Bundestagswahl 2017:Nicole Gohlke: Die Frau, die sich einmischen muss

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Nicole Gohlke hat klare Positionen in der Politik. Die Politikerin der Linken sagt bei Wahlkampfveranstaltungen solche Sätze nicht, sie feuert sie. (Foto: Florian Peljak)

Das ist die klare Philosophie der Linken-Politikerin - sie spricht für alle, die zu kurz kommen. Früher tat sie das auf Demos, heute im Bundestag.

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Ausgerechnet Nicole Gohlke sagt diesen Satz, den man sonst immer von der CSU hört: "Mehr Sicherheit muss das Thema des Wahlkampfs sein." Ja, es handelt sich bei der Sprecherin tatsächlich um die Linken-Politikerin, die seit 2009 im Bundestag sitzt, die Marx zitiert und die den Freistaat den "Vorreiter einer repressiven Innenpolitik" nennt. Nun müssen sich weder die CSU noch die Linke größere Sorgen machen, bei Nicole Gohlke, 41, ist alles in Ordnung.

Sie hat nicht härtere Gesetze und mehr Polizisten im Sinn, wenn sie von mehr Sicherheit spricht. Sie will andere Ängste bekämpfen als die CSU, weil sie diese für realitätsnäher hält: etwa die Angst, bei der nächsten Mieterhöhung aus der Wohnung zu fliegen, als Rentner Flaschen sammeln zu müssen, als Eltern keinen Kita-Platz zu bekommen, oder als Wissenschaftler nie einen festen Vertrag zu erhalten. "Es ist blanker Hohn, wenn die CDU und im Schlepptau die SPD ständig erklären, Deutschland stehe so gut da wie nie zuvor."

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So sagt es Nicole Gohlke im gesteckt vollen Saal im Wirtshaus Echardinger Einkehr. Was nicht ganz der Wahrheit entspricht: Sie sagt solche Sätze nicht, sie feuert sie. Nicht einmal das Mikrofon, das durch gezielte Aussetzer offensichtlich Sabotage betreibt, kann diesen schnellen und harten Duktus bremsen, wie er sonst oft auf linken Demos zu hören ist.

Doch auch bei den Menschen im Saal kommt die Botschaft an, ebenso beim "Bernd", über dessen Besuch sich Gohlke im Wahlkampf ganz besonders freut. Gemeint ist Bernd Riexinger, Parteichef der Linken, der vermutlich einen großen Teil dazu beigetragen hat, dass vor Beginn der Veranstaltung junge Männer noch schnell Gartenbänke hereinschleppen müssen, die vom Regen noch ein bisschen nass sind. "Mich hätte sie überzeugt", sagt der Chef über seine Partei-Kollegin nach deren Rede. "Ich würde sie wählen."

Dieser Empfehlung wird im Münchner Süden erfahrungsgemäß eine sehr überschaubare Menge von Menschen nachkommen. Beim vergangenen Mal im Jahr 2013 erhielt Gohlke 3,9 Prozent der Erststimmen. Doch der schwierige Stand der Linken in München wird ihre politische Karriere nicht bremsen.

Gohlke steht auf Platz 2 der Landesliste

Gohlke bildet mit Klaus Ernst das Spitzenduo ihrer Partei für die Bundestagswahl in Bayern, mit Platz zwei auf der Landesliste ist sie perfekt abgesichert. Aus gutem Grund, sagt Parteichef Riexinger. "Sie spielt eine Super-Rolle in der Bundespolitik." Dort kümmert sie sich für die Linke seit ihrem ersten Einzug in den Bundestag im Jahr 2009 um Hochschul- und Wissenschaftspolitik. Dass die Zukunftsängste des Nachwuchses an den Universitäten auf ihrer Agenda weit oben angesiedelt ist, hat also einen Grund.

Wenn bei der Wahl alles glatt geht, wird sie dieses Amt wohl weiter behalten, obwohl sie schon auch zu anderen Themen etwas zu sagen hätte. Während sie in einem Café nahe ihrer Wohnung in Haidhausen tatsächlich eine "rote Liesl" (Cranberry, Soda, Limette und Minze) trinkt, kommt sie schnell auf die hohen Mieten zu sprechen. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass auch eine nicht schlecht verdienende Familie mit einem Kind schon an Grenzen gehen muss, um sich München leisten zu können.

