Artensterben:Hilfskräfte für eine halbe Billion Euro

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Nicht nur Insekten, auch Kolibris tragen Pollen von Blüte zu Blüte (Foto: Getty Images)
  • Der Biodiversitätsrat IPBES hat seinen ersten Bericht zur Artenvielfalt von Bestäubern vorgelegt.
  • Zu den Tieren, die Pflanzen bestäuben, zählen neben Insekten auch bestimmte Vögel und Säugetiere wie Fledermäuse.
  • 40 Prozent der Bestäuber sind vom Aussterben bedroht. Die Wissenschaftler empfehlen, den Einsatz von Pestiziden deutlich zu verringern.

Von Christopher Schrader

Zahlreiche Arten bestäubender Insekten sind vom Aussterben bedroht. Die Tiere sind für die Produktion vieler pflanzlicher Lebensmittel unverzichtbar und tragen jährlich Hunderte Milliarden Euro zum Erlös des Lebensmittelanbaus bei. "Bestäuber liefern einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit", sagt Vera Imperatriz-Fonseca von der Universität São Paulo. "Ihre Gesundheit ist direkt mit unserem Wohlergehen verknüpft."

Die brasilianische Wissenschaftlerin hat am Freitag in Kuala Lumpur als Co-Chefin einer internationalen Forschergruppe einen umfassenden Report über Bestäuber vorgelegt. Es ist der erste Bericht des Biodiversitätsrats IPBES, der die abnehmende biologische Vielfalt analysiert. Er lehnt sich in seiner Arbeitsweise an den Weltklimarat IPCC an, fasst die wissenschaftliche Literatur zusammen und bewertet sie.

Es gäbe weder Nüsse noch Mandeln. Und auch keinen Kakao

Zu den Bestäubern zählen die Experten neben 20 000 wilden und einer kleinen Zahl wirtschaftlich genutzter Arten von Bienen vor allem Hummeln und Schmetterlinge sowie einige Mücken, Thripse, Fliegen und Käfer. Auch Kolibris tragen Pollen von Blüte zu Blüte, genau wie der Braunbauchorganist, ein Vogel in Südamerika, Dünnschwanz-Schlafbeutler in Australien, Rennmäuse im Süden Afrikas, Glattechsen auf einer brasilianischen Atlantikinsel und Blattnasen-Fledermäuse in Zentralamerika.

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Viele wichtige Kulturpflanzen vom Apfel bis zur Zucchini könnten ohne Bestäuber keine oder kaum Früchte bilden. Es gäbe praktisch keine Nüsse und Mandeln, weder Mango noch Kakao. "Als Faustregel gilt: Pflanzen, die wie Getreide Kohlenhydrate produzieren, kommen mit Windbestäubung aus, geht es aber um Vitamine, braucht man dazu Tiere", sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Er hat die Arbeit an einem Kapitel des Reports koordiniert. In Deutschland hängen weniger als 2,5 Prozent der Erträge von Bestäubern ab, in anderen Ländern sind es bis zu 25 Prozent. 213 bis 523 Milliarden Euro pro Jahr sind die Lebensmittel wert, die ohne Bienen, Schmetterlinge oder Mücken nicht zustande kämen, schätzt der IPBES.

Umstrittene "Neonicotinoide"

Nach Schätzungen sind 40 Prozent der bestäubenden Insekten und 17 Prozent der bestäubenden Wirbeltiere vom Aussterben bedroht. Um sie zu schützen, empfehlen die Experten zum Beispiel, unbestellte Flächen zu erhalten und zu einem Netzwerk von Rückzugsräumen auszubauen, auf Bauernhöfen eine größere Vielfalt von Feldfrüchten zu pflanzen und ökologische Landwirtschaft zu betreiben. "Bei der Zulassung von genveränderten Feldfrüchten sollten die Behörden stärker auf die Situation von Bestäubern achten, und zwar nicht nur auf Bienen", sagt Simon Potts von der Universität im englischen Reading, der zweite Leiter der Forscherteams. Auch Unkraut, das zwischen manipulierten Pflanzen weniger wachse, könne Insekten als Nahrungsquelle dienen.

Die Wissenschaftler empfehlen, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren und die Standards bei der Zulassung anzuheben. "Der Bericht verurteilt aber zum Beispiel nicht die Neonicotinoide", sagt Potts. "Wir liefern den Regierungen lediglich die Fakten für ihre Entscheidung." Die "Neonics" werden häufig mit dem Bienensterben in Verbindung gebracht. Laut IPBES gibt es gesicherte Hinweise, dass die Substanzen wilden Bienen schaden, für Honigbienen seien die Studien widersprüchlich. Diese Einschätzung sei nicht auf den Druck von Firmen oder Regierungen zurückzuführen, betont Josef Settele. Auch die Mitarbeit von zwei Industrie-Forschern, für die der IPBES heftig kritisiert worden ist, habe an den Schlussfolgerungen nichts geändert.

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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