Artensterben:Weniger Insekten, schlechteres Essen

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Fehlen nicht nur zunehmend den Kornblumen in den Getreidefeldern: Bienen und andere bestäubende Insekten. (Foto: via www.imago-images.de/imago images/Countrypixel)

Mehr als jede dritte Insektenart ist vom Aussterben bedroht, die Ernte von Obst und Gemüse fällt deshalb geringer aus. Eine Studie zeigt: Das hat bereits heute große Folgen auf die Gesundheit der Menschen.

Von Thomas Krumenacker

Kaum noch Fliegen auf der Windschutzscheibe, immer weniger Vögel auf Feld und Wiese: Die Biodiversitätskrise bleibt aufmerksamen Zeitgenossen schon länger nicht verborgen. Wissenschaftliche Untersuchungen stützen solche Alltagserfahrungen. Jede achte Vogelart weltweit ist bedroht, und sogar mehr als jede dritte Insektenart könnte in den nächsten Jahrzehnten aussterben. Der britische Ökologe Dave Goulson von der Universität in Sussex spricht angesichts der enormen Bedeutung der Tiere von einer drohenden "Insektenapokalypse".

Laut einer neuen Untersuchung ist diese düstere Zukunftsprognose leider schon längst Realität geworden. Und das hat fatale Folgen. Der interdisziplinären Studie eines internationalen Teams um Wissenschaftler der Harvard University zufolge kostet das Insektensterben indirekt schon heute jährlich Hunderttausende Menschen das Leben, löst schwere Erkrankungen aus und verursacht Kosten in Milliardenhöhe.

Der Grund: Wegen des starken Insektenrückgangs auf allen Kontinenten werden die meisten Kulturpflanzen nur noch unzureichend durch wild lebende Bienen, Hummeln, Käfer oder Schmetterlinge bestäubt. Das behindert die Produktion von gesunden Lebensmitteln wie Obst, Gemüse oder Nüssen. Diese werden so teuer, dass viele Menschen auf den Verzehr verzichten. Und langfristig hat das mehr Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Diabetes und Krebs zur Folge. Weltweit verursache der Verlust dieser Bestäuber rund 430 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr, berichten die Autoren im Fachjournal Environmental Health Perspectives. Auch in Europa geht demnach ein Prozent aller vorzeitigen Todesfälle auf den durch den Insektenschwund bedingten verminderten Verzehr von Obst und Gemüse zurück.

Mehr als zwei Drittel aller Nutzpflanzen sind auf Insektenbestäubung angewiesen

Wie wichtig tierische Bestäuber für die Produktion von Lebensmitteln sind - neben Bienen, Schwebfliegen und Schmetterlingen sind auch Vögel und Fledermäuse wichtige Samentransporteure - ist lange bekannt. Der Weltbiodiversitätsrat kommt in einem Bericht von 2016 zu dem Ergebnis, dass Insekten mehr als zwei Drittel der weltweiten Nutzpflanzen - von Kaffee und Kakao bis zu Obst und Gemüse - bestäuben, und sie damit erst zur Produktion von Lebensmitteln nutzbar machen. Dadurch erbringen die summenden und brummenden Helfer in jedem Jahr eine ökonomische Leistung im Wert von mehr als 500 Milliarden Euro. Noch wichtiger sind Bestäuber für Wildpflanzen. Von denen sind fast 90 Prozent auf die Übertragung von Pollen durch Tiere angewiesen.

Die Harvard-Studie ist nach Angaben ihrer Autoren die erste Untersuchung, die sich den direkten gesundheitlichen Auswirkungen der Biodiversitätskrise auf den Menschen widmet. Um zu beziffern, wie hoch die entsprechenden Ernteverluste sind, stützen sich die Forscher auf empirische Daten aus einem Netzwerk von Hunderten landwirtschaftlicher Versuchsbetriebe in Asien, Afrika, Europa und Lateinamerika. Zudem modellierten sie die Auswirkungen der ermittelten Mindererträge auf den globalen Handel und den internationalen Verbrauch von Obst, Gemüse und Nüssen - und auf die ernährungsbedingten Gesundheitsrisiken.

"Durch unzureichende Bestäubung gehen weltweit zwischen drei und fünf Prozent der Produktion von Obst, Gemüse und Nüssen verloren", lautet ein Kernbefund der Modellierungen. Die damit verbundene Zunahme von Todesfällen durch Schlaganfälle, Herzkrankheiten und Krebs sei in den reichen Weltgegenden wie Europa dreimal so hoch wie auf ärmeren Kontinenten wie Lateinamerika. Länder mit mittlerem Einkommen und großer Bevölkerung - wie beispielsweise China und Indien - sind am stärksten betroffen. Staaten mit sehr niedrigem Durchschnittseinkommen erleben jedoch die größten wirtschaftlichen Einbußen. Sie verlieren durch das Insektensterben schon heute bis zu einem Drittel ihrer gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfung.

"Insektenschwund ist nicht nur ein Problem für die Natur, sondern auch für die menschliche Gesundheit"

Die Forscher beklagen, dass die Folgen des Artensterbens für die menschliche Gesundheit in der Biodiversitätsdebatte bisher zu wenig diskutiert würden. "Wir zeigen, dass der Verlust von Bestäubern schon heute die Gesundheit der Menschheit im gleichen Ausmaß gefährdet wie Drogenkonsum, zwischenmenschliche Gewalt oder Prostatakrebs", betont Samuel Myers von der Abteilung für Umweltmedizin der T.H. Chan School für öffentliches Gesundheitswesen in Harvard, einer der Ko-Autoren. Wege zum Schutz von Wildbestäubern zu finden, sei deshalb nicht nur ein Umwelt-, sondern auch ein Gesundheits- und Wirtschaftsthema, so Hauptautor Matthew Smith, der im gleichen Institut arbeitet.

Auf politischer Ebene wird längst über Mittel und Wege gestritten, die dazu beitragen könnten, das weltweite Insektensterben zu bremsen. Das wirksamste Mittel sehen Wissenschaftler in einer drastischen Verringerung des Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft. Die Politik folgt diesem Vorschlag nur zögerlich. So beschloss die UN-Weltnaturkonferenz Ende vergangenen Jahres in Montreal, die von Pestiziden ausgehende Gefahr für die Biodiversität bis 2030 zu halbieren. Das gleiche Ziel hat sich die Biodiversitätsstrategie der Europäischen Union gesetzt.

Auch die Studienautoren sehen in einer Wiederbelebung der Natur den besten Gesundheitsschutz. Als konkrete Maßnahmen schlagen sie vor, den Blütenreichtum und die Blütenvielfalt in landwirtschaftlichen Betrieben zu erhöhen, den Einsatz von Pestiziden zu verringern und natürliche Lebensräume in der Agrarlandschaft zu erhalten oder wiederherzustellen.

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