Schweinegrippe-Impfung:"Ein unhaltbarer Zustand"

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Wenn die Behörden mit der Pharmaindustrie: Korruptionsexpertin Spelsberg über die Fehler der Bundesregierung und den fraglichen Nutzen der Impfung.

Barbara Galaktionow

sueddeutsche.de: Wie glaubwürdig ist die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) für die Schweinegrippe-Impfung? Wurden hier Nutzen und Risiken adäquat gegeneinander abgewägt?

In Deutschland werden jetzt die Schweinegrippe-Impfstoffe ausgeliefert - doch sind sie überhaupt notwendig? (Foto: Foto: dpa)

Angela Spelsberg: Ganz klar: nein. Das Problem ist die neue Impfstrategie von 2003/2004 der "Vaccine Working Party" der europäischen Zulassungsbehörde Emea. Die Zulassung eines neuen Impfstoffs ist nun innerhalb von drei Tagen möglich, weil sogenannte Mock-up-Impfstoffe (engl. für "Attrappe", Anm. d. Red.) hergestellt werden. Der Impfstoff gegen die Schweinegrippe basiert auf einem, der eigentlich für die Vogelgrippe H5N1 entwickelt und jetzt nur mit den Antigenen der Schweinegrippe H1N1 versehen wurde. Diese Modell-Impfstoffe sind wesentlich niedriger dosiert als die herkömmlichen. Kein Mensch weiß, ob und wie lange sie wirklich funktionieren. Hinzu kommt, dass die Wirkverstärker, die Adjuvantien, nicht ausreichend getestet wurden.

sueddeutsche.de: Welche Verbindungen gibt es zwischen der Stiko und den Impfstoffherstellern?

Spelsberg: Zahlreiche. Die Mehrzahl der 16 Mitglieder hat Kontakte zu den wichtigsten Impfstoffherstellern. Es gibt Mitglieder, die in der Stiko sitzen und gleichzeitig Impfstoffe testen. Andere halten Vorträge für die Hersteller von Impfstoffen oder sind für das von Produzenten von Impfstoffen finanzierte "Forum Impfen" tätig. Und einige waren mal Mitglied der Stiko und sitzen jetzt in Pharmakonzernen.

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sueddeutsche.de: Auch um die Unabhängigkeit der europäischen Zulassungsbehörde Emea ist es laut Ihrer Organisation Transparency International schlecht bestellt...

Spelsberg: Die Vorgänge bei der Emea sind ein noch größeres Problem. Hier werden die Impfstoffe ja zugelassen. Transparency kritisiert schon seit Jahren, dass diese Behörde der Generaldirektion Wirtschaft der EU-Kommission unterstellt ist und nicht der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz. Zudem wird die Emea zu fast zwei Dritteln von der Pharmaindustrie finanziert. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Es zeigt sich, dass die Mechanismen der Kontrolle nicht mehr funktionieren.

sueddeutsche.de: Hat Ihrer Ansicht nach auch die Bundesregierung Fehler gemacht?

Spelsberg: Das Problem ist vor allem, dass sie nicht auf das veränderte Bedrohungsszenario reagiert. Zu Beginn des Ausbruchs wurde die Gefährlichkeit des H1N1-Erregers überschätzt und es gab wenig gesicherte Daten. Inzwischen ist der weltweite Verlauf der sogenannten "Schweinegrippe" im Vergleich zur üblichen saisonalen Grippe als mild zu beschreiben, nicht nur in Deutschland, sondern auch auf anderen Kontinenten. Die Todesrate bei Menschen, die sich mit dem Erreger angesteckt haben liegt weltweit bei etwa 0,2 Prozent. In Deutschland starben bislang zwei Menschen am Schweinegrippe-Erreger (noch viel weniger als die bei der angegeben Todesrate zu erwartenden potentiellen 46 Todesfälle) - beide waren gesundheitlich vorbelastet. Trotzdem laufen die Maßnahmen gegen eine Pandemie unvermindert weiter. Der Nutzen und das Risiko einer Impfung werden nicht erneut gegeneinander abgewogen. Es gibt in Deutschland keinen Plan, wie man eine Pandemiewarnung wieder zurückfährt.

sueddeutsche.de: Gut, das Szenario mag nicht mehr so bedrohlich sein, aber der Impfstoff wurde nun mal bestellt und das Geld dafür ausgegeben. Wird die Impfung deshalb durchgezogen?

Spelsberg: Gesundheitsfragen können nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien behandelt werden. Bei einer Impfung muss der Nutzen größer sein als der mögliche Schaden. Und wenn der Schaden gering erscheint, muss halt auch der Nutzen sowie das mögliche Risiko neu bewertet werden.

sueddeutsche.de: Müssen die Verantwortlichen mit Konsequenzen rechnen, falls es zu schweren Negativfolgen einer Schweinegrippe-Impfung kommt?

Spelsberg: Nein, und das ist ja Teil des Skandals. Die Impfstoffhersteller haben sich ausbedungen, dass sie für mögliche Nebenwirkungen nicht verantwortlich zu machen sind.

sueddeutsche.de: Können Sie einen Tipp geben, an wessen Empfehlung man sich nun halten kann - die der Ärzte?

Spelsberg: Die Glaubwürdigkeit der eigentlich zuständigen Kommission, der Stiko, ist auf alle Fälle in Zweifel zu ziehen. Die Ärzteschaft ist, was die Schweinegrippe-Impfung angeht, komplett gespalten. Und das ist gut. Denn die Notwendigkeit der Impfung und ihre Begleitumstände müssen öffentlich ausdiskutiert werden. Die Stiko und das Robert-Koch-Institut müssen darlegen, warum sie an ihrer positiven Haltung gegenüber der Impfung festhalten. Und da reicht ein Hinweis auf eine mögliche Mutation des Virus' nicht. Schon bei der Vogelgrippe wurde mit diesem Was-ist-wenn-Szenario operiert. Das ist alles vollkommen überzogen.

sueddeutsche.de: Was muss jetzt getan werden? Sie fordern unter anderem, ein parlamentarischer Untersuchungssausschuss müsse die Vergabe der Impfstoffherstellung an den Konzern GlaxoSmithKline (GSK) untersuchen...

Spelsberg: Nicht nur bezüglich der Vergabe an GSK. Außerordentlich fragwürdig ist doch auch die jetzt bekannt gewordene Bestellung eines anderen, nicht adjuvantierten Impfstoffes für die Bundeswehr und für Regierungsangehörige und Bundesbeamte. Dokumente und Sitzungsprotokolle, das muss alles auf den Tisch. Es kann nicht sein, dass so folgenreiche und kostenintensive Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt werden. Parlamentarische Kontrolle ist in solchen Gesundheitsfragen enorm wichtig - auch für die Zukunft.

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