Man kann keine Schullaufbahn hinter sich bringen, ohne es früher oder später mit dem Wasserkreislauf der Erde zu tun zu bekommen. Meist sollen kunstvolle Schaubilder den Erkenntnisprozess befördern, und natürlich dürfen Flüsse nicht fehlen, die dazu beitragen, das einst aus dem Meer verdunstete und über Land als Regen oder Schnee gefallene Wasser zurück ins Meer zu transportieren. So weit der irdische Teil der Angelegenheit. Aber wie kommt das Wasser eigentlich in den oberen Etagen von A nach B? Viel mehr als Pfeile, kreativ beschriftet mit "Wind", fällt den Schaubildern dazu nicht ein. Das wird der Komplexität der atmosphärischen Prozesse kaum besser gerecht, als würde man alles, was weiter unten passiert, mit "Blubb" zusammenfassen.
Tatsächlich nämlich gibt es auch am Himmel eine Art Flüsse, die auch in der Fachsprache so genannt werden: "atmosphärische Flüsse". Sie sind dort längst nicht der einzige Transportweg. Aber wegen der immensen Wassermassen, die sie enthalten können, einer der interessantesten: Global transportieren Himmelsflüsse, die Tausende Kilometer lang und Hunderte Kilometer breit sein können, so viel Wasser wie 27 Flüsse von Mississippi-Format; ein Großteil des Feuchtigkeitstransports aus den Subtropen und mittleren Breiten in Richtung der Pole geht auf sie zurück. Vor allem in den westlichen Küstengebieten von Nord- und Südamerika, Südafrika und Europa sind sie eine wichtige Feuchtigkeitsquelle, aber oft auch Ursache von extremen Niederschlägen und starken Winden.
Die Flüsse am Himmel könnten auch das globale Muster der Erwärmung prägen
Dabei sind sie für das menschliche Auge unsichtbar, weil sie größtenteils Wasserdampf enthalten, der erst dann kondensiert und sichtbare Wolken bildet, wenn er kältere Regionen erreicht oder an einem Gebirge aufsteigt. Nur mit Satelliten und Radiosonden kann man sie beobachten. Wie diese Flüsse entstehen, sei noch sehr spekulativ, sagt Manfred Wendisch von der Universität Leipzig. "Aber es ist sehr plausibel, dass sie mit der Erderwärmung intensiver werden." Schließlich bringt diese mehr Feuchtigkeit und Energie in die Atmosphäre.
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In einer kürzlich in Nature Climate Change publizierten Arbeit haben Seung Baek und Juan Lora von der Yale University die Entwicklung der Himmelsflüsse modelliert: Demnach hätte bislang die Luftverschmutzung einen abschwächenden Effekt gehabt, der die verstärkende Wirkung der Erwärmung ausgeglichen habe. In den kommenden Dekaden dürfte aber die Klimaerwärmung eine "steile Intensivierung" auslösen: Die Himmelsflüsse könnten also öfter Hochwasser führen. Was dann unter Umständen auch weiter unten Extremniederschläge und Hochwasser produzieren kann.
Es gibt aber noch einen Grund, warum es sich lohnt, die Entwicklung der Himmelsflüsse im Auge zu behalten: Sie könnten das Muster der Erwärmung prägen, weil sie teils weit nach Norden reichen. "Man muss sich atmosphärische Flüsse wie Schläuche vorstellen", sagt Wendisch. "Sie können wie eine Spritze Feuchte injizieren, die sich dann in der gesamten Arktis ausbreiten kann." So schwappen Wärme und Wasserdampf in die Arktis, der als Treibhausgas wirkt und zudem Wolken bildet. Die legen sich wie eine wärmende Decke über die Region. Solche Prozesse könnten dazu beitragen, dass sich die Arktis besonders schnell erwärmt.