"Ein zweites Kind heißt für viele, sie müssen raus aus der Stadt." Obwohl sie anerkennt, dass München viel gegen die Mietexplosion unternimmt, sind ihr die Konzepte noch "viel zu zahm". Gohlke würde eine gesetzliche Mieten-Obergrenze einführen. "Das hört sich radikal an. Gemessen an dem, was die Menschen mitmachen, ist es aber nicht mehr so radikal."

Wenn sich Eigentümer dann darüber beschwerten, dass das einer Enteignung gleichkäme, packt sie die Wut: "Was haben die für einen Kompass? Die Mieter finanzieren doch deren Eigentum." Überhaupt fragt sich Gohlke, wie es mit dem Kompass in der Gesellschaft bestellt ist. Bei den Abschiebungen von Flüchtlingen etwa, bei der Behandlung von Pflegekräften oder von Rentnern. Aber auch international, wie die westliche Welt mit den ärmeren Staaten Europas und der Welt umgehe.

Proteste gegen einen G-20-Gipfel in Hamburg sind für sie nötig und selbstverständlich. Die Auswüchse allerdings nicht. "Es ist völlig daneben, Autos anzuzünden." Die inhaltliche Kritik, die 80 000 Demonstranten ausgedrückt hätten, gehe dadurch unter. Allerdings sieht sie den Auslöser der Gewalt auch in der Gesellschaft angelegt. "Wenn die Perspektivlosigkeit zunimmt, nimmt auch die Verrohung zu."

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Über Proteste auf der Straße kann man mit Gohlke trefflich sprechen, auch wenn sie diesmal in Hamburg nicht persönlich dabei war. Die etablierte Bundestagsabgeordnete hat ihre politische Karriere auf der Straße begonnen. Schon als Schülerin in Giesing protestierte sie gegen den zweiten Golfkrieg und gegen die Angriffe auf Asylbewerber.

Nach dem Abitur studierte sie Kommunikationswissenschaften, als die Studenten gegen das neue Hochschulrahmengesetz streikten, war sie dabei. Sie engagierte sich bei den Globalisierungsgegnern von Attac, protestierte 2001 gegen den G-8-Gipfel in Genua. Ihre Gesellschaftskritik führte sie weit nach links, sehr weit. Noch heute wird sie der Gruppe "Marx 21" zugerechnet, die die "Macht der Konzerne" brechen und eine "Alternative zum Kapitalismus" aufbauen will.

Nach dem Studium führte das zu einer fast schizophrenen Lebenssituation: Gohlke arbeitete für Eventagenturen im Dienste genau solcher Konzerne, die sie eigentlich am liebsten abgeschafft hätte. Kein dauerhaftes Modell für die Zukunft, mit der Gründung der WASG und später der Linken eröffnete sich ein unerwarteter Weg, Berufung und Beruf zu verbinden. Allerdings auch ein Weg, der von der außerparlamentarischen in die parlamentarische Opposition führte. Mittlerweile hat sie sich damit angefreundet. "Ich finde, dass man da viel erreichen kann."

Kämpferin gegen die Ungerechtigkeit

So ganz kann und will sie aber den provokanten Protest nicht lassen. Bei einer Demo gegen den IS zeigte sie 2014 demonstrativ eine Flagge der verbotenen PKK und wurde ein Jahr später dafür verurteilt. Andererseits hat sie auch an Untersuchungsausschüssen und kritischen Anfragen im Parlament Gefallen gefunden.

Im Idealfall vereint die Politik für sie beides, wichtig ist ihr, dass sich die Menschen leidenschaftlich für eine bessere Welt einsetzen. Das gelte für Politiker, aber auch für die Wähler. "Mach dein Kreuz bei uns, und dann wird alles gut", diese Haltung mag sie auch im Wahlkampf nicht. Sich einmischen, das müsse die Philosophie sein. Und zwar auf der Seite derer, die zu kurz kämen.

So verspricht sie es auch im Saal der Echardinger Einkehr. Immer weniger Menschen würden immer reicher. Zu den meisten "sickert nichts mehr durch", sagt Gohlke. Um diese Menschen will sie sich auch in den kommenden vier Jahren im Bundestag kümmern. "Wir kennen und sehen diese Menschen und sorgen dafür, dass die Ungerechtigkeit nicht unter den Teppich gekehrt wird."

© SZ vom 29.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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