Populismus:Wissenschaft muss für die Demokratie streiten

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Auf einer Demonstration gegen die Leugnung des Klimawandels in New York vor zwei Wochen (Foto: AFP)

Populisten wollen von "Experten" nichts wissen und verwischen die Grenzen zwischen "facts" und "fakes". Wissenschaft kann sich dagegen wehren - und zugleich die Gesellschaft stärken.

Gastbeitrag von Peter Strohschneider

Zusammen mit unseren europäischen Nachbarn leben wir in der reichsten, freiesten und friedfertigsten Gesellschaft, die es in der Geschichte menschlicher Zivilisationen gegeben haben dürfte. Diese Erkenntnis aber fällt zunehmend schwer. Unüberhörbar ist der Wunsch, 2017 möge möglichst wenig von dem wiederbringen, was 2016 prägte.

Dazu gehören gewiss Staatsschulden und Legitimationskrise der Europäischen Union, Migration und islamistischer Terrorismus. Prägend aber war vor allem, dass sich diese Schwierigkeiten mit anderen, mit Erderwärmung, Kriegen, geopolitischen Machtverschiebungen, unter den Bedingungen von Globalisierung und Digitalisierung zu einem sozialen Klimawandel ganz eigener Art verdichten: Die Temperatur unserer Gesellschaft ist gestiegen.

Es macht sich - befeuert durch die 'sozialen', tatsächlich aber oft 'asozialen' Medien - eine Vulgarisierung breit, die die liberale Gesellschaft selbst, ihren gelassenen Pluralismus und ihre rationale Streitkultur gefährdet. Damit einher geht ein Auseinanderdriften der Gesellschaften in erhitzte Gemeinschaften, die sich davon entpflichtet fühlen, einander differenziert wahrzunehmen, und stattdessen notfalls alles gewaltsam ausschließen wollen, was ihnen irritierend, unvertraut oder fremd vorkommt. Zumindest rhetorisch an die Weimarer Republik erinnernd, halten Kampfformen Einzug, die gesellschaftliche Auseinandersetzungen als "Notwehr" einer "Volksgemeinschaft" gegen das "System" inszenieren. Exemplarisch dafür ist das Schmähwort vom "Experten". Dessen Wissen scheint als dasjenige einer "Elite" schon desavouiert zu sein. Das "Volk", so geben die Populisten zu wissen vor, habe daher von den "Experten" definitiv genug.

All dies nimmt auch die Wissenschaften in die Verantwortung. Sie müssen - schon um ihrer selbst willen - für die aufgeklärte Gesellschaft und den demokratischen Verfassungsstaat streiten. Wie aber können sie das, wenn das Gebildetsein und die wissenschaftliche Expertise selbst verächtlich sein sollten? Einfach wie bisher mehr Expertise und mehr Geld für noch mehr Expertise fordern? Das wird nicht helfen.

Wissenschaft braucht gesellschaftliches Vertrauen. Das stellt sich nur allmählich ein und bleibt fragil. Auch wirken die Wissenschaften mit wachsender Beschleunigung an jener Umgestaltung der Welt mit, die sich längst nicht mehr simpel als Fortschritt erzählen lässt. Moderne Technologien können Instrumente einer radikalen Umverteilung von Macht und Lebenschancen sein. Dabei wird es auch Verlierer geben. Was sollte ihnen Vertrauen in die Wissenschaft einflößen?

Die Hoffnung auf Erlösung kann Wissenschaft nur enttäuschen

Genauso machen es Wissenschaft und Forschung selbst der Gesellschaft nicht immer leicht, ihnen zu vertrauen - nicht nur dort, wo es zu Laxheit, Fehlern oder Fehlverhalten kommt. Erschwert wird das Vertrauen auch durch die Verheißungen, mit denen die Wissenschaft von sich reden macht. Es wächst der Druck, den direkten gesellschaftlichen Nutzen von investierten Mitteln nachzuweisen und mit Versprechungen aller Art zu reagieren - von der Schaffung von Arbeitsplätzen über die Besiegung der großen Volkskrankheiten bis zur Rettung der Welt überhaupt. Die Hoffnung auf Erlösung von allem Bösen und das ewige Leben können die Wissenschaften aber nur enttäuschen.

Auch von Macht ist zu reden, wenn es um Vertrauen geht: Wissenschaftliche Erkenntnis ermöglicht enorme private Machtansammlungen auf unterschiedlichen Feldern: Digitale Algorithmik oder Datenkapitalismus, synthetische Biologie oder Genome Editing. Von demokratischer Politik können diese Ansammlungen allenfalls teilweise noch kontrolliert werden. Es steht also auch die "Demokratiefähigkeit von Technologien" (Klaus Töpfer) infrage. Schließlich sollten auch die Paradoxien nicht verschwiegen werden, in denen sich die wissenschaftspolitischen Diskurse immer wieder verheddern und die Vertrauenswürdigkeit beschädigen. So behaupten wir, wissenschaftliches Wissen sei verlässlich - und könne zugleich durch künftiges Wissen falsifiziert werden. Und wir erklären Wissen zum wichtigsten Faktor ökonomischer Prosperität, uns Wissenschaftler aber als unzuständig für die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus.

