Archäologie:Forscher finden Hunderte alte Römerlager auf Spionage-Bildern

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Römerlager wurden in der Regel nach einem festen Schema errichtet. Das half den Forschern, sie auf den Satellitenaufnahmen aus dem Kalten Krieg zu identifizieren. (Foto: Jesse Casana, David Goodman, Carolin Ferwerda/US Geological Survey)

Im Nahen Osten sind 396 bislang unbekannte römische Festungen entdeckt worden - auf Satellitenaufnahmen der USA aus dem Kalten Krieg. Die Daten werfen bisherige Gewissheiten über den Haufen.

Von Hanno Charisius

Archäologische Entdeckungen hatten die USA eher nicht im Sinn, als sie in den 1960er- und 1970er-Jahren mit Spionagesatelliten Luftbilder vom Nahen Osten anfertigten. Doch nun rütteln diese Aufnahmen an vermeintlichen Gewissheiten über die Geschichte der Römer im Nahen Osten. Forscher haben auf ihnen 396 bislang unbekannte Römerlager im heutigen Syrien entdeckt, wo das Römische Reich einst im Osten an benachbarte Gebiete stieß. Bislang galt als wahrscheinlich, dass die dortigen Befestigungsanlagen als Abwehrwall gegen Feinde gedient hatten. Doch die neu entdeckten Strukturen lassen ihre Entdecker Jesse Casana, David Goodman und Carolin Ferwerda vom Dartmouth College in Hanover, USA, darauf schließen, dass dieser Wall nicht so undurchlässig war wie gedacht. Die Festungen dienten demnach vielmehr dem Handel und der Sicherung von Verkehrswegen in alle Richtungen.

Die Römer hatten erstmals im frühen zweiten Jahrhundert nach Christus in die Region ausgegriffen. Kaiser Augustus hatte den Euphrat noch als Ostgrenze des Reiches anerkannt. Unter den Kaisern Trajan und später Septimius Severus setzten sich die Römer jedoch in Mesopotamien fest. Ihre Lager dort hatte bislang maßgeblich der französische Landschaftsarchäologe, Jesuitenmissionar und Pilot Antoine Poidebard erforscht. Mitte der 1930er-Jahre erfasste dieser von seinem Doppeldecker aus 116 Bauwerke in der Region, später untersuchte er einige davon näher. Poidebard zufolge gehörten diese Festungen, die größtenteils wohl zwischen dem zweiten und sechsten Jahrhundert nach Christus errichtet worden waren, zu einer Verteidigungslinie, um die östlichen Provinzen des Reiches vor Überfällen zu schützen. Die neuen Entdeckungen deuten nun jedoch darauf hin, dass diese Grenze fließend war, ein Ort des "Handels per Karawane, der Kommunikation und des Militärtransports", wie sie nun im Fachjournal Antiquity berichten.

"Enormes Potenzial für künftige Entdeckungen im Nahen Osten und darüber hinaus"

Die jetzt ausgewerteten Luftaufnahmen stammen aus dem weltweit ersten Spionage-Satellitenprogramm, das im Kalten Krieg zwischen West- und Ostblock von den USA gestartet worden war. Diese frühen Satellitenbilder hat der US-Geheimdienst bereits vor gut 20 Jahren freigegeben. Seither nutzen Archäologen die Bilder, um nach alten Strukturen zu suchen.

"Seit den 1930er-Jahren haben Historiker und Archäologen über den strategischen oder politischen Zweck dieses Befestigungssystems debattiert", schreiben Casana, Goodman und Ferwerda in ihrem Bericht. "Aber nur wenige Wissenschaftler haben Poidebards grundlegende Beobachtung infrage gestellt, eine Reihe von Festungen habe die römische Ostgrenze definiert." Die 396 neu entdeckten Stätten seien jedoch über ein so großes Gebiet verteilt, dass sie diese These nicht mehr stützen.

Bei ihrer Analyse profitierten die Forscher davon, dass römische Lager in der Regel nach einem stets ähnlichen, rechteckigen Schema angelegt wurden. So konnten sie aus 10 000 fraglichen, auf den Satellitenbildern entdeckten Strukturen jene herausfiltern, die offenbar vom römischen Militär stammen. Die neue Auswertung zeigt auch, wie sehr sich Archäologen beeilen müssen, wenn sie die Strukturen vor Ort untersuchen wollen. Von den 116 Bauwerken, die Poidebard in den 1930er-Jahren beschrieben hatte, konnte das Team auf den wenige Jahrzehnte jüngeren Aufnahmen nur noch 38 sicher identifizieren. Das deute darauf hin, "dass die archäologischen Stätten in erheblichem Maße zerstört wurden, und es ist unwahrscheinlich, dass sich dieser Prozess in den letzten Jahrzehnten verlangsamt hat". Zugleich hofft das Team auf die Freigabe weiterer Spionagebilder mit womöglich feinerer Auflösung und mehr Blickwinkeln auf die Erdoberfläche. Eine Analyse solcher Daten berge "ein enormes Potenzial für künftige Entdeckungen im Nahen Osten und darüber hinaus".

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