Arbeitsmarkt:CDU hält Zuwanderungspläne der Ampel für "völlig illusorisch"

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Stellt die Pläne der Ampelkoalition für mehr Fachkräfte öffentlich infrage: CDU-Vize Carsten Linnemann. (Foto: Metodi Popow/imago)

Parteivize Linnemann glaubt nicht an 400 000 Arbeitsmigranten im Jahr. Er wirft der Ampelkoalition vor, das Tor für "ungesteuerte Zuwanderung" zu öffnen. Doch seine Rechnung hat einen Haken.

Von Roland Preuß, Berlin

Bisher war man sich von der Union über die SPD bis hin zu den Grünen weitgehend einig, dass man den Mangel an Fachkräften in Deutschland auch durch mehr Zuwanderer bekämpfen muss. Nun allerdings schlägt der stellvertretende CDU-Vorsitzende Carsten Linnemann deutlich kritischere Töne an. "Es ist völlig illusorisch, dass jedes Jahr 400 000 Fachkräfte nach Deutschland kommen sollen", sagte er der Bild -Zeitung. Da in Deutschland mehr Menschen in den Ruhestand gehen als Einheimische neu auf den Arbeitsmarkt kommen, dürfte sich der Fachkräftemangel weiter verschärfen. Fachleute beziffern die Zahl der nötigen Zuwanderer auf jährlich etwa 400 000, um diese Lücke auszugleichen.

Linnemann bezweifelt, dass dies funktionieren kann. "2021 kamen aus Drittstaaten außerhalb Europas rund 530 000 Menschen zu uns. Nur ein Bruchteil davon - rund 40 000 - kam zu Arbeitszwecken. Wie wollen wir bei dieser geringen Quote auf 400 000 Fachkräfte zusätzlich kommen?" Die gesamte Infrastruktur sei nicht ausgelegt für eine solche Zuwanderung, sagte CDU-Vize Linnemann, es fehle der Wohnraum, die Schulen, die Kindergärten. "Die Ampel muss aufhören, Märchen zu erzählen. Sie will nur die Hürden für die Einwanderung immer weiter absenken und öffnet das Tor für ungesteuerte Zuwanderung. Das dürfen wir nicht zulassen."

Im Schnitt gehen Deutsche mit 64,1 Jahren in Rente

Die Ampelkoalition plant eine Reform des Zuwanderungsrechts, das mehr Arbeitskräften den Weg nach Deutschland ebenen soll; auch solchen, die keinen in Deutschland anerkannten Berufsabschluss mitbringen. Zudem will die Bundesregierung ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild einführen und mehr um ausländische Studierende und Auszubildende werben. Ende November hatte das Bundeskabinett entsprechende Eckpunkte verabschiedet. Allerdings betonte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wiederholt, dass zunächst die Möglichkeiten im Inland ausgeschöpft werden müssten, indem Frauen ihre wöchentliche Arbeitszeit verlängern, Arbeitslose eine Ausbildung nachholen und Ältere länger arbeiten.

Erst am Wochenende hatte Heil (SPD) die Arbeitgeber aufgefordert, stärker auf ältere Beschäftigte zu setzen. "Die Zeit, in der in vielen Großkonzernen über 60-Jährige zum alten Eisen gepackt werden, muss vorbei sein", sagte er dem Spiegel. In Zeiten des wachsenden Arbeits- und Fachkräftemangels könne die deutsche Volkswirtschaft nicht auf erfahrene Beschäftigte verzichten. Im Durchschnitt gehen Beschäftigte in Deutschland mit 64,1 Jahren in Rente, also deutlich vor der gesetzlichen Altersgrenze. Sie liegt derzeit bei fast 66 Jahren.

Nach Ansicht von Heils Vorgängerin Andrea Nahles, inzwischen Chefin der Bundesagentur für Arbeit, wird der Fachkräftemangel deutsche Unternehmen härter treffen als internationale Wettbewerber. "Der Arbeitsmarkt verändert sich in Deutschland stärker als in anderen Ländern, weil wir ein massives demografisches Problem haben", sagte Nahles der Augsburger Allgemeinen. "Fragen der Work-Life-Balance müssen neu ausgehandelt werden, wie meine Generation die Verteilung der Arbeit zwischen Frau und Mann in Familien neu ausgehandelt hat", sagte Nahles. "Aushandeln heißt aber auch an die jüngere Generation gerichtet: Arbeit ist kein Ponyhof." Auch Nahles setzt auf mehr Zuwanderer. Deutschland sei oft noch zu kompliziert, etwa was die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse betreffe.

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Hilfe, mir fehlen die Mitarbeiter: Überraschend viele Firmen klagen über Personalnot. Nach Ansicht der Chefin der Bundesagentur für Arbeit können zum Beispiel flexiblere Schichtzeiten helfen.

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Linnemanns Argumentation führt in die Irre

Die nun von Linnemann genannte Zahl von nur "rund 40 000" Zuwanderern aus Drittstaaten, die 2021 zum Arbeiten nach Deutschland kamen, sind allerdings irreführend. Jahrelang waren mehr als 60 000 Menschen aus Staaten von außerhalb der EU zum Geldverdienen gekommen, 2019 waren es gut 64 000, ehe die Corona-Pandemie viele von einem Umzug abhielt und Unternehmen von weiteren Einstellungen. Hinzu kommen jährlich Hunderttausende Zuwanderer aus EU-Ländern, die Freizügigkeit genießen und zu einem großen Teil ebenfalls zum Arbeiten nach Deutschland ziehen. Aus den beiden Hauptherkunftsländern Rumänien und Bulgarien kamen allein im Jahr 2019 mehr als 170 000 Menschen nach Deutschland, bevor auch diese Zahl in der Corona-Krise deutlich zurückging.

Der Mangel an Wohnraum hingegen, den Linnemann ebenfalls anspricht, gilt als großes Problem nicht nur für Einheimische, sondern auch für Migranten mit einem Jobangebot aus Deutschland. Gerade in Ballungsräumen wie Hamburg, München oder der Rhein-Main-Region ist es oft extrem beschwerlich geworden, eine Wohnung zu finden, selbst wenn man mit einem soliden mittleren Einkommen für sich werben kann. Ähnliches gilt für viele Schulen. Diese nehmen gerade Tausende aus der Ukraine geflohene Kinder auf - und müssen zugleich einen Mangel an Lehrkräften bewältigen.

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