Geschichte:Wie der Mond die Kälte ankündigte

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Der Beginn einer Mondfinsternis im Mai 2022: Bereits mittelalterliche Chronisten hielten gewissenhaft fest, wann der Mond dunkler zu sehen war als sonst. (Foto: IMAGO/Peter Hartenfelser/IMAGO/Hartenfelser)

Vulkanausbrüche im Mittelalter haben die Kleine Eiszeit mit ausgelöst - und immer wieder den Mond verdunkelt. Mithilfe von Klosterchroniken lassen sich die Eruptionen nun genau datieren.

Aufzeichnungen etwa von Mönchen über Mondfinsternisse geben Aufschluss über ungewöhnlich heftige Vulkanausbrüche im Mittelalter. Aus Hunderten Texten aus Europa und Asien folgert ein internationales Forschungsteam, dass im 12. und 13. Jahrhundert fünf Eruptionen enorme Mengen an Partikeln bis in die Stratosphäre ausgestoßen haben. Diese Ausbrüche könnten möglicherweise zur damals beginnenden Kleinen Eiszeit beigetragen haben, schreibt die Gruppe um Sébastien Guillet von der Universität Genf im Fachmagazin Nature.

Vulkanismus kann gigantische Mengen an Gasen in die Atmosphäre ausstoßen und so das Klima jahrelang abkühlen. Hinweise auf solche Eruptionen während des Mittelalters finden sich zwar in Eisbohrkernen der Arktis und Antarktis. Doch deren Untersuchung erlaubt keine sicheren Rückschlüsse auf die genaue Zeit und Schwere eines Ausbruchs, denn die globale Verteilung der Partikel hängt stark von der Jahreszeit ab, von den vorherrschenden Luftströmungen und auch von der Höhe der ausgestoßenen Aschewolken.

Gerade die Zeit von etwa 1100 bis 1300 gilt als Phase starker vulkanischer Aktivität - und diese wiederum als mögliche Mitursache der Kleinen Eiszeit, einer kühlen Klimaphase von etwa 1300 bis 1800. Um Vulkanausbrüche im Hochmittelalter zu ermitteln und zu datieren, erschloss das Forschungsteam nun eine neue Quelle: Aufzeichnungen damaliger Chronisten aus Europa, Ostasien und dem Nahen Osten zu totalen Mondfinsternissen.

In christlichen Schriften galt eine Mondfinsternis häufig als dunkles Omen

Denn diese Himmelsphänomene, bei denen der Schatten der Erde den Mond bedeckt und in ein rötliches Licht taucht, lassen sich zum einen astronomisch klar datieren. Zum anderen hängt die Sichtbarkeit des Erdtrabanten stark davon ab, ob eine in der Atmosphäre zirkulierende Partikelschicht die Sicht beeinträchtigt oder gar ganz verdeckt. Gerade christliche Quellen maßen solchen Ereignissen Bedeutung als Omen bei - auch wenn der physikalische Zusammenhang bekannt war. So gilt etwa in der Offenbarung des Evangelisten Johannes eine Verdunkelung des Mondes als Hinweis auf die bevorstehende Apokalypse.

Von den insgesamt 64 totalen Mondfinsternissen, die in Europa von 1100 bis 1300 grundsätzlich beobachtbar waren, waren 51 dokumentiert. Bei fünf Mondfinsternissen weltweit wurde der Mond als besonders dunkel beschrieben. Das Team geht davon aus, dass alle Vulkanausbrüche dieser Zeit mehr als 10 Teragramm (mehr als 10 Millionen Tonnen) Schwefelteilchen in die Stratosphäre ausstießen - also in jenen Teil der Atmosphäre, der in grob 15 Kilometer Höhe beginnt.

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"Jeder dieser Ausbrüche rangiert unter den obersten 16 solcher Ereignisse der vergangenen 2500 Jahre", notiert die Gruppe. Für die fünf heftigen Eruptionen ermittelt sie - nach Abgleichen mit Bohrkernanalysen und Daten aus Baumringen - nicht nur das Jahr, sondern teilweise auch die Jahreszeit. Mit Abstand am stärksten war der Ausbruch des Vulkans Samalas auf der heute zu Indonesien zählenden Insel Lombok, den die Studie auf Frühjahr oder Sommer 1257 datiert.

Die anderen vier Ausbrüche - bei denen die Vulkane bislang nicht identifiziert sind - entfallen demnach auf die Zeiträume zwischen November 1108 und Februar 1109, Mai und August 1171, Mai und August 1129 sowie September 1275 und Juli 1276. Das Zeitfenster, in dem die ausgestoßenen Partikel den Mond verdunkelten, reichte demnach von 3 bis 20 Monate.

Die Studie bestätigt, dass das Hochmittelalter eine Phase mit außergewöhnlich heftigem Vulkanismus war. Die Eruptionen verdunkelten nicht nur das Firmament, sondern kühlten auch das Klima deutlich ab. Damit seien sie eine wichtige Ursache gewesen für das Ende der mittelalterliche Klimaanomalie - einer Warmzeit über mehrere Jahrhunderte - und für den Übergang zur Kleinen Eiszeit, schreiben Andrea Seim von der Universität Freiburg und Eduardo Zorita vom Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht in einem Nature-Kommentar.

"Die Resultate von Guillet und Kollegen verbessern unser Verständnis dazu, wie vulkanische Eruptionen zum Beginn der Kleinen Eiszeit beitrugen, im Verhältnis zu anderen Faktoren einschließlich einer Phase geringer Sonnenaktivität zwischen 1280 und 1340." Die vulkanisch verursachte Abkühlung könne das Klimasystem damals in einen anderen Zustand überführt haben.

In einem zweiten Kommentar verweist die Historikerin Anne Lawrence-Mathers von der englischen University of Reading auf die Unstimmigkeiten zwischen verschiedenen Quellen hinsichtlich der Mondfinsternisse. Diese könnten von wetterbedingten Faktoren herrühren, von der Beobachtbarkeit der Mondfinsternisse in verschiedenen Erdregionen und nicht zuletzt von kalendarischen Differenzen. Diese Unstimmigkeiten ausgeräumt zu haben, mache die Leistung des Teams umso beeindruckender.

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