Justiz:Richter zieht Wirecard-Prozess durch

Lesezeit: 2 min

Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (r) könnte schon bald vom Gericht befragt werden. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die Verteidiger von Ex-Konzernboss Markus Braun fühlen sich von der Masse an Akten überfordert. Das Gericht will das nicht gelten lassen - und verteilt deutliche Spitzen in Richtung von Brauns Anwälten.

Von Johannes Bauer und Stephan Radomsky, München

Dass es nicht einfach wird, den wohl größten Schwindel in der deutschen Wirtschaftsgeschichte aufzuarbeiten, war schon vorher klar. Aber die Masse an Daten ist trotzdem schier atemberaubend: E-Mails, Chat-Nachrichten, Kontoauszüge, Zeugenvernehmungen, und, und, und. Insgesamt sind es viele Gigabyte an Daten, umgerechnet wohl Hunderttausende Seiten. Zu viel und vor allem zu kurzfristig, kritisieren die Verteidiger von Ex-Wirecard-Boss Markus Braun und dem früheren Chefbuchhalter des Konzerns, Stephan E. - und fordern seit Wochen, den ganzen Prozess erst einmal auszusetzen.

Ohne Erfolg. Das Gericht wird keine monate- und womöglich jahrelange Pause einlegen, damit die Anwälte in Ruhe lesen können. Das hat der Vorsitzende Richter Markus Födisch am späten Mittwochnachmittag klargestellt und damit die insgesamt drei vorliegenden Aussetzungsanträge abgewiesen.

Zwar sei der Umfang der Akten "außerordentlich hoch", räumt auch Födisch ein. Was seit Anfang November aber an zusätzlichem Material eingegangen sei, enthalte allerdings viele Doppelungen und Akten, die für die Anklage von eher geringer Bedeutung seien. Beim Rest dürften "besondere Bemühungen" der Verteidiger "in gewissem Maß" erwartet werden. Eine "effektive Verteidigung" sei damit weiterhin möglich, "etwaige entstehende Nachteile werden durch das Gericht auszugleichen sein", so Födisch. Die noch ausstehenden Ermittlungsergebnisse, etwa durch bisher nicht beantwortete Rechtshilfeersuchen im Ausland, seien ebenfalls kein Grund, den Prozess auszusetzen. Auch eine Verletzung des Rechtstaatsprinzips sei nicht erkennbar.

Zugleich verteilte das Gericht deutliche Spitzen in Richtung von Brauns Anwälten, vor allem an seinen wichtigsten Verteidiger Alfred Dierlamm, der sich wegen einer Erkrankung abgemeldet hatte. Seine Anträge aber zeigten bereits, dass in den zuletzt eingereichten Akten "die wesentlichen Inhalte bereits erfasst werden konnten". Zudem hätten die Verteidiger Bereits seit Anfang Oktober "jederzeit Gelegenheit gehabt" bei der Polizei Beweismittel einzusehen, diese Chance aber nie genutzt. Außerdem habe Dierlamm - entgegen seiner ausdrücklichen Versicherung beim Gericht - Datensätze zur Auswertung an einen IT-Dienstleister weitergegeben.

Jetzt könnte unerwartet schnell Markus Braun aussagen

Die Entscheidung über die Aussetzungsanträge war mit Spannung erwartet worden. Der weitere Fortgang des gesamten Prozesses hängt davon ab. Denn die Einwände der Verteidiger und die Entgegnung des Gerichts könnten entscheidend werden, wenn es zu einer Revision kommt.

Außerdem hatten Brauns Verteidiger angekündigt, ihr Mandant werde sich erst nach der Entscheidung des Gerichts äußern. Diese Voraussetzung wäre nun erfüllt. Denn bisher hat nur Oliver Bellenhaus, früher Dubai-Statthalter von Wirecard und damit zuständig für das sogenannte Drittpartner-Geschäft in Asien, als Kronzeuge ausgesagt. Etliche Verhandlungstage lang hatte er geredet, hatte erst lange Erklärungen abgegeben und sich dann vom Gericht und den Staatsanwälten befragen lassen. "Zum derzeitigen Zeitpunkt sieht die Verteidigung die Befragung als abgeschlossen an", sagte Bellenhaus' Verteidiger Florian Eder nun.

Nun könnte es also bald mit Braun weitergehen - unerwartet schnell. Lediglich einige Erklärungen zu den Aussagen des Kronzeugen wollen die anderen Parteien noch abgeben, dann wäre der frühere Wirecard-Boss dran. Damit er und seine Anwälte sich vernünftig vorbereiten können, kündigte Födisch eine kurze Prozesspause an: Diese und kommende Woche soll nicht mehr verhandelt werden, am 8. Februar soll es weitergehen. Dann wird es wohl gleich den nächsten Aussetzungsantrag geben, wieder von Brauns Verteidigern.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusProvisionen für Berater
:So werden Anleger über den Tisch gezogen

Wer sich bei der Geldanlage beraten lässt, bekommt oft teure und schlechte Produkte angedreht. Die EU-Kommission erwägt nun, Provisionen zu verbieten. Wohin es führen kann, wenn der Berater mitverdient.

Von Harald Freiberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: