Kriegsmunition:Neue Waffen gegen alte Bomben

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Eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg wird vor der Küste Polens geborgen. (Foto: AP)
  • Experten schätzen, dass in den deutschen Meeren 1,6 Millionen Tonnen Kriegsschrott vor sich hin rosten.
  • Die Bomben behindern den Bau von Windparks auf See, ihre Munition kann außerdem Meeresbewohnern schaden.
  • Forscher tüfteln daher an Methoden, die gefährliche Hinterlassenschaft sicher zu räumen.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Die neueste Waffe im Kampf gegen alte Bomben im Meer liegt zwischen Stangen in einem containergroßen Raum. Eine Plane verbirgt das Innere vor den Blicken der Gäste. Die patentgeschützte Technologie in der Vorführhalle des Bergungsunternehmens Boskalis Hirdes EOD Services in Hamburg-Harburg verträgt noch nicht zu viel Öffentlichkeit. Immerhin geht es bei dieser Demonstration, Projektname "Robemm", um einen anspruchsvollen Wurf, den das Bundeswirtschaftsministerium in den vergangenen drei Jahren mit 3,5 Millionen Euro gefördert hat: Die Firmen-Ingenieure haben eine Trockenkammer entworfen, die unter Wasser alte Munition aufnehmen und selbständig unschädlich machen kann.

Die Gäste gehen in den Empfangsraum, um von dort per Livekamera die Präsentation aus der Kammer zu erleben. Die Übertragung beginnt. Eine Bombenattrappe erscheint in einer Klappe. Ein Roboterarm nähert sich, dockt an, führt einen Wasserstrahlschneider ein. Nebel steigt auf, als der Roboterarm mit präzisen Schnitten den Zündmechanismus unterbricht. Er bekommt den ausgeschnittenen Zünder nicht ganz aus der Attrappe. Irgendwas klemmt. Aber Frank Seubring, technischer Direktor bei Boskalis Hirdes, ist nicht verunsichert. "Dafür ist es ein Testverfahren", sagt er, "es wird weiter geforscht."

Kriegsschrott im Meer ist für die Nach-Nachkriegsgesellschaft ein großes Thema. Jahrzehntelang redete kaum jemand darüber, was wohl auch daran lag, dass die alte Munition in den Tiefen der See ganz gut aufgehoben zu sein schien, auch vor der deutschen Küste.

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Aber diese Haltung funktioniert spätestens nicht mehr, seit der Meeresgrund sich zum Bauplatz der Energiewende-Gesellschaft entwickelt hat. Windparkprojekte vor der Küste sind schon in Verzug geraten, weil ihre Kabeltrassen über vermintes Gebiet führten. Auch bei den nächsten geplanten Offshore-Anlagen wird die Gefahr in der Tiefe lauern. Gefragt sind effiziente Technologien, die den Kriegsschrott finden und risikoarm wie umweltschonend wegräumen.

Oberste Priorität haben Schiffsrouten und Bauplätze für Windkraftanlagen

Experten schätzen, dass allein in den deutschen Meeren 1,6 Millionen Tonnen Kriegsschrott vor sich hin rosten, 300 000 Tonnen in der Ostsee, 1,3 Millionen in der Nordsee. Schleswig-Holsteins Umweltministerium brach vor einigen Jahren das Schweigen darüber, nachdem der damalige Ressortchef Robert Habeck (Grüne) die Mahnungen findiger Behördenmitarbeiter erhört hatte.

Seither laufen vielfältige Forschungen. Robemm ist dabei das wohl spektakulärste Projekt mit dem sperrigsten Titel, der ausgeschrieben lautet: "Robotisches Unterwasser-Bergungs- und Entsorgungsverfahren inklusive Technik zur Delaboration von Munition im Meer, insbesondere im Küsten- und Flachwasserbereich."

Und es gibt weitere Initiativen. Anfang Februar stellten das Thünen- und das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven die Ergebnisse ihres EU-geförderten Forschungsprojekts Daimon vor (Decision Aid for Marine Munition), bei dem es um die Auswirkungen der Munition auf die Meeresfauna ging. Bald darauf folgte die Bilanz von Udemm (Umweltmonitoring für die Delaboration von Munition im Meer), bei dem Meeresforscher des Kieler Helmholtz-Instituts Geomar und des Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde sowie Toxikologen der Uni Kiel das Orten von Munition anhand der Wasserqualität ermöglichten.

Daimon und Udemm liefern Daten, die zeigen, wo der geplante Roboter am dringendsten gebraucht wird. Sicherheit bei Baumaßnahmen und auf Schiffsrouten hat oberste Priorität bei der Kampfmittelräumung; dass Ankertauminen oder Wasserbomben auch nach Jahrzehnten noch explodieren können, war immer klar. Dass die Munition auf Dauer auch das Leben im Meer und damit letztlich den Menschen schädigen könnte, war lange eher eine überhörte Mahnung von Naturschützern.

Jetzt hat Daimon gezeigt, dass Fische im Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide gehäuft Lebertumore aufweisen und Spuren des krebserregenden Sprengstoffes TNT im Muskelfleisch haben. Udemm hat an gleicher Stelle nachgewiesen, dass die TNT-Konzentration im Umkreis von einem Meter um die Bomben relativ hoch ist. "Die Kolberger Heide", sagt der Geomar-Professor Jens Greinert, "ist ein Kontaminations-Pool."

Die Kolberger Heide ist eine Unterwasserlandschaft nordöstlich der Kieler Förde, nur wenige Kilometer vor der Küste des Badeorts Heidkate. Nach dem Zweiten Weltkrieg entsorgten die Alliierten unter anderem dort tonnenweise Munition. Das zwölf Quadratkilometer große Areal ist Sperrgebiet. Den Udemm-Forschern diente es als Kulisse für ihre Tests. Dort haben sie gezeigt, dass der Kriegsschrott sprengstofftypische Verbindungen ans Wasser abgibt. Dass Muscheln diese aufnehmen, wenn sie in der Nähe liegen. Und andere Organismen ebenso. "Wenn ein Seestern drüberkriecht, wird der auch kontaminiert", sagt Greinert.

Liegt der Sprengstoff komplett frei, weil Salzwasser und Zeit die Stahlhülle zerfressen haben, belastet er das Meer noch stärker. Und Ostseewasser ganz ohne TNT-Gehalt gibt es laut Udemm praktisch nicht mehr.

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"Überall, wo wir Proben genommen haben, haben wir TNT nachgewiesen", sagt Greinert. Ist das Meer ein Salzwasser-Sprengstoff-Gemisch? So dramatisch sei es nicht, sagt Greinert: TNT verdünne sich schnell, die Konzentration des Sprengstoffs sei nur deshalb auffällig, weil die Geomar-Forscher hypersensible Messmethoden mit Nachweismengen anwendeten, die tausendmal geringer seien als alles, was man bisher nachweisen konnte.

Allerdings finden Toxikologen schon kleinste Spuren von Sprengstoff im Meer zu viel. Die Bombenfelder könnten auf Dauer ganze Generationen von Meeresorganismen schädigen. Greinert sagt: "Man will keine Population kranker Fische hervorbringen." Er empfiehlt deshalb eine achtsame Beobachtung der Kriegsreste unter Wasser. Die Methoden dazu hat Udemm hervorgebracht, und Geomar wird das Thema weiterverfolgen. "Wir müssen stringent und methodisch gucken, wann wie viel TNT ins Wasser kommt und ob es gefährlich ist", sagt Greinert.

Auch aus dem Bundesumweltministerium heißt es mit Verweis auf die jüngsten Forschungen: "Hier wird zu prüfen sein, inwieweit sich die Ergebnisse unmittelbar auf andere Gebiete in der Ostsee und darüber hinaus übertragen lassen." Noch sieht die Behörde keine großräumige Gefährdung.

Dort, wo der Kriegsschrott gefährlich ist, käme Robemm ins Spiel. Noch ist die Kampfmittelräumung auf offener See ein komplizierter Vorgang, der meistens mit Sprengungen endet, begleitet von teuren Schutz- und Vergrämungsmaßnahmen, damit die Druckwelle der Detonation und der Lärm nicht so viel Schaden anrichten.

Mit Robemm wäre alles anders. Die Unterwasserkammer mit dem Roboterarm würde von einem Ponton aus an der richtigen Stelle mit einem autonomen Räumfahrzeug ausgesetzt. Das Fahrzeug würde die Bomben auf die Klappe der Trockenkammer legen, der Roboterarm würde ferngesteuert mit den Daten des Kampfmittels versorgt und könnte dieses dann selbständig mit gezielten Schnitten entschärfen. Der Sprengstoff würde auf See vernichtet, der Metallschrott an Land recycelt.

Wird diese Vision Realität? Vorerst haben die Boskalis-Hirdes-Ingenieure nur bewiesen, dass ihr Konzept funktioniert. Der nächste Schritt wäre, einen Prototyp zu bauen, der sich bewähren muss, ehe irgendwann eine Serienproduktion beginnt. "Ein privatwirtschaftliches Unternehmen kann das allein nicht stemmen", sagt Geschäftsführer Jan Paulsen und sendet damit eine klare Botschaft aus. Wenn Politik und Gesellschaft wollen, dass die Bomben im Meer geräuschlos und ohne krankmachende Rückstände verschwinden, dann müssen sie sich auch an den nachfolgenden Projekten finanziell beteiligen.

© SZ vom 09.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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