Geschäftsgeheimnisse:"Der Schaden ist unumkehrbar"

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Ob am frühen Morgen oder nach Feierabend: Momente, in denen Angestellte unbeobachtet Daten entwenden können, gibt es in jedem Unternehmen. (Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Wenn Angestellte zur Konkurrenz wechseln und dabei Geschäftsgeheimnisse mitnehmen, kann das für Firmen gefährlich und teuer werden. Das zeigt ein Fall aus Karlsruhe.

Von Johannes Bauer

Als das Urteil Anfang Mai 2023 gesprochen ist, gönnte sich Philipp Benkler ein Bier. "Ich habe jetzt nicht zu meinem Team gesagt: Kommt, wir machen eine Flasche Schampus auf!", erinnert er sich. Benkler, Geschäftsführer des IT-Unternehmens Unicon, wusste da schon, dass dieses Urteil nur ein Etappensieg war. Gerade hatte das Amtsgericht Karlsruhe Niels K., Benklers Vorgänger als Geschäftsführer von Unicon des Geheimnisverrats schuldig gesprochen. Er sollte eine hohe Geldstrafe von 180 Tagessätzen zahlen. Am Tag darauf legte K.s Anwältin jedoch Berufung ein. Deshalb ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

Der Rechtsstreit zwischen Unicon und K. ist auch ein Fingerzeig, wie gut sich das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen in der Praxis bewährt. In Kraft getreten ist es im April 2019, bislang gibt es erst ein paar Dutzend Urteile. Dabei ist es wichtig, wie Geschäftsgeheimnisse definiert sind. Denn Unternehmen kann schnell ein Schaden in Millionenhöhe entstehen, wenn einer ihrer Mitarbeiter sensible Daten zur Konkurrenz mitnimmt. "Das Unternehmen muss definieren, was ihm besonders sensibel, wichtig oder sogar existenziell ist", erklärt Jan Heuer, Anwalt für Arbeitsrecht bei der Düsseldorfer Kanzlei Kliemt. Außerdem bräuchte es ein klares Zugriffskonzept. "Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass bestimmte Dateien nur ausgewählten Mitarbeitern zugänglich sind."

Bei Unicon gab es ein solches Konzept, mit einer Unterteilung der Arbeitsbereiche in "private" und "public" und auch entsprechende Vertraulichkeitserklärungen, die K. unterschreiben musste. Bevor er im April zum Konkurrenten Igel Technology wechselte, kopierte K. dennoch mehr als 50 000 Dateien, Hunderte davon waren streng vertraulich. Er legte sie in der Cloud seines neuen Arbeitgebers ab. Zu den Dateien gehörten unter anderem Kontostände und Arbeitsverträge, aber auch geheime strategische Unterlagen, wie sich zukünftige Produkte der Unicon umsetzen ließen, vor allem aber auch eine Übersicht zu den Top-50-Kunden des Unternehmens samt Umsätze und Namen der Entscheidungsträger. So hat es K. bei der Verhandlung im Mai gestanden. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass er die Dateien nach seinem Wechsel mit dem Ziel verwendet hat, "Kunden und Mitarbeiter der Unicon abzuwerben". Tatsächlich nahm K. nicht nur Dateien mit zu Igel, sondern auch zehn der damals 25 Mitarbeiter von Unicon.

Seit zweieinhalb Jahren sind Geschäftsführer Philipp Benkler und sein Unternehmen Unicon im Verteidigungsmodus. (Foto: Unicon)

Zumindest gegen eine unbemerkte Datenmitnahme könne sich ein Unternehmen wappnen, sagt Arbeitsrechtler Heuer: "Es sollte technische und rechtliche Vorkehrungen treffen, damit sich Verdachtsmomente aufklären lassen." Im Fall von Unicon half aber vielmehr die Intuition von Philipp Benkler, der im Dezember 2020 zum Unternehmen stieß. Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass Benkler auf K. folgen würde, weil dieser zur Konkurrenz geht. Sein Verhalten bei ihren Begegnungen machte ihn misstrauisch: "Da ist irgendwas faul", habe er sich damals gedacht, sagt Benkler. Er wies einen Informatiker an, K.s Mail-Ausgang zu prüfen. Der hatte eine verdächtig große Menge Mails an sich selbst geschickt und anschließend gelöscht. An den Betreffzeilen ließ sich jedoch ablesen, dass sensible Daten an die Mails angehängt sein mussten.

Auf den Verdachtsmoment folgten wegen der Datenmitnahme zwei Hausdurchsuchungen bei K. und seiner neuen Firma und ein jahrelanger Rechtsstreit. Bereits Ende März dieses Jahres verurteilte das Landgericht München I K. in einem Zivilprozess dazu, Abmahnkosten in Höhe von mehr als 45 000 Euro an Unicon zu zahlen und dem Unternehmen den Schaden zu ersetzen, der durch die Nutzung von Geschäftsgeheimnissen entstanden ist und noch entstehen wird. Da es sich um eine Stufenklage handelt, haben Unicon und Benkler im nächsten Schritt die Möglichkeit, diesen Schaden zu beziffern. Dadurch, dass zehn Mitarbeiter mit K. zu Igel gingen, musste Unicon im "Überlebenskampf", wie Benkler es nennt, deutlich teurere Freiberufler bezahlen und Headhunter, um an neue Mitarbeiter zu kommen. Mit den Anwaltskosten sei man da schon bei einer Million, sagt er. "Und das sind nur die harten Euros, die weg sind."

Bei der weiteren Strategie hält sich der Geschäftsführer bedeckt

Ungleich schwieriger dürfte es sein, den Schaden zu beziffern, der entstanden ist, weil Unicon sich eine Weile nur darauf konzentrieren konnte, seine Bestandskunden zu halten. In der IT-Branche rechne man damit, jedes Jahr um zehn bis 20 Prozent zu wachsen und der Umsatz von Unicon liege im niedrigen achtstelligen Bereich, rechnet Benkler vor. Pro Jahr, in dem das Unternehmen am Wachstum gehindert sei, wäre das also einen Schaden von ein bis vier Millionen Euro. Damit nicht genug. "Das fehlt mir ja auch jedes Jahr, um von einer höheren Basis aus weiter wachsen zu können", so Benkler.

Igel wiederum brachte K. kein Glück. Unmittelbar nach Urteilsverkündung trennte sich das Unternehmen von ihm. Auch der ehemalige Betriebschef verlor seinen Posten und der zwischenzeitliche Igel-Chef, der dem Unternehmen heute nur noch als "Company Advisor" dient. Mit beiden hat K. eng zusammengearbeitet. Igel teilt auf Anfrage mit: "Wir haben zu keinem Zeitpunkt fremde Geschäftsgeheimnisse genutzt." Die Klagen von Unicon gegen Igel und dessen Geschäftsführung seien vollständig abgewiesen, alle Ermittlungsverfahren eingestellt worden. Benkler bleibt dabei: Es sei nur realistisch, dass die Informationen bei Igel "diffundiert" seien. "Der Schaden ist unumkehrbar", sagt er.

Bei der Frage, ob nur K. oder auch Igel für den Schaden aufkommen soll, hält sich Benkler bedeckt: "Aktuell schließen wir nichts aus." Spannend dürfte vor allem zu sehen sein, wie die Gerichte den Vorwurf von Unicon beurteilen, K. sei dafür verantwortlich, dass dem Unternehmen Wachstum entgangen sei und ob sie der Argumentation folgen, dass es dabei um Millionen ginge. Speziell im Zusammenhang mit dem Geschäftsgeheimnisgesetz gibt es dazu nämlich noch einmal weniger Urteile als zum Gesetz allgemein.

Die Krise nach dem Abgang von K. hat Unicon überwunden. Mittlerweile umfasst die Belegschaft 70 Mitarbeiter - so viele wie noch nie. "Wir sind eine ganz andere Firma geworden, auch mit einer ganz anderen Kultur", sagt Benkler.

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