Andere Vertrauenserschwernisse sind unvermeidbar: Der Abstand zwischen einer praktischen und einer methodisch forschenden Einstellung zur Welt, zwischen dem Alltagswissen und der Spitzenforschung ist nun einmal ebenso enorm wie die Abstraktheit und Komplexität neuer Forschungsergebnisse.

Neu hingegen und besorgniserregend ist, dass und wie sich Populisten solche Konstellationen zunutze machen. In ihrem Schatten verwischen sie die Grenzen zwischen facts und fakes. Die populistische Entgegensetzung von "Volk" und "Eliten" wird mit den Glaubwürdigkeitsproblemen der Wissenschaften ausstaffiert. Offene Wissenschaftsfeindlichkeit bedient sich ihrer als einer Krücke: ein Anti-Intellektualismus, der mit den Wissenschaften die Differenziertheit öffentlicher Diskurse und rationalen Streitens im Blick hat, tatsächlich und zugleich aber auf die pluralistische Gesellschaft und die freiheitliche Demokratie zielt.

Wie kann die Wissenschaft in diesem Streit Verantwortung übernehmen - und ihr gerecht werden?

Forschung betrachtet alles mit Abstand. Das ist ihre Stärke

Nichts hülfe es jedenfalls, wenn wir als "Protagonisten einer Deutungselite nur angewidert auf die Schmuddelkinder des Diskurses zeigen", wie es der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen formuliert - oder mit dem falschen Schlagwort vom "postfaktischen Zeitalter" die gesellschaftliche Polarisierung weiter anheizen würden, statt den Anspruch auf präzise Argumentativität aufrechtzuerhalten. Nutzlos auch, mit dem Fuß aufzustampfen und zornig zu beteuern: Es braucht doch unsere Expertise! Es gibt aber Fakten! Der politische Einsatz von Lüge und Denunziation ließe sich so kaum eindämmen.

Und doch gibt es auch für die Wissenschaft und Wissenschaftspolitik Handlungschancen. Sie zeichnen sich überall dort ab, wo die Wissenschaften gelassen ihre Stärken nutzen und ihre spezifische Indirektheit des Weltverhältnisses pflegen: Forschung nimmt Abstand von ihren Gegenständen, eben um sie erkennen zu können. Sie setzt die Bereitschaft voraus - und das muss im Studium kultiviert werden -, sich durch die Welt und das, was andere über die Welt wissen, produktiv irritieren zu lassen. Genau deshalb können und müssen die Wissenschaften für die pluralistische Gesellschaft und den demokratischen Verfassungsstaat kämpfen; auch diese sind ohne die "Werte der Indirektheit" und ein "Recht auf Distanz", wie es der Göttinger Philosoph Helmuth Plessner einst genannt hat, nicht denkbar.

Streiten aber heißt hier vor allem, dass denen, die die Wissenschaften tragen, klar ist und dass sie klarmachen: Es reicht nicht, wissenschaftliches Wissen einfach bereitzustellen. Es muss auch stets vermittelt werden, mit welchen Methoden es zustande gekommen ist. Bei der Kommunikation wissenschaftlichen Wissens, ob öffentlich oder im Expertenrat, muss stets mitkommuniziert werden, wie selektiv jedes Wissen ist und aus welcher Perspektive es erzielt wurde. Die Expertise von Forschern ist allein dann vertrauenswürdig, wenn sie sich als Element jener Vielstimmigkeit der Wissenschaften zu erkennen gibt, die den Pluralismus moderner Gesellschaften mitträgt und ihn erträglich macht.

Die Wissenschaften dürfen die Politik eben nicht ansprechen als eine Instanz, welche scheinbar eindeutige wissenschaftliche Vorgaben bloß zu exekutieren hätte. Politik ist mehr als Exekutive. Und die Vertrauenswürdigkeit der Wissenschaften beruht nicht zuletzt darauf, dass sie Distanz wahren zu einer Technokratie und deren vermeintlichen Sachzwängen, die - wie Hannah Arendt klargemacht hat - "vom Standpunkt der Politik aus gesehen despotisch" ist. Forschung kann vernünftige Alternativen des Handelns beschreiben - aber sie kann nicht zwischen Alternativen entscheiden. Sie hat kein demokratisches Mandat.

All dies ernst genommen, ergäben sich ziemlich einschneidende Folgerungen für die Wissenschaftskommunikation und dafür, wie Wissenschaftler für die Wissenschaften werben. Darüber muss diskutiert werden.

Dabei gibt es durchaus Grund, optimistisch zu sein. Denn einbringen können die Wissenschaften ihre Praxis des systematischen, aufgeklärten Denkens und den gelassenen Umgang mit Unvertrautem, Unbestimmtheit und Komplexität. Benötigt werden sie als Instanz, die auf dem Wahrheitskriterium besteht, Wissensansprüche kritisch hinterfragt, Sachzwänge aufbricht und Handlungsalternativen öffnet. Streiten aber müssen - und können! - wir für die pluralistische Gesellschaft und die konstitutionelle Demokratie, weil das zivilisierte, kühl argumentierende und Alternativen anerkennende Streiten zum Wichtigsten gehört, was sich der populistischen Aufheizung des gesellschaftlichen Klimas entgegensetzen lässt.

Peter Strohschneider, 61, ist Mediävist und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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