Geldpolitik:Warum Biden auf die US-Notenbank hoffen muss

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An diesem Mittwoch treffen Amerikas Währungshüter eine auch für Präsident Joe Biden wichtige Entscheidung. (Foto: Patrick Semansky/AP)

Erstmals seit Ende 2018 sollen die US-Leitzinsen steigen. Scheitert die Notenbank im Kampf gegen die rapide Inflation, besiegelt sie damit womöglich auch das politische Schicksal von Präsident Biden.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Knapp 240 Tage sind es noch bis zu den US-Kongresswahlen, für Hochrechnungen oder gar Ergebnisse ist es somit viel zu früh. Doch die ersten Prognosen zum Wahlausgang kann man längst nachlesen, sie prangen zehntausendfach auf haushohen Leuchttafeln im ganzen Land: Florida etwa vermeldet diese Woche eine glatte 5,00, Illinois übermittelte Werte bis zu 5,33, Kalifornien gar bis zu 6,07.

Es sind die Preise für eine Gallone Super-Benzin (3,8 Liter), und auch wenn deutsche Autofahrer über Durchschnittskosten von umgerechnet rund 1,15 Euro je Liter nur lachen können, verheißen sie für Präsident Joe Biden und seine Partei doch nichts Gutes. Denn bei allen Eigentoren, die die Demokraten seit ihrem Wahlsieg vor 16 Monaten geschossen haben, bei allen weltpolitischen Krisen, für die sie nichts können: Was ihnen am 8. November wirklich das Genick zu brechen droht, ist die hohe US-Inflationsrate, die sich gerade mit Riesenschritten der Acht-Prozent-Marke nähert.

Hüterin der Preisstabilität: US-Notenbank Fed in Washington. (Foto: OLIVIER DOULIERY/AFP)

Da er selbst kaum Mittel zur Verfügung hat, den Trend zu stoppen, bleibt Biden kaum mehr übrig, als auf ein Instrument zu vertrauen, bei dem Parteistrategen bisher wohl die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätten: auf Leitzinserhöhungen der US-Notenbank (Fed). Sie sollen dabei helfen, den mit billionenschweren Corona-Hilfspaketen befeuerten Konjunkturboom zu dämpfen und die Entstehung einer Spirale aus permanenten Lohn- und Preiserhöhungen zu verhindern. Ob und wann die Fed den Kurswechsel einleitet, wird sie an diesem Mittwoch bei der turnusmäßigen Sitzung ihres geldpolitischen Ausschusses in Washington entscheiden.

Beinahe alle Experten gehen davon aus, dass Notenbankchef Jerome Powell und seine Mitstreiter ihren jüngsten Andeutungen Taten folgen lassen und die sogenannte Tagesgeldzielspanne von derzeit null bis 0,25 Prozent um einen Viertelpunkt auf dann 0,25 bis 0,5 Prozent anheben werden. Das klingt nach wenig und hätte in der Tat zunächst kaum direkte Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Preisentwicklung. Es wäre aber das klare Signal an Verbraucher, Unternehmen und Politik, dass die Fed die Inflationsgefahr nach monatelangem Zögern nun ernst nimmt. Außerdem hatten die Notenbanker bereits Ende Januar signalisiert, dass einer solchen ersten Erhöhung im Laufe dieses Jahres mehrere weitere folgen dürften. Allerdings war das vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.

Die Teuerungswelle hat mittlerweile weite Teile der US-Wirtschaft erfasst

Leitet die Fed das Ende der Nullzinsphase nun tatsächlich ein, wäre wohl nicht nur Biden, sondern auch das Gros der Fachleute damit einverstanden. Denn die Teuerungswelle in den USA hat mittlerweile eine Breite, die sich aus der Pandemie und den damit verbundenen globalen Lieferengpässen allein kaum mehr erklären lässt. Nach einer Übersicht der Nachrichtenagentur Bloomberg kosteten im Februar fast zwei Drittel aller Waren und Dienstleistungen, die in die Berechnung des Verbraucherpreisindex einfließen, mindestens vier Prozent mehr als im gleichen Vorjahresmonat. Im Januar hatte die Quote noch bei unter 50 Prozent gelegen.

Was der Fed jedoch noch mehr Sorgen bereitet, ist der Umstand, dass während der Pandemie offenkundig Hunderttausende Amerikaner dem Arbeitsmarkt dauerhaft den Rücken gekehrt haben. Das verschärft den ohnehin bestehenden Fachkräftemangel im Land - und das ausgerechnet zu einer Zeit, da die Verbraucher nach zwei Jahren voller Beschränkungen bereiter sind denn je, einen Teil ihrer Ersparnisse auszugeben. Ergebnis ist, dass die Arbeitgeber sich mit Lohnerhöhungen, Boni und Einstiegsbonbons geradezu überbieten. Manche Firmen zahlen Jobbewerbern allein dafür Hunderte Dollar, dass sie zum Vorstellungsgespräch erscheinen.

Beinahe alle Experten gehen davon aus, dass Notenbankchef Jerome Powell und seine Mitstreiter ihren jüngsten Andeutungen Taten folgen lassen. (Foto: JONATHAN ERNST/REUTERS)

Für Biden ist das Gehaltsplus auf den Konten vieler Bürger prinzipiell eine gute Nachricht - und auch die Notenbanker um Powell sind entgegen allen Klischees keineswegs graue, empathielose Zahlenknechte, denen das Wohl und Wehe einfacher Arbeitnehmer egal wäre. Sollten die Betriebe aber versuchen, die höheren Löhne über eine weitere Anhebung ihrer Verkaufspreise wieder hereinzuholen, dann droht in der Tat jene gefürchtete Spirale in Gang zu kommen, die sich nur noch durch eine geldpolitische Vollbremsung mit anschließender Rezession stoppen lässt. Um das zu verhindern, setzt die Fed auf stetige, aber kleine Zinsschritte, die Kredite verteuern und den Boom im Idealfall sanft und konjunkturschonend abbremsen.

Im schlechtesten Fall löst die Fed genau die Rezession aus, die sie eigentlich verhindern will

Als wäre diese Gratwanderung nicht schon schwierig genug, kommen nun der Krieg Russlands gegen die Ukraine und seine weltwirtschaftlichen Schockwellen noch hinzu. Dabei dürften die unmittelbaren ökonomischen Folgen für die USA zunächst vergleichsweise gering sein, denn anders als etwa viele EU-Staaten importieren die Amerikaner kaum Energie- und Agrarprodukte aus den beiden Konfliktländern. Allerdings werden die weltweiten Preiserhöhungen für Öl, Gas, Kohle, Weizen, Mais und viele andere Waren über Umwege auch die Vereinigten Staaten erreichen und den Inflationsdruck dort weiter erhöhen. Hinzu kommt: Manche US-Branchen, etwa die Autoindustrie, sind sehr wohl auf Rohstoffe aus Russland und der Ukraine angewiesen, auf Nickel und Palladium beispielsweise. Und auch die Börsen könnten noch einmal eine unheilvolle Rolle spielen: Brechen sie wegen der anhaltenden politischen Konflikte zwischen den USA und EU auf der einen sowie Russland und China auf der anderen Seite weiter ein, dürfte es auch mit der Kauflaune der amerikanischen Bürger rasch vorbei sein.

Im schlechtesten Fall also erhöht die Fed die Leitzinsen just in dem Moment, da die scheinbar so robuste Nach-Corona-Konjunktur gerade wieder zu schwächeln beginnt. Zwar ist Nichtstun angesichts der Rekordinflation wohl auch keine Option. Gehen die Währungshüter aber nicht behutsam vor, lösen sie mit den Zinserhöhungen am Ende womöglich genau die Rezession aus, die sie eigentlich verhindern wollten.

Biden hat sich angesichts der Probleme schon eine Kommunikationsstrategie zurechtgelegt, die bei weiter steigenden Preisen greifen soll - Kernbotschaft: Wladimir Putin ist schuld! Die oppositionellen Republikaner, die im November sowohl das Repräsentantenhaus als auch den Senat von den Demokraten zurückerobern wollen, kann er mit diesem Slogan allerdings nicht schrecken. Im Gegenteil, ihr Schlachtruf ist für die US-Wähler womöglich sogar noch eingängiger. Er lautet: Joe Biden ist schuld!

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