Mad or bad - verrückt oder böse? Auf diese Frage scheint sich die Diskussion um den Geisteszustand des Massenmörders Anders Behring Breivik zuzuspitzen. Während zwei erste Gutachter bei dem Attentäter im vergangenen Jahr eine paranoide Schizophrenie diagnostizierten, kamen zwei andere Experten kürzlich zu dem Schluss, es gebe keine Anzeichen für eine Psychose. Breivik sei zwar gefährlich, aber er verstehe, was er getan habe. Seine Zurechnungsfähigkeit war ihnen zufolge nicht beeinträchtigt.
Der Massenmörder Anders Behring Breivik betrachtet es als Beleidigung, dass ihn manche Experten für unzurechnungsfähig halten.
(Foto: AFP)Mit anderen Worten: Breivik war sich bewusst, dass er ein schreckliches Verbrechen beging, und es ist unwahrscheinlich, dass er zum Beispiel Stimmen in seinem Kopf folgte, die ihn aufforderten, Menschen zu töten. Demnach wäre er also nicht verrückt, sondern: böse.
Wird das Ergebnis des Gutachtens Nummer 1 akzeptiert, so kommt Breivik in die Psychiatrie. Das ist es, was die Staatsanwaltschaft in Oslo derzeit fordert. Folgt das Gericht jedoch dem Gutachten Nummer 2, droht dem Angeklagten eine lange Haftstrafe.
Der Täter selbst zeigte sich äußerst zufrieden über das zweite Gutachten. Er dürfte die Hoffnung daran knüpfen, dass seine Vorstellungen, als "Ritter" gegen eine "Islamisierung" Norwegens zu kämpfen, ernster genommen werden, als wenn sie als die Ausgeburten eines kranken Geistes eingeschätzt würden. Seine Verteidiger wollen nun belegen, dass seine Weltsicht die Folge einer realen Debatte ist - und sogar gewaltbereite Islamisten in den Zeugenstand rufen.
Doch wer sich mit dem mehr als 1000 Seiten dicken "Manifest" des Mörders beschäftigt hat, weiß, dass Breiviks Weltsicht mit der Realität wenig zu tun hat. Das Wenige beschränkt sich darauf, dass einige seiner Argumente für den Kampf gegen den Islam ihren Ursprung in der Debatte um die angebliche Gefahr einer Islamisierung Europas haben. Die Existenz gewaltbereiter Islamisten etwa lässt sich nicht bestreiten. Was Breivik jedoch daraus ableitet und was er sich über Ritterorden und einen bewaffneten Kampf zusammenspinnt, hat mit der Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun. Das hatten die ersten Gutachter zu Recht festgestellt.
Doch Angehörige der Opfer und viele Politiker übten an dem ersten Gutachten Kritik. Schockiert waren sie vor allem über die Aussicht, dass der Mörder als Geisteskranker nicht ins Gefängnis müsste, sondern "nur" in die geschlossene Psychiatrie.
Der Unmut über das erste Gutachten gründet einerseits auf dem Bedürfnis nach Sühne und ausgleichender Gerechtigkeit, andererseits auf der Sorge, rechtsextremer Terror würde nicht ernst genug genommen, wenn ein offensichtlich ideologisch motivierter Massenmörder einer Haft entgeht. Und schließlich, so kritisierten einige Psychiater, dürfe politischer Extremismus nicht einfach gleichgesetzt werden mit Geisteskrankheit.