Streumunition:Streubomben - international geächtet, in Syrien im Einsatz

An unexploded cluster bomblet is seen along a street after airstrikes by pro-Syrian government forces in the rebel held al-Ghariyah al-Gharbiyah town, in Deraa province

Harmloses Äußeres, tödliche Wirkung: Nicht explodierte Submunition aus einer Streubombe - ein sogenanntes Bomblet - liegt nach einem Luftangriff der Regierungstruppen im Süden Syriens auf der Straße (Archivbild aus dem Jahr 2016)

(Foto: REUTERS)
  • In Syrien kommt vermehrt Streumunition zum Einsatz. Die Waffen verwüsten Gebiete großflächig und sind international geächtet.
  • Da viele der Bomben beim Aufprall nicht explodieren, gefährden sie die Bevölkerung für sehr lange Zeit. Häufig werden spielende Kinder Opfer des Kriegsschrotts.
  • Die UN erinnern mit dem heutigen "Internationalen Tag der Minenaufklärung" an die Gefahr.
  • Wissenschaftler arbeiten an neuen Technologien, um Sprengstoff aus verborgenen Landminen und Streubomben aufzuspüren, zum Beispiel mithilfe von Bodenradar.

Von Christoph Behrens (Text) und Christian Endt (Grafiken)

Das Turbinengeräusch des Jets wird schriller, als er die Wohnhäuser überfliegt. Das Flugzeug lässt eine Bombe fallen, doch schon vor dem Aufprall gibt es einen Knall, sie platzt auf wie Konfetti. Dutzende kleinere Bomben kommen daraus zum Vorschein. Einige Sekunden später blitzt es inmitten der Häuser, viele Male im Radius von hundert Metern, so als hätten die Bewohner kurz hintereinander Feuerwerke am Boden gezündet.

Youtube ist voll von solchen Videos, sie zeigen Angriffe mit Streubomben, die syrische Städte weitläufig verwüsten. Häufig sind sie von weit entfernt aufgenommen, was gefährlich genug ist. Trotzdem lässt sich erahnen, wie viel Leid die Explosionen anrichten. Bis zu 565 kleine Bomben enthält eine große Bombenhülle aus russischer Produktion. Es ist eine verheerende Waffengattung, die ungezielt einfach alles in einem großen Umkreis vernichtet. Doch die Streubomben erzeugen noch eine zweite, versteckte, langfristige Gefahr: Viele der Submunitionen explodieren nicht beim Aufprall. Sie bleiben in Schutt und Staub liegen und detonieren erst viel später - wenn die Bevölkerung längst nicht mehr damit rechnet.

Vor allem Kinder werden Opfer der Streumunition

Anlässlich des heutigen "Internationalen Tages der Minenaufklärung" der UN warnen viele Experten vor der zunehmenden Gefahr durch solche nicht explodierten Überbleibsel des Krieges. "In Syrien liegen Tausende davon herum", sagt Ole Solvang, der für die Organisation Human Rights Watch in der Region Nothilfe leistet. "Die meisten davon, weil die syrische Regierung und Russland Streubomben einsetzen." Wenn die Bomben explodierten, sei die Gefahr zumindest vorüber, sagt Solvang. Die Bomben, die nicht explodierten, seien dagegen "eine gewaltige Langzeitgefahr für die Bevölkerung, die zurückkehrt".

Die glänzenden Sprengkörper locken vor allem Kinder an, weil sie etwa faustgroß sind und an einen Ball oder anderes Spielzeug erinnern. Einige haben eine bunte Lasche, die hervorragt, selbst wenn die Bombe verschüttet da liegt. Wenn man daran zieht, geht die Sprengladung hoch. Auch Bauern, die auf ihre Felder zurückkehren, trifft es häufig. Dass unter ihrem Land Kriegsschrott liegt, merken sie oft erst, wenn sie beim Umgraben mit der Spitzhacke auf eine Bombe stoßen.

Hinzu kommen improvisierte Sprengladungen oder sogar Landminen, die Terroristen des "Islamischen Staats" beim Rückzug aus aufgegebenen Gebieten zurücklassen. Nach der Rückeroberung der Stadt Manbidsch durch kurdische Truppen töteten versteckte Sprengfallen und Minen des IS nach Angaben von Menschenrechtlern in wenigen Tagen 29 Menschen.

Es lässt sich nur schätzen, wie viel Leid versteckte Explosivstoffe hervorrufen. 6500 Unfälle mit Kriegsschrott sind weltweit für 2015 dokumentiert, das letzte Jahr, für das Zahlen vorliegen. Ein Anstieg um 75 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und das sind nur die bekannten Fälle. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. 360 Angriffe mit Streubomben zählten Hilfsorganisationen zwischen 2012 und 2016 in Syrien, doch die Zahlen schwanken stark. Andere Quellen berichten allein für zwei Monate des vergangenen Jahres von rund 150 Angriffen mit Streumunition.

Manche Munition wurden noch während des Vietnamkriegs hergestellt

"Was die Einsätze anbelangt, haben diese Waffen sicher Konjunktur", sagt Eva Maria Fischer von der Organisation Handicap International. Eine verheerende Fehlentwicklung, kritisiert sie: "Wenn sich der Behälter beim Abwurf nicht öffnet, also die Submunition nicht einzeln auf den Boden fällt, gibt es eine Fehlerquote bis zu 100 Prozent" - das heißt, bei mancher Bombe explodiert so gut wie keine Submunition unmittelbar.

Dass die Waffen so unzuverlässig sind, liegt auch daran, dass sie teilweise schon seit Jahrzehnten in den Arsenalen vor sich hin rotten. Nach einem Angriff der saudi-arabischen Luftwaffe in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa konnte Human Rights Watch ermitteln, dass die 2016 eingesetzte Streumunition 1978 in einer Fabrik im US-Bundesstaat Tennessee gefertigt wurde, oder noch früher, während des Vietnamkriegs.

Selbst vermeintlich moderne Typen versagen. In Jemen tauchten auch nichtexplodierte Streubomben des US-Herstellers Textron auf, die der Rüstungskonzern mit einer Fehlerquote von unter einem Prozent beworben hatte. Immerhin dieser Fund hatte Konsequenzen, US-Präsident Barack Obama unterband 2016 den Export von Clusterbomben nach Saudi-Arabien. Im März stellte Textron als letztes US-Unternehmen die Produktion von Streumunition ein. 16 Länder produzieren die Munitionen weiterhin, darunter größere Staaten wie Brasilien, China, Indien und Russland. International ächtet das Übereinkommen über Streumunition die Waffen seit 2008.

Ihr Effekt wird in jedem Fall noch in Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten zu spüren sein. In Laos, wo die USA mit 270 Millionen Streubomben so viele abwarfen wie nirgends sonst, ist man noch 40 Jahre nach dem Vietnamkrieg mit der Räumung beschäftigt. Wenn es im selben Tempo weitergeht, dauert diese Arbeit dort noch rund 3200 Jahre.

Minendetektion mit Radar und künstlicher Intelligenz

In insgesamt 24 Ländern liegen explosive Reste von Streumunition, in 64 Staaten sind noch Anti-Personen-Landminen vergraben. Oft ist nicht einmal klar, wo die Kriegsreste überhaupt liegen. Daher arbeiten Wissenschaftler auch an neuen Methoden, um die Sprengladungen aufzuspüren.

So entwickeln Ingenieure der Universität Bochum derzeit einen neuen tragbaren Detektor, der den Boden mit Radarsignalen nach improvisierten Landminen absuchen soll. Die Technik ist speziell für Kolumbien gedacht, wo die Rebellengruppe Farc unzählige selbstgebaute Minen im Dschungel vergraben hat. "Aktuell sucht man sie mit Metalldetektoren, das ist aber schwierig, weil die Minen kaum Metall enthalten", sagt Projektleiter Christoph Baer. Die Fehlerquote sei daher sehr hoch.

Das Team forscht an einem computergestützten tragbaren Detektor, der hochfrequente Funkwellen in den Boden sendet und anhand der zurückgeworfenen Reflektion eine Mine erkennt. "Wir möchten möglichst viele Informationen aus dem Boden herausholen", sagt Baer. Anschließend soll ein Algorithmus darauf trainiert werden, in dem wilden Radarmuster Hinweise auf Sprengstoff zu entdecken. Die eigentliche Minendetektion soll eine künstliche Intelligenz erledigen, die sich ähnlich wie ein Spürhund trainieren lässt.

Eine noch weiträumigere Methode zur Minendetektion entwickeln Forscher vom Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) in Wachtberg bei Bonn. Sie möchten ganze Landstriche mit dem Flugzeug überfliegen und die Vegetation mit einer Spezialkamera scannen. Aus alten Landminen sickert sehr langsam TNT-Sprengstoff, den Bäume über ihre Wurzeln aufnehmen können. Ist der Boden mit Sprengstoff verseucht, bringt das den Stoffwechsel der Pflanzen durcheinander. Das wollen die Wissenschaftler anhand von Veränderungen im Laubwerk erkennen.

"Das ist wie Fiebermessen", sagt Jens Bongartz, Leiter des Projekts. Anhand der Lichtwellen, die Blätter vom Sonnenlicht reflektieren, lasse sich mit den Kameras auf physiologischen Stress der Pflanzen schließen. "Wir können damit zwar nicht sagen, dass an diesem Baum eine Mine liegt", sagt Bongartz. "Aber wir können hoffentlich den Suchradius eingrenzen und Minenräumer gezielt zu bestimmten Flächen schicken." In Kambodscha wurde die Technik erstmals getestet. Allerdings stehen noch Vergleichsdaten von Minen-Räumungen vor Ort aus. Nur damit ließe sich feststellen, wie gut die Methode funktioniert.

In Syrien haben Helfer derartige Hightech-Methoden - auch weil sie noch im Stadium der Grundlagenforschung sind - noch lange nicht zur Verfügung. Und wegen der Sicherheitslage können dort überhaupt keine internationalen Räumungsteams arbeiten. Die Aufgabe übernehmen derzeit Freiwillige von Organisationen wie Syria Civil Defense. "Sie retten nicht nur Menschen aus Gefahrensituationen, sie haben auch begonnen, systematisch Kriegsschrott wegzuräumen", sagt Ole Solvang von Human Rights Watch. "Ihre Arbeit ist enorm wertvoll." Das Problem sei aber so riesig, dass die Helfer die Aufgabe allein nicht bewältigen könnten.

Ein Problem bei der Räumung von Streubomben ist, das richtige Equipment ins Land zu schaffen, was derzeit fast unmöglich ist. Denn Streumunition lässt sich nicht entschärfen wie Landminen. Die Streubomben müssen gesprengt werden. Am besten mit Spezialsprengstoff, den man erst ins Land schmuggeln müsste. Noch mehr Sprengstoff, mitten ins Kriegsgebiet.

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