Klimawandel:Schelfeis des Thwaites-Gletschers droht zu zersplittern

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So schön wie gefährlich: Der Thwaites-Gletscher in der Westantarktis. (Foto: Jeremy Harbeck/dpa)

Glaziologen haben Risse in der Eisplatte beobachtet, die wie ein Korken vor der Mündung des riesigen Antarktis-Gletschers sitzt. Binnen fünf Jahren könnte sie kollabieren.

Von Angelika Jung-Hüttl

Einer der größten Gletscher der Antarktis, der Thwaites-Gletscher, verliert offenbar zunehmend seinen Halt. Wissenschaftler haben anhand von aktuellen Satellitenmessungen ein Netz aus viele Kilometer langen Rissen im seinem Schelfeis entdeckt - dem Eis, das wie ein Korken im Südpolarmeer vor der Mündung des Gletschers liegt und dessen Fluss in den Ozean abbremst. Schon innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre, teilten Glaziologen vor Kurzem auf der Jahrestagung der Amerikanischen Geophysikalischen Union (AGU) in New Orleans mit, droht dieser Teil des Thwaites-Gletschers zu zersplittern. Damit könnte eine wichtige Barriere gegen den Anstieg des weltweiten Meeresspiegels verloren gehen.

Die gigantische Eismasse der Antarktis liegt nicht überall auf dem Festland des Kontinents auf. Fast alle Gletscher schieben sich über die Küstenlinie hinweg noch Dutzende bis Hunderte Kilometer weit in den offenen Ozean hinaus. Auf seinem Weg vom Festland in den Ozean hat das Gletschereis zunächst noch Kontakt mit dem Meeresboden. Erst wenn es in tieferes Wasser kommt, schwimmt es auf und wird zum Schelfeis.

Diese auf dem Wasser liegende, oft Hunderte Meter dicke Eisplatte könne aber auch wieder auf Grund laufen, erklärt Angelika Humbert, Glaziologin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meerforschung, in Bremerhaven (AWI). Überall dort, wo das Eis Untiefen, untermeerische Felsinseln oder Felsrücken überwinden muss, wird es abgebremst. "Das hat Wirkung zurück bis zu dem Teil des Gletschers, der auf dem Kontinent aufliegt", sagt die Wissenschaftlerin. Schelfeisplatten halten somit den Eisabfluss vom Festland ins Meer auf. Bricht diese stabilisierende Wirkung weg, kommt es zu einer Beschleunigung des Abflusses und damit zu einem Anstieg des globalen Meeresspiegels.

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So ist es auch beim Thwaites-Gletscher. Der Eiskoloss, der zum Eispanzer der Westantarktis gehört, besitzt eine Gesamtfläche von 192 000 Quadratkilometern. Ein Drittel davon, etwa 65 000 Quadratkilometer, ist Schelfeis - eine Fläche zweimal so groß wie Belgien.

Der "Doomsday-Gletscher" könnte den Meeresspiegelanstieg erheblich beschleunigen

Schon seit vielen Jahren wird der Eisgigant, der weit von jeglicher Forschungsstation in der Antarktis liegt und daher schwer zu erreichen ist, mit Hilfe von Satelliten sowie von Schiffen und Flugzeugen aus beobachtet. Dabei hat sich herausgestellt, dass sein Schmelzwasser bisher schon vier Prozent zum globalen Meeresspiegelanstieg beigetragen hat und dass, sollte er kollabieren, dies zu einem erheblichen weiteren Anstieg führen würde. Das hat ihm den Beinamen "Doomsday-Gletscher", Weltuntergangs-Gletscher, eingetragen.

Um näher an den so wichtigen Gletscher heranzukommen, wurde 2018 das Forschungsprojekt International Thwaites Glacier Collaboration (ITGC) gegründet. Während einer Feldkampagne hat ein Wissenschaftlerteam im Südsommer Anfang 2020 das Schelfeis durchbohrt - und zwar genau über der Grenzlinie oder Aufsetzlinie, an der sich die Schelfeisplatte vom Meeresgrund löst und aufschwimmt. Dort ist der Thwaites-Gletscher etwa 600 Meter dick.

Durch dieses Bohrloch haben die Forscher einen Tauchroboter abgesenkt, der das Gelände unter dem Schelfeis erkundete, Fotos machte und verschiedene Messdaten wie etwa die Wassertemperatur aufzeichnete. Das Ergebnis: Warmes Tiefenwasser unterspült das Schelfeis des Thwaites-Gletscher und schmilzt es von unten. Durch diesen Prozess weicht die Grundlinie immer weiter zurück, die Schelfeisplatte dünnt aus und wird instabil.

Die jetzt neu entdeckten kilometerlangen Risse, die sich diagonal und im Zickzack durch die Schelfeisplatte ziehen, sind Zeugen für die zunehmende Instabilität des Schelfeises. Durch das Ausdünnen ändern sich die Spannungsverhältnisse - und "es liegt in der Natur des Eises, dass es, wenn die Spannungen zu groß werden, bricht", sagt Angelika Humbert, und zwar schlagartig, mit einem Drittel der Schallgeschwindigkeit. 50 Kilometer Riss entstehen dann innerhalb einer Minute.

Das Eis gleicht einer gerissenen Windschutzscheibe: Ein Stoß, und sie kann bersten

Wissenschaftler vergleichen daher den Zustand des Schelfeises am Thwaites-Gletscher mit dem einer Windschutzscheibe, die an einer Stelle gebrochen und daher instabil ist. Irgendwann kommt der finale Stoß, und die Risse breiten sich wie ein Netz über die ganze Scheibe aus. Auf ähnliche Weise könnte das Schelfeis des Gletschers innerhalb der kommenden Jahre zerbersten. Die vielen Bruchstücke des Schelfeises würden jedoch den Meeresspiegel nicht direkt beeinflussen. Denn das Schelfeis schwimmt auf dem Meer wie ein gigantischer Eiswürfel im Wasserglas, der die gleiche Menge Raum einnimmt, egal ob er flüssig oder gefroren ist.

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Aber die Eismasse des Thwaites-Gletschers, die auf dem Festland liegt, verliert ohne eine stützende Schelfeisplatte ihren Halt und gleitet schneller ins Meer. Die Fließgeschwindigkeit des östlichen Teils des Gletschers könnte sich verdreifachen, schätzen die Wissenschaftler. Ein kompletter Kollaps des Gletschers würde den Meeresspiegel um 65 Zentimeter erhöhen. Doch das ist noch nicht alles: Durch den stärkeren Eisabfluss verliert dieser Eisgigant auch zunehmend seine Rolle als Bremsklotz im Gletschergefüge der Westantarktis. Sollte er schneller schmelzen, könnte das den gesamten westantarktischen Eisschild weiter destabilisieren.

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