Artenschutz:Warum der Mensch allein durch seine Anwesenheit Tiere töten kann

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Giraffen fliehen wie die meisten wild lebenden Tiere panisch vor menschlichen Stimmen. (Foto: Sergio Pitamitz/imago/robertharding)

Giraffen, Zebras und Leoparden haben vor dem Super-Raubtier Mensch viel mehr Angst als vor anderen Feinden. Schon der Klang friedlicher Stimmen ist für sie der blanke Horror. Das kann lebensgefährlich sein - für die Tiere.

Von Tina Baier, München

Der Mensch ist ein schreckliches Raubtier. Dabei sieht er eigentlich ganz harmlos aus. Viel harmloser als zum Beispiel ein Löwe, der deutlich größer und schneller ist. Trotzdem haben Giraffen, Zebras, Warzenschweine, Antilopen, Hyänen, Leoparden und viele andere größere Angst vor Menschen als vor Löwen. Allein menschliche Stimmen zu hören, versetzt fast alle Tiere in Todesangst.

Das hat ein ungewöhnliches Experiment der kanadischen Biologin Liana Zanette mit wilden Tieren im Kruger-Nationalpark ergeben, dem größten Schutzgebiet Südafrikas. Die Wissenschaftlerin und ihr Team spielten 19 verschiedenen Tierarten menschliche Stimmen und das Knurren von Löwen vor und verglichen die Reaktionen. "Wir wollten herausfinden, ob Menschen furchteinflößender sind als das furchteinflößendste nicht-menschliche Raubtier", sagt Michael Clinchy, der an der Studie beteiligt war, die gerade im Wissenschaftsjournal Current Biology erschienen ist.

Für ihr Experiment installierten die Forschenden einen Lautsprecher und eine Kamera etwa zehn Meter von verschiedenen Wasserlöchern entfernt. Sobald Tiere zum Trinken kamen, schalteten sich beide Geräte mithilfe eines Bewegungsmelders automatisch ein. "Wir haben die Kamera in einer bärensicheren Box verstaut", sagt Zanette. Es gebe zwar in Südafrika keine Bären, aber die Box schütze auch vor Hyänen und Leoparden, "die gerne darauf herumkauen".

Die Tiere flohen doppelt so oft vor harmlosen Stimmen aus dem Radio wie vor dem Knurren von Löwen

Obwohl die menschlichen Stimmen nicht aggressiv waren - es waren lediglich Aufnahmen von Radiosendungen in verschiedenen landestypischen Sprachen -, lösten sie bei 18 von 19 beobachteten Tierarten im Schnitt doppelt so häufig eine Fluchtreaktion aus wie das Löwen-Knurren. "Die Angst vor Menschen ist tief verwurzelt und allgegenwärtig", sagt Clinchy.

Die einzige Ausnahme waren Elefanten: Auch sie rannten beim Klang menschlicher Stimmen zwar oft weg, stoppten dann aber meist und kehrten zur Wasserstelle zurück. Elefanten haben auch keine große Angst vor Löwen: "Die Löwengeräusche machten einen Elefanten eines Nachts so wütend, dass er den Lautsprecher und die Kamera angriff und zerstörte", erzählt Zanette.

Das Ganze ist aber viel mehr als ein lustiges Experiment. Es bedeutet, dass der Homo sapiens für wild lebende Tiere wahrscheinlich noch viel schädlicher ist, als man bisher dachte. Zusätzlich zu den bekannten Gründen für das Artensterben wie Jagd, die Zerstörung von Lebensraum und Klimawandel stellt offenbar auch schon die pure Präsenz des Menschen eine Gefahr dar.

Die Studie zeigt, dass allein der Klang menschlicher Stimmen bei fast allen Tiere zur Folge hat, dass sie einen Ort meiden, der wichtig für sie ist. Biologen sprechen von "Landscape of fear", einer Landschaft der Angst, die dadurch entsteht, dass Orte und ganze Regionen für Tiere praktisch unzugänglich werden, weil sich dort Menschen aufhalten.

Das Phänomen ist zwar auch von anderen Raubtieren bekannt, zum Beispiel meiden Elche Orte, an denen Wölfe leben. Anders als Wölfe sind Menschen auf der Erde allerdings allgegenwärtig, und die Angst vor ihnen scheint viel größer zu sein als vor jedem anderen Raubtier - und vor allem artübergreifend. Vermutlich kann sie genauso tödlich sein, wie direkt von einem Jäger erschossen zu werden. Wer sich zum Beispiel wie die Tiere in der Studie mitten in der Trockenzeit nicht traut, zu einem Wasserloch zu gehen, um daraus zu trinken, kann im Extremfall verdursten.

Der Mensch ist also kein normales Raubtier, sondern eine Art Super-Raubtier, das schon durch seine bloße Anwesenheit tötet.

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