Nachhaltigkeit:Wie sozial sind Waffenfabriken?

Lesezeit: 3 Min.

Schützenpanzer Puma von Rheinmetall: Die Branche hatte bereits öfter Probleme mit Banken und Geldgebern. (Foto: Holger Hollemann/dpa)

Die EU-Kommission hält Investitionen in Atomkraftwerke für nachhaltig und erntete dafür Riesenärger. Nun will die Behörde festlegen, wie sozial bestimmte Branchen sind - und provoziert schon wieder Streit.

Von Björn Finke, Brüssel

Die grüne Taxonomie der EU-Kommission ist ein Aufreger. Denn die Brüsseler Behörde erkennt darin per Gesetz auch Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke unter Umständen als nachhaltig an. Aktien der Betreiberfirmen dürfen sich dann in Ökofonds finden. Die Regelung ist noch nicht in Kraft, da beginnt schon der Streit um eine Erweiterung: die soziale Taxonomie. Die Kommission will sich nun der Frage widmen, welche wirtschaftlichen Aktivitäten sozial sind, also das Wohlergehen der Menschen und Gemeinschaften mehren. Zugleich könnte die Behörde definieren, welche Branchen keinesfalls als sozial verantwortungsvoll gelten dürfen.

Die Rüstungsindustrie befürchtet bereits, dass Brüssel ihr dieses abschreckende Logo anpappen will - und es schwieriger werden könnte, Bank- und Investorengelder anzulocken. Der Süddeutschen Zeitung liegt dazu der Entwurf eines 83-seitigen Expertenberichts für die Kommission vor. Und der schlägt in der Tat vor, Tabakprodukte und bestimmte Waffen als "unter allen Umständen sozialen Zielen widersprechend" einzustufen. Doch sind die Formulierungen im Vergleich zu einem Zwischenbericht von Juli vorsichtiger gehalten.

Die Taxonomien sind Klassifizierungssysteme, die festlegen, was ökologisch und sozial nachhaltig ist. Das soll verhindern, dass sich Firmen oder Fonds grüner oder sozialer geben, als sie es wirklich sind. Damit will die Kommission das Vertrauen in Öko- oder Sozial-Finanzprodukte - etwa Sozialanleihen oder Öko-Aktienfonds - erhöhen und mehr Anlegergeld anlocken. Die grüne Taxonomie ist bereits in Kraft, bis auf die Regelungen zu Atom- und Gaskraftwerken.

Die soziale Taxonomie ist hingegen noch in der Entwurfsphase. Die Kommission beauftragte ein Expertengremium, die sogenannte Plattform für nachhaltiges Finanzwesen, damit, Empfehlungen für solch ein soziales Klassifizierungssystem zu erarbeiten. Im Juli veröffentlichten die Fachleute einen Zwischenbericht. Der weckte bei der Rüstungsindustrie große Ängste, weil er Waffen neben Glücksspiel und Tabakprodukten pauschal als sozial schädlich deklariert. Die deutsche Rüstungslobby BDSV warnt, dass diese soziale Taxonomie Herstellern massive Finanzierungsprobleme bescheren könnte: Banken und Versicherer schreckten jetzt schon manchmal davor zurück, Rüstungsfirmen ihre Leistungen anzubieten, aus Sorge um ihren Ruf. Eine negative Einstufung in der sozialen Taxonomie der EU würde diese Schwierigkeiten verstärken, argumentiert der Verband.

Die Rüstungsindustrie hält sich für nachhaltig

Entsprechend scharf kritisiert BDSV-Chef Hans Christoph Atzpodien die Politik: "Nach unseren bisherigen Gesprächen in Brüssel und Berlin habe ich manchmal den Eindruck: Sie wissen nicht, was sie da tun. Das Problembewusstsein ist vielfach gar nicht vorhanden", sagte er kürzlich in einem Interview. Dabei würde die Branche Frieden und Sicherheit fördern und so "einen fundamentalen Beitrag zur Nachhaltigkeit" leisten.

Die Expertengruppe der Kommission sollte ihren Abschlussbericht eigentlich Ende 2021 vorlegen, jetzt soll es bis März so weit sein. Im Entwurf des Reports heißt es nun, die Taxonomie solle bewerten, wie Unternehmen zu drei Zielen beitragen: gute Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten und die von Zulieferern, das Wohlergehen der Kunden und Produktnutzer sowie eine integrative Gesellschaft. Daneben sollen bestimmte Waren als sozial schädlich definiert werden - die Hersteller könnten dann keinesfalls als sozial nachhaltig gelten, selbst wenn sie ihre Arbeiter wie Könige behandeln und Hauptsponsor des örtlichen Rollstuhltennis-Vereins sind.

Als Beispiel für solche Produkte nennt der Berichtsentwurf Waffen, wobei anders als im Zwischenbericht vom Juli detailliert aufgeführt wird, welche Waffentypen kritisch sind: etwa Anti-Personen-Minen oder Streubomben. Die Berater der Kommission wollen also nicht sämtliche Rüstungsunternehmen pauschal zu sozial nicht nachhaltigen Firmen erklären. Deutsche Hersteller dürften von diesem Makel verschont bleiben, da sie die geächteten Waffen nicht im Angebot haben.

Atommeiler in Ökofonds und Sozialanleihen für Waffenfabriken

Der Rüstungslobby BDSV reicht dies aber nicht: Verbandschef Atzpodien verlangt, dass die Kommission seine Branche nicht nur als neutral, sondern als per se sozial positiv und nachhaltig einstufen solle. Dann würden Fonds- und Bankmanager ihre Skepsis gegenüber den Waffenschmieden ablegen und wieder bereitwillig Geld zur Verfügung stellen, so die Hoffnung.

Allerdings würden wohