Archäologie:Asche zu Asche

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Die Einäscherung von Toten auf Verbrennungsplätzen wie hier in Indien war auch in Mitteleuropa lange üblich. Meist wurde die Asche aber anschließend bestattet. (Foto: David Talukdar /imago images/NurPhoto)

Auf einem Platz in Südtirol verbrannten Menschen vor 3000 Jahren ihre Toten und ließen Knochenfragmente und Grabbeigaben danach offenbar liegen, bis zur nächsten Bestattung. Ein solcher Ritus war bislang unbekannt.

Von Jakob Wetzel

Was genau an den Scheiterhaufen geschehen ist, lässt sich heute nicht mehr sagen. Vermutlich versammelten sich die Menschen ein letztes Mal um ihre Tote oder ihren Toten. Womöglich erhoben sie zum Abschied noch einmal ihre Becher; vielleicht ließen sie auch ein tönernes Trinkgefäß des Toten kreisen, jeder trank daraus, und der Letzte warf es dann ins Feuer.

Doch irgendwann gingen dann alle offenbar einfach davon. Niemand kümmerte sich um das, was nach dem Feuer geblieben war: Keiner hob eine Grube aus, füllte die Knochen und die Asche in eine Urne oder deckte sie zumindest mit Erde zu. Stattdessen blieben die Gebeine und die verkohlten Überreste der Grabbeigaben einfach liegen. Bis dann eines Tages, meist Jahre später, andere kamen, um einen neuen Scheiterhaufen aufzuschichten.

Auf diese fast achtlos wirkende Weise haben offenbar Menschen an der Salurner Klause in Südtirol vor etwa 3000 Jahren ihre Toten beigesetzt, über zwei Jahrhunderte hinweg. Das berichten Forscherinnen und Forscher um die Anthropologin Federica Crivellaro von der Stony-Brook-Universität in New York jetzt in der Fachzeitschrift Plos One . Und damit, schreiben sie, hätten sie etwas Außergewöhnliches entdeckt: nämlich einen für Zentraleuropa neuen, bisher noch nicht bekannten Bestattungsritus aus der Vorzeit.

Die Römer tendierten mal zur Körper-, mal zur Brandbestattung

Dass es bei Salurn einen Verbrennungsplatz gab, ist dabei alleine noch nicht besonders. Solche Orte werden zwar nur selten gefunden, weil Scheiterhaufen meist keine dauerhaften Spuren hinterlassen. Doch es muss sehr viele gegeben haben. Vom zweiten Jahrtausend vor Christus an und bis in christliche Zeit hinein war die Einäscherung der Toten in Mitteleuropa weithin üblich. Sie war derart gängig, dass die Zeit von 1300 bis 800 vor Christus heute nach den damaligen Begräbnisstätten als "Urnenfelderzeit" bezeichnet wird und die damals in Europa vorherrschende Kultur als "Urnenfelderkultur".

Rekonstruktion eines der Becher, die offenbar bei Bestattungen ins Feuer geworfen wurden. (Foto: Günther Niederwanger/Ufficio Beni Archeologici di Bolzano)

Die Römer tendierten später mal zur Körper-, mal zur Brandbestattung; letztere hatte speziell im beengten, weil stark wachsenden Rom den Vorteil, dass eine Urne weniger Platz wegnahm und dadurch die Nekropolen nicht übermäßig anwuchsen. Und auch anderswo landeten Tote im Feuer. In den homerischen Epen etwa werden die Leichen der gefallenen Helden eingeäschert, wenn sie nicht gerade geschändet werden. Achilles und sein geliebter Patroklos teilen sich am Ende keinen Sarg und kein Leichentuch, sondern eine goldene Urne. Und die Ilias endet mit der Brandbestattung des Hektor: Die Trojaner legen ihren toten Helden weinend auf einen Scheiterhaufen, und am Schluss löschen sie die Flammen mit Wein.

Doch damit ist es nicht getan: Die Trojaner lassen die Knochenreste ihres Helden nicht liegen. Sie sammeln sie ein, legen sie in einen goldenen Kasten und senken diesen dann hinab in eine Gruft. Das Gros der antiken Feuerbestattungen hat man sich zwar weniger staatstragend vorzustellen, und regional gab es Unterschiede. Oft wurden die Körper etwa an bestimmten, eigens dafür vorgesehenen Plätzen verbrannt, den Ustrinen. Mal wurde der sogenannte Leichenbrand am Ende in Kästen gepackt, mal in Urnen, mal landete er unverpackt in einer Grube.

Zuweilen wurden Tote auch ganz unkompliziert direkt in einer Grube oder auf einem Gestell über einer Grube eingeäschert; die Römer nannten diese Praxis "Bustum". Doch ob in Rom, in Troja oder in den Alpen, das Ende war immer ähnlich: Die sterblichen Überreste der Verbrannten wurden auf die eine oder andere Weise verräumt. Und sei es nur, dass eine Grube zugeschüttet wurde.

An jenem Ort bei Salurn aber geschah offenbar nichts dergleichen. Den Verbrennungsplatz dort haben Archäologen bereits in den Achtzigerjahren ausgegraben: Sie entdeckten ein Plateau mit einem Durchmesser von etwa sechs Metern, bedeckt von einer sehr kohlenstoffhaltigen Erdschicht, in der die Ausgräber Gegenstände aus Bronze und Horn fanden, Glasperlen und Tonscherben, die sie auf die Zeit zwischen 1150 und 950 vor Christus datierten.

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Vor allem aber fanden sie darin Unmengen an Knochenresten, insgesamt mehr als 63 Kilogramm. An keinem anderen Verbrennungsplatz in Europa habe man derart viel Leichenbrand gefunden, sagt Federica Crivellaro, die Erstautorin der Studie. Dafür entdeckten Archäologen in der Nähe anderer Verbrennungsplätze, etwa bei Frattesina nördlich von Ferrara, Gräberfelder mit Urnen. Bei Salurn fanden die Ausgräber keinen solchen Bestattungsort. Vielmehr lagen dort fast alle Knochenfragmente in einem zentralen Bereich auf dem Plateau - also dort, wo einst wohl die Scheiterhaufen standen.

Offenbar wurde der Leichenbrand sich selbst überlassen, bis zur nächsten Bestattung

Das Team um Crivellaro machte sich nun ans Puzzeln. Aus der schieren Masse an Knochenfragmenten berechneten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass bei Salurn mindestens 48 Personen verbrannt worden sein müssen. Ob Zufall oder nicht: Die geborgenen Tonscherben identifizierten sie unabhängig davon als die Relikte von ebenfalls mindestens 48 Bechern. Aus einzelnen Knochenfragmenten schließen die Forscher, dass unter den Verbrannten Erwachsene ebenso wie Kinder und Jugendliche gewesen sind; das Geschlecht der Toten lasse sich nicht mehr ermitteln. Und der Anteil unter anderem an Schädelfragmenten spreche dafür, dass der Leichenbrand unverändert vor Ort belassen worden sei - und nicht etwa ausgewählte Gebeine, die größten Knochen etwa oder die Schädel, entfernt und separat beigesetzt worden seien.

Die Wissenschaftler schließen aus alldem: Offenbar habe hier eine angesichts der reichen Grabbeigaben begüterte Familie über Generationen hinweg ihre Verstorbenen eingeäschert und den Leichenbrand danach sich selbst überlassen, bis zur nächsten Bestattung. Dieser Ritus wäre neu: Auf so etwas sind Archäologen bisher nicht gestoßen.

Oder war doch alles anders? Vielleicht hatte ein Unglück eine reiche Familie ausgelöscht, alle wurden binnen kurzer Zeit gemeinsam verbrannt, in einer Art kollektivem Bustum? Dann hätte es zwar ein dramatisches Begräbnis gegeben, aber es wäre gut möglich, dass die Menschen den Verbrennungsplatz danach eben doch mit Erde zugedeckt hätten. Doch das sei eher auszuschließen, meint Federica Crivellaro. Bei einer Massenverbrennung hätte der Verbrennungsplatz deutlich größer sein müssen. Die Asche, Knochen- und Holzreste lagen zudem nicht alle auf einer Ebene vermengt, sondern in Schichten übereinander.

Und die Gebeine und Grabbeigaben seien extrem fragmentiert, sagt die Wissenschaftlerin. Das könne man zwar auch mit der Erosion im Boden erklären. Aber es könne auch ein Hinweis darauf sein, dass längere Zeit nach der Einäscherung wieder Menschen kamen, um einen neuen Scheiterhaufen zu errichten. Und über die Asche, die Knochenreste und die Grabbeigaben der vorher Verbrannten hinwegtrampelten.

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