Bundestagswahl:Warum in Bad Kissingen die meisten Direktkandidaten weiblich sind

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Die Favoritin: die Direktkandidatin im Wahlkreis Bad Kissingen, Dorothee Bär (CSU), mit Kanzlerin Angela Merkel bei einer Wahlkampfveranstaltung. (Foto: dpa)

Fünf von sieben Direktkandidaten für den Bundestag sind Frauen - ein Spitzenwert, zumal in dieser katholisch geprägten Region. Ist das Zufall?

Von Claudia Henzler, Bad Kissingen

Ein Wahlkampftermin, Dorothee Bär ist zu Gast beim Familienfrühstück der Frauen-Union in der unterfränkischen Kurstadt Bad Kissingen. Etwa 50 Gäste sind ins Café Kaiser gekommen, um die Abgeordnete zu sehen, viele von ihnen sind selbst in der CSU aktiv, die meisten haben fünf oder mehr Jahrzehnte Lebenserfahrung. Für Bär ist das ein Heimspiel, ihr Wahlkreisbüro ist gleich nebenan.

Mit 39 Jahren liegt sie immer noch unter dem Altersdurchschnitt der Bundestagskandidaten, doch hier hat sich Bär, für viele nur "die Doro", längst als eigene Marke etabliert. Dem Bundestag gehört sie seit 15 Jahren an, seit 2009 vertritt sie den Wahlkreis Bad Kissingen direkt. Für Bär ist so eine Veranstaltung Routine. Auf Leute zugehen, ihnen das Gefühl geben, gesehen und gehört zu werden, vor Publikum reden und auch mal selbstbewusst eine witzig Bemerkung dazwischenrufen, wenn jemand anderes eine Rede hält.

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Dorothee Bär trat schon mit 14 in die Junge Union ein, sie war Stipendiatin der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, später stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union. Heute legt Bär Wert darauf, dass sie es zur parlamentarischen Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium gebracht hat. Sie hat schon lange keine Lust mehr, mit den Etiketten "jung" und "Frau" versehen zu werden.

Doch Frauen sind in der Politik noch immer in der Minderheit, vor allem bei der CSU - aber nicht nur dort. Dass, wie im Wahlkreis Bad Kissingen, gleich fünf von sieben Direktkandidaten weiblich sind, ist einmalig. Das entspricht einem Frauenanteil von 70 Prozent, der bundesweite Durchschnitt ist 25 Prozent.

Noch dazu haben die Kandidatinnen der drei Parteien, die 2013 am meisten Stimmen holten, alle gute Chancen, in den Bundestag einzuziehen: Bär als Direktkandidatin, die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar wieder über die Liste, ebenso wie Politikprofi Manuela Rottmann, die von den unterfränkischen Grünen aus Frankfurt zurück in ihre Heimat gelockt wurde. Die beiden anderen weiblichen Bewerber sind Andrea Klingen (AfD) und Michaela Reinhard (ÖDP) - und chancenlos.

Der Wahlkreis Bad Kissingen ist der größte in Bayern

Fragt man Dorothee Bär, warum sich im Wahlkreis Bad Kissingen so viele Frauen um das Direktmandat bewerben, sagt sie, das sei nicht relevant. "Ich habe nicht das Gefühl, dass es die Leute interessiert, ob bei den Direktkandidaten Frauen oder Männer stehen." Das Problem, sich bei der Kandidatenwahl in den einzelnen Kreisverbänden durchzusetzen, hätten nicht nur Frauen, sondern auch ganz generell junge Leute. Ungeachtet dessen ist in der CSU aus Bärs Sicht einiges passiert, um Frauen voranzubringen. "Wir haben schon viel gemacht. Wir haben die Frauenquote auf Bezirks- und Parteivorstandsebene, wir haben jetzt Mentoring-Programme."

Der Wahlkreis Bad Kissingen ist der größte in Bayern, er umfasst die drei Landkreise Bad Kissingen, Haßberge und Rhön-Grabfeld. Etwa 50 Prozent der Bevölkerung ist weiblich, die Gegend insgesamt eher katholisch geprägt (zwei Drittel). Dass es hier ein besonders fortschrittliches Frauenbild gebe, sieht die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar nicht.

Auch die Grüne Manuela Rottmann hält den Wahlkreis 248 nicht für eine Hochburg der Emanzipation. "Von der Grundstruktur her ist es schon noch so, dass die Frauen Kuchen backen und die Männer treffen die Entscheidungen", sagt sie. In der Regel trügen die Frauen die Hauptlast des Familienlebens, engagierten sich in Kitas und Elternbeiräten und hielten den Laden zusammen. Die Machtfrage aber stellen sie eher nicht. "Sie sind schon stark, aber auch sehr bescheiden", findet Rottmann.

Wenn man sich unterhalb der Bundespolitik umsieht, muss man tatsächlich feststellen: Politisch dominieren die Männer. Das gilt für Bürgermeisterämter und kommunale Gremien, aber auch für den Landtag. Die Stimmkreisabgeordneten sind bei der CSU und männlich.

Aber es gebe durchaus Veränderungen, sagt Nikola Renner-Knopp. Sie ist Anwältin und Vorsitzende der Frauen-Union im Landkreis Bad Kissingen, die zum Frühstück mit Dorothee Bär eingeladen hat. Ungeachtet des Veranstaltungsortes sagt Renner-Knopp: "Hier ist inzwischen eine Generation von Frauen aktiv, die sich absetzen wollen von Kaffeekränzchen-Politik." Gerade in der Frauen-Union habe sich viel getan. "Wir wollen uns einmischen und Politik machen." Emilia Müller und später Angelika Niebler hätten das Image der Frauen-Union verändert. Und die Quote sei "ein Werkzeug, das uns weitergebracht hat".

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Im Jahr 2010 hatte die CSU nach heftiger Kontroverse eine Minimalquote eingeführt. Auf Landes- und Bezirksebene müssen seitdem 40 Prozent der Ämter weiblich besetzt werden. Auf die Kür von Landtags- oder Bundestagskandidaten der CSU hat die Quote keinen Einfluss.

Die Grüne Manuela Rottmann sagt, sie könne bei der CSU keine echte Frauenförderung beobachten. Bär sei eine Vorzeigefrau, das moderne Gesicht der Partei. "Frau Bär ist eine Kirsche auf einem Kuchen, der ganz anders schmeckt."

Walter Gutmann, stellvertretender Kreisvorsitzender der CSU, hält es aber für denkbar, dass Bär eine Vorbildwirkung hat - und das nicht nur für andere Bewerberinnen. Sie war gerade mal 24 Jahre alt, als sie erstmals gewählt wurde. Könnte schon sein, sagt Gutmann, dass sich durch die "sehr junge" Abgeordnete der Filter geändert hat, bei denen, die einen Bewerber suchen und unterstützen müssen. Dass sich der Blick für mögliche Kandidaten geweitet hat. Auffällig ist, dass in Unterfranken drei von fünf CSU-Direktkandidaten Frauen sind (Bär, sowie Anja Weißgerber, Jahrgang 1976, und Andrea Lindholz, 1970).

Die Kandidatinnen sind mehr als Quotenfrauen

Was die Häufung im eigenen Wahlkreis angeht, haben Bär, Dittmar und Rottmann dieselbe Erklärung: "Zufall". Jede der Frauen kann auf einen sehr eigenen, langen Werdegang zurückblicken. Sabine Dittmar, 52 Jahre alt, war mit 26 Kreisrätin, noch bevor sie ihre Approbation als Ärztin erhielt, wurde Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete, bevor sie 2013 als Nachfolgerin von Susanne Kastner nach Berlin ging.

Die Juristin Manuela Rottmann, 45, wurde kürzlich nach Unterfranken re-importiert, weil dort eine starke Kandidatin für die Region gesucht wurde. Rottmann war von 2006 bis 2012 in der schwarz-grünen Stadtregierung in Frankfurt sechs Jahre lang hauptamtliche Dezernentin.

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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