Tiere:Dieser Ameisenigel galt als ausgestorben - aber er lebt

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Ein Attenborough-Langschnabeligel in den Zyklopen-Bergen, fotografiert von einer Kamera-Falle. (Foto: Expedition Cyclops)

Teilnehmer einer Expedition in Indonesien haben den vor mehr als 60 Jahren zuletzt gesichteten Attenborough-Ameisenigel wiederentdeckt - und sogar gefilmt.

Von Tina Baier

Im Jahr 1961 wurde er das letzte Mal gesehen. Biologen waren sich so gut wie sicher, dass er ausgestorben ist. Doch der Attenborough-Langschnabeligel lebt!

Ein internationales Forscherteam hat das seltsame Tier, das aussieht wie eine Kreuzung zwischen Igel und Ameisenbär, auf einer Expedition im Nordosten der indonesischen Provinz Papua entdeckt und sogar gefilmt. Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie der Ameisenigel quicklebendig durch einen Wald in den Zyklopen-Bergen wackelt.

Der merkwürdige Gang entsteht, weil Ameisenigel ihre Füße, die denen von Maulwürfen ähneln, beim Gehen durchstrecken und außerdem die Zehen der Hinterbeine nach außen gedreht sind. Was etwas mühsam aussieht, hat seinen Sinn. Mit dieser Art, sich fortzubewegen, kommen die Tiere auch auf zerklüftetem Terrain langsam aber sicher voran.

Doch das ist nicht die einzige Besonderheit des wiederentdeckten Tieres. Ameisenigel legen wie Schnabeltiere Eier, säugen ihre Jungen aber dann mit Milch. Die Weibchen haben allerdings keine Zitzen, sondern ein Milchfeld, aus dem Milch austritt, sobald die Jungen anfangen, daran zu lecken.

Merkwürdiges Paarungsritual

Obwohl sie ihre Jungen also nicht lebend gebären, gehören sie - wie auch das Schnabeltier - zu den Säugetieren. Für diese Einteilung sprechen die drei Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel), die Haare (die manchmal so lang sind, dass die Stacheln nicht mehr zu sehen sind) sowie natürlich das Säugen des Nachwuchses mit Milch.

Ungewöhnlich wie das ganze Tier ist auch die Fortpflanzung der Ameisenigel. Es fängt damit an, dass plötzlich ganze Karawanen von Ameisenigeln durch den Wald wandern. Vorn weg geht ein Weibchen, dem bis zu zehn Männchen hinterherzockeln. Für die Männchen scheint das Stress pur zu sein - sie verlieren während dieser Wanderungen bis zu einem Viertel ihres Gewichts. Wenn das Weibchen sich paaren will, legt es sich flach auf den Bauch. Die Männchen reagieren darauf, indem sie einen Graben rund um das Weibchen buddeln, aus dem sie sich gegenseitig herausschubsen. Das Männchen, das übrig bleibt, hat es geschafft und darf sich mit dem Weibchen paaren.

Etwas Schutz vor Regen und Moskitos: Ein Camp der Expeditionsteilnehmer in den Zyklopen-Bergen. (Foto: Expedition Cyclops)

Dass der immerhin etwa katzengroße Attenborough-Langschnabeligel seit mehr als 60 Jahren nicht mehr gesehen wurde und deshalb als verschollen galt, liegt auch daran, dass das Gebiet in den Zyklopen-Bergen, in dem die Tiere leben, extrem schwer zugänglich ist.

Es regnet fast ununterbrochen, gleichzeitig ist es unerträglich heiß. Der ganze Wald wimmelt von giftigen Schlangen und Spinnen. Auf den Bäumen leben Egel, die auf Opfer lauern und sich herabfallen lassen, wenn eines vorbeikommt. Außerdem wohnt dort eine merkwürdige Garnele, die die Wissenschaftler während ihrer vierwöchigen Expedition ebenfalls entdeckt haben, und die zuvor noch nie ein Mensch gesehen hat.

Auf den Bäumen entdeckten die Expeditionsteilnehmer eine Garnele, die aussieht, als würde sie eigentlich ins Meer gehören. (Foto: Expedition Cyclops)

"Die Landschaft ist magisch", sagt James Kempton, Biologe an der britischen University of Oxford, der die Expedition geleitet hat, laut einer Presseerklärung der Universität. "Gleichzeitig zauberhaft und gefährlich, wie etwas aus einem Buch von Tolkien." J. R. R. Tolkien hat unter anderem "Der Herr der Ringe" geschrieben.

Die Expedition in den Zyklopen-Bergen muss abenteuerlich gewesen sein, also noch abenteuerlicher, als es Expeditionen normalerweise sind: Das Team wurde permanent von Mücken und Zecken drangsaliert, am Auge eines Expeditionsmitglieds saugte sich ein Egel fest, ein anderer bekam Malaria, und James Kempton selbst brach sich den Arm doppelt, als er einen Abhang hinuntersteigen wollte und ausrutschte.

Expeditionsleiter James Kempton von der britischen University of Oxford. (Foto: Expedition Cyclops)

Einer der Expeditionsteilnehmer fiel in ein Loch, das von Moos überwuchert war. Dann stellte sich heraus, dass das Loch der Zugang zu einem ganzen Höhlensystem war. Als die Wissenschaftler es erforschen wollten, gab es ein Erdbeben, das das Team zum Rückzug zwang. Später entdeckten die Expeditionsteilnehmer in den Höhlen blinde Spinnen und Grillen und einen riesigen Geißelskorpion.

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Es kommt gar nicht so selten vor, dass Tiere, die wie der Attenborough-Langschnabeligel als ausgestorben galten, weil sie jahrzehntelang nicht gesichtet wurden, plötzlich doch wieder auftauchen. Biologen sprechen von Lazarus-Arten - frei nach Lazarus aus der Bibel, den Jesus wieder zum Leben erweckt haben soll. 2019 zum Beispiel tauchte auf Fernandina, der drittgrößten der Galapagosinseln, ein Exemplar der Riesenschildkröte Chelonoidis phantasticus wieder auf. Seit 113 Jahren hatte niemand mehr diese Schildkröte gesehen, das vermeintlich letzte Exemplar war 1906 entdeckt worden, die Art galt wie der Attenborough-Langschnabeligel als ausgestorben.

Auch die Laotische Felsenratte galt lange als verschwunden - bis Forscher mehrere tote Exemplare auf einem Lebensmittelmarkt in Laos entdeckten. An einem Fleischstand wurden die Tiere gegrillt verkauft. Zum Glück waren das nicht die letzten Exemplare. Kurz darauf entdeckte man auch noch lebende Felsenratten. Heute werden sie von der Weltnaturschutzunion IUCN nicht einmal mehr als gefährdet eingestuft.

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