte mit dem Knöchelbruch habe noch am Sonntag operiert werden müssen.

Als Polizisten am Samstag in den Regensburg-Arcaden am Hauptbahnhof nach Geschäftsschluss Personen kontrollieren wollten, versuchte eine Gruppe von 15 grölenden Jugendlichen, die Amtshandlungen zu behindern. Dann wollten Polizisten auch diese Personen kontrollieren. Es entstand laut Polizeibericht ein Handgemenge, bei dem ein Beamter zu Boden geschlagen wurde. Ein 17 Jahre alter afghanischer Mann trat ihm gegen den Körper, während der Hauptaggressor, ebenfalls ein 17-Jähriger afghanischer Herkunft, dem auf dem Boden liegenden 26-jährigen Polizisten mehrfach gegen den Kopf trat.

"Bei solch massiven Schlägen und Tritten auf den Kopf kann auch ein versuchtes Tötungsdelikt nicht ausgeschlossen werden", sagte der Polizeisprecher. Bei einem weiteren Einsatz - wegen Ruhestörung - schubste der Partyveranstalter einen Polizisten um, es gab ein Gerangel mit Gästen. Dabei brach sich ein Beamter den Knöchel. Widerstand leistete zudem im Regensburger Norden ein seit Längerem gesuchter Mann, als ihn Zivilbeamte festnahmen. In einem vierten Fall stach ein 33-Jähriger mit einer langen Schraube auf die Polizisten ein, die wegen eines Streits in der Wohnung alarmiert worden waren.

"Respekt, Anstand und Achtung gehen immer mehr verloren"

Was kann man tun? Herrmann hatte im Sommer auf Ausrüstung und Technik verwiesen: etwa auf Einsatzanzüge mit einer Schlag- und Stichschutzausrüstung oder auf neue Dienstpistolen. Auch Erfahrungen mit Körper-Kameras seien gut, sie zeigten, dass sich Täter zurückhielten, wenn sie die Kameras sähen. Herrmann verwies damals außerdem auf die konsequente Bestrafung der Gewalttäter durch die Novelle im Bund.

Das Problem: Oft handelt es sich offenbar um Eskalationen, die zunächst nicht so einzuschätzen sind. Am Montag wiederholte Herrmann, dass, anders als etwa bei Anarchisten bei gewalttätigen Demos, immer wieder "Alltagssituationen" Auslöser seien. Auch die Regensburger Taten kamen quasi aus dem Nichts. So war etwa beim Arcaden-Tumult keine Verstärkung angefordert worden.

Menschen verhielten sich in solchen Situationen extrem, sagt Thomas Bentele, "extrem enthemmt". Der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht von verrohter Sprache, gewachsener Sensationslust und Kontrollverlust. Heute werde der Streifenpolizist schon mal mit "Bulle" begrüßt und mit "Hurensohn" verabschiedet. Steckten früher die Hände in den Taschen, seien es heute häufig Messer. Half man früher noch am Unfallort, mache man heute lieber Fotos. Und wo früher Schluss war, gehe es heute weiter.

Liegt der Gegner am Boden, wird nachgetreten. "Respekt, Anstand und Achtung gehen immer mehr verloren", sagt Bentele, "nicht nur gegenüber der staatlichen Autorität, auch gegenüber dem Mitbürger", sagt er. Eine Mitschuld gibt er dem Alkohol - es werde mehr, länger und härter getrunken. In schärferen Gesetzen sieht er keine Lösung. Bentele ist für Charakterbildung, die aufrechte innere Haltung, zu schaffen allein durch Bildung und Erziehung in einer "starken Familie".

Sein Kollege von der deutschen Polizeigewerkschaft Bayern (DPolG), Jürgen Ascherl, sieht die Gesellschaft ebenfalls "im Exzess". Tabus, No-Gos gebe es nicht mehr, die Werte seien verhandelbar, Gewalt sehr schnell die Lösung, sagt er. Ascherl fordert von den Politikern Mut zur Wahrheit. "Zuwanderung heißt mehr Nationen im Land, heißt mehr Kulturen, mehr Unterschiede, also mehr Herausforderung." In der Pflicht sieht er auch die Familien, sie müssten nach den richtigen Werten erziehen, klare Orientierung geben.

Dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern im schwersten Fall der Regensburger Gewaltnacht um Afghanen handelt, hat die Debatte über Ausländerkriminalität befeuert. Die bayerische AfD schrieb in einer Mitteilung auf Facebook, wer sich "in unserem Land wie Eroberer benimmt, hat hier nichts verloren". In den Kommentarspalten wurde ein hartes Durchgreifen gegen die "halbwilden Horden" gefordert, die den Alltag in Bayern unsicher machten.

Tatsächlich schlagen sich Delikte durch Zuwanderer in der Kriminalstatistik deutlich nieder. Bei der Gewaltkriminalität - darunter fallen Totschlag, Vergewaltigung, Raub und schwere Körperverletzung - rückten 2016 Migranten mit einem Fluchthintergrund besonders in den Fokus. Obwohl sie einen geringen einstelligen Prozentanteil an der Bevölkerung ausmacht, stellte diese Gruppe bei der Gewaltkriminalität 20 Prozent der Verdächtigen. Bei Übergriffen auf Beamte war laut der Statistik vom Sommer jeder vierte Tatverdächtige Ausländer, dabei wurde nicht nach Flüchtling, sonstigen Migranten oder Touristen differenziert.

Herrmann sprach am Montag von "einzelnen Asylbewerbern", ergänzte aber: "Wir erwarten von jemandem, der in unser Land kommt und Zuflucht sucht, dass er sich rechtstreu verhält und nicht Gewalt gegenüber anderen Menschen und schon gar nicht gegen die Polizeibeamten verübt." Unter den anderen mutmaßlichen Tätern in Regensburg war neben den zwei Afghanen ein iranischer Staatsbürger, alle anderen sind Deutsche.

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