Psychologie:Wenn sich Ehrlichkeitsforscher gegenseitig betrügen

Lesezeit: 2 min

Der Psychologe und Verhaltensökonom Dan Ariely (rechts) ist ein bekannter Bestsellerautor und Redner. Mit der Wahrheit nahm es der Ehrlichkeitsforscher offenbar nicht so genau. (Foto: Jeon Heon-Kyun EPA/Picture-Alliance/ dpa)

Neue Vorwürfe gegen den Verhaltensökonomen und Bestsellerautoren Dan Ariely: Er soll Daten gezielt manipuliert haben. Auch eine Kollegin von ihm steht unabhängig davon unter Fälschungsverdacht.

Von Sebastian Herrmann

Ausgerechnet in einer Arbeit zu der Frage, wie sich Menschen zu ehrlichem Verhalten motivieren lassen, haben zwei der weltweit bekanntesten Verhaltensökonomen unabhängig voneinander offenbar Daten gefälscht. Die Vorwürfe treffen Dan Ariely von der Duke University und Francesca Gino von der Harvard Business School. Beide Wissenschaftler haben immer wieder spektakuläre Ergebnisse präsentiert, sich mit TED-Vorträgen Reichweite aufgebaut und Bestseller veröffentlicht. Nun stehen sie unter dem Verdacht, selbst Lügner zu sein. Im Zentrum der Vorwürfe: eine Studie im Fachjournal PNAS aus dem Jahr 2012, an der beide beteiligt waren.

Wie der US-Rundfunksender NPR berichtet, erhebt die damals an der Studie im weitesten Sinne beteiligte Autoversicherung Hartford Vorwürfe, welche Ariely in Bedrängnis bringen könnten: Die Daten seien erst manipuliert worden, nachdem diese an den Verhaltensökonomen übergeben worden sind, heißt es im auf npr.org publizierten Statement der Versicherung. Zudem habe Ariely die Daten publiziert, ohne die Zustimmung der Versicherung einzuholen und damit gegen die gemeinsame Vereinbarung verstoßen. Laut NPR beteuert Ariely, dass er für die Fälschung nicht verantwortlich sei.

SZ PlusPsychologie
:Doppelt gelogen?

Der weltweit bekannten Verhaltensökonomin Francesca Gino wird Datenfälschung vorgeworfen. Treffen die Anschuldigungen zu, haben gleich zwei Forscher betrogen - und das ausgerechnet in einer Arbeit über Ehrlichkeit.

Von Sebastian Herrmann

Die Studie aus dem Jahr 2012 schien zu belegen, dass Kunden eher ehrliche Antworten in Versicherungsformularen geben, wenn sie gleich zu Beginn ein entsprechendes Statement unterzeichnen. Beteuerten sie erst am Ende des Formulars, sie hätten ehrlich geantwortet, ließen sie sich eher zu Unehrlichkeit hinreißen. 2020 scheiterte zunächst eine Replikation der Arbeit, dann stießen Wissenschaftler auf Anomalien in den Rohdaten, für deren Beschaffung Ariely zuständig gewesen war.

Dieser räumte zwar ein, dass die Daten offensichtlich gefälscht seien, sagte aber, er sei dafür nicht verantwortlich. Er habe nur die Daten besorgt. An dieser Argumentation bestanden stets Zweifel. Welche Motivation, so fragten Kritiker, sollte auf Seiten der Versicherung bestanden haben, Daten für eine Studie zu fälschen?

Ariely wurden schon öfter Vorwürfe wegen Fehlverhaltens gemacht

Gegen den israelisch-amerikanischen Psychologen und Verhaltensökonomen wurden schon mehrmals Vorwürfe wegen Datenfälschung und wissenschaftlichem Fehlverhalten erhoben. Unter anderem fehlte die Zustimmung einer Ethikkommission für eine Studie, bei der Probanden Elektroschocks bekamen. In einem anderen Fall publizierte Ariely Schlussfolgerungen auf Basis von Daten einer Zahnversicherung, die er später zurückziehen musste: Derlei Daten seien gar nicht erhoben worden, bemerkte die Versicherung.

Kürzlich verwandelte sich der Fall vom mutmaßlich unehrlichen Ehrlichkeitsforscher endgültig zu einer Komödie, als auch Francesca Gino Fälschung vorgeworfen wurde. Die Forscherin der Harvard Business School war für die Datenbeschaffung eines anderen Teils der Studie aus dem Jahr 2012 verantwortlich. Auch diese Daten sind offenbar gefälscht, wie Recherchen des von drei Verhaltensforschern betriebenen Blogs DataColada nahelegen. Demnach hätten also zwei Forscher ohne das Wissen des jeweils anderen Daten für eine Studie zum Thema Ehrlichkeit gefälscht.

Im Jahr 2012 hatten Ariely und Gino übrigens auch eine Studie im Journal of Personality and Social Psychology publiziert, deren Titel sich als eine Art Selbstbeschreibung lesen ließe: "The dark side of creativity: Original thinkers can be more dishonest", zu deutsch: "Die dunkle Seite der Kreativität: Originelle Denker können unehrlicher sein." Das immerhin steht außer Zweifel: Originell ist diese ganze Angelegenheit.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Psychologie
:Lügen ist eine Leistung

Ertappen Eltern ihr Kind beim Schwindeln, ist ihre Beklemmung groß. Doch Psychologen zeigen: Der kreative Umgang mit der Wahrheit ist ein Zeichen geistiger Reife.

Von Sebastian Herrmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: