Klimaforschung:Was passiert, wenn die CO₂-Emissionen aufhören?

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Windräder in Österreich: Was passiert mit dem Klima, wenn der Umstieg auf saubere Energie gelungen ist? (Foto: imago stock&people/imago/imagebroker)

Noch ist unklar, ob die Erwärmung anhält, wenn die Menschheit keine Treibhausgase mehr ausstößt. Nun haben Forscher genauer nachgerechnet.

Von Marlene Weiß

Alles begann, wie so vieles im Leben, mit Kaffee. Der Polarforscher Martin Siegert trank ihn mit seiner Atmosphärenphysiker-Kollegin Joanna Haigh. Beide arbeiten am Imperial College London, was der Kaffee da taugt oder ob es gar dieses schreckliche Zeug aus der Thermoskanne war, ist nicht überliefert. Jedenfalls sprachen sie darüber, was passiert, wenn die Menschheit irgendwann aufgehört hat, mehr Kohlendioxid in die Luft zu blasen, als das Erdsystem verkraften kann. Ist damit auch der Klimawandel beendet, und alles stabilisiert sich?

Für Siegert, den Polarforscher, war klar: Nichts ist dann beendet, das Eis an den Polen schmilzt natürlich weiter, über Jahrhunderte, weil das ein sehr träger Prozess ist. Seine Kollegin Haigh aber schaut auf die Atmosphäre. Ihre Fachkollegen und sie vermuteten bislang: Nach dem Ende der Emissionen sollte auch der Temperaturanstieg stoppen. "Wir waren beide überrascht", sagt Siegert. Er hatte nicht gewusst, dass die Erwärmung so schnell aufhören sollte - ihr war nicht klar gewesen, wie die Lage bei den Eismassen ist. Und sie beschlossen, sich die Sache näher anzuschauen, nicht nur den Stand der Forschung, sondern auch die Unsicherheiten. Das Ergebnis ist eine Studie, d ie am Dienstag in der Fachzeitschrift Frontiers in Science erschienen ist, am Ende waren neben Siegert und Haigh noch 19 andere Forscher beteiligt.

Also, hört die Erwärmung auf, wenn die Emissionen aufgehört haben? "Unsere beste Schätzung ist: Sie tut es", sagt Sofia Palazzo Corner, die an der Analyse beteiligt war. Aber es gibt erhebliche Unsicherheiten. Und zwar in beide Richtungen, auch eine Abkühlung nach Ende der Emissionen ist demnach durchaus möglich.

Im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC waren die Experten davon ausgegangen, dass sich die Temperatur nach Erreichen der Netto-Null-Treibhausgasbilanz höchstens um wenige Zehntelgrad nach oben oder unten verändern sollte. Das Team um Palazzo Corner kommt nun zum Ergebnis, dass selbst mehr als 15 Prozent zusätzliche Erwärmung oder auch Abkühlung gar nicht so unwahrscheinlich sind.

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26 Prozesse hat das Team betrachtet, die noch nach Ende der Emissionen wirken

Das würde bedeuten, dass die 1,5-Grad-Grenze selbst dann überschritten werden könnte, wenn morgen die Emissionen aufhören würden. Denn aktuell hat sich die Erde um rund 1,3 Grad erwärmt, 15 Prozent dazu, wenn es dumm läuft, und man landet bei rund 1,5 Grad. Mal abgesehen davon, dass momentan noch die Luftverschmutzung einige Zehntelgrad der Erwärmung kompensieren dürfte, weil Partikel in der Luft Sonnenlicht abschirmen. Mit diesem Kühleffekt wäre es mit dem Ende der Emissionen auch vorbei.

Dass man nicht einmal genau weiß, in welche Richtung sich die Temperatur nach Emissionsstopp entwickelt, liegt an den vielen beteiligten Prozessen. Das Eis wird noch lange weiterschmelzen, das bedeutet weniger helle Flächen, die Sonnenlicht zurückwerfen - zusätzliche Erwärmung. Der Ozean gibt einen Teil der aufgenommenen Wärme ab, noch mehr Erwärmung. Aber CO₂ wird weiter von den Ozeanen absorbiert - Abkühlung. Der Permafrost wird weiter tauen und Treibhausgase abgeben - Erwärmung. Die Wolken können sich durch die Erwärmung weiter verändern und mehr oder auch weniger Wärme zurückhalten - Erwärmung oder Abkühlung, man weiß es nicht. Pflanzen und Böden an Land können zusätzliches CO₂ aufnehmen oder etwa durch Waldbrände verstärkt abgeben, auch hier ist die Richtung unklar.

26 Prozesse, die noch nach Ende der Emissionen wirken, hat das Team um Palazzo Corner betrachtet. Nur rund die Hälfte davon hat eine klare Richtung, wie etwa das schwindende Eis, das auf jeden Fall zur Erwärmung beiträgt. Bei vielen ist die Auswirkung schon für sich genommen sehr unsicher, in der Summe weiß man erst recht nicht, was herauskommt. Die Forscher empfehlen nun, gezielt an diesen Prozessen zu forschen, um sie besser in die Klimamodelle zu integrieren.

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"Es ist hilfreich, Netto-Null-Emissionen klar als Wegmarke zu bezeichnen, nicht als Ziellinie", sagt Declan Finney von der Universität Leeds, der nicht an der Studie beteiligt war. Ein wichtiger Punkt aus der Studie sei: Je höher die Emissionen bis zum Erreichen der Netto-Null-Wegmarke, desto größer die Unsicherheit über die Erwärmung, die danach kommen könnte.

Politisch gesehen ändert sich aus Sicht der Forscher nichts daran, dass die Emissionen in den kommenden Jahren so schnell wie möglich sinken müssen, "das sollte unsere oberste Priorität sein", sagt Joeri Rogelj, einer der Studienautoren. Aber er weist darauf hin: Wenn man etwa unter zwei Grad bleiben will, um die Folgen der Erderhitzung zu begrenzen, sollte man entweder von vornherein deutlich weniger Erwärmung anpeilen, um einen Puffer zu haben - oder aber einplanen, der Atmosphäre langfristig Kohlendioxid zu entziehen. Auf Basis der aktuellen Klimamaßnahmen rechnen die Experten des Projekts "Climate Action Tracker" mit 2,7 Grad Erwärmung. Geht man davon aus, dass alle nationalen Ziele und Versprechen erreicht werden, wären es genau zwei Grad - ohne nachgelagerte Erwärmungseffekte. Wenn sich das nicht bald grundlegend ändert, ist da nicht viel Puffer in Sicht.

Bleibt die Möglichkeit, Kohlendioxid zurückzuholen. Tatsächlich ist das implizit in manchen Klimazielen sogar bereits enthalten. So will etwa die EU bis 2050 oder Deutschland bis 2045 klimaneutral werden, also unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Da aber etwa Methanemissionen aus der Landwirtschaft nicht komplett eingestellt werden können, müssen sie kompensiert werden durch CO₂-Einlagerung, sei es in Böden, Wäldern oder unterirdischen Speichern. Demnach wären die CO₂-Emissionen dann sogar negativ, der Atmosphäre würde CO₂ entzogen.

Mit Material des Science Media Centre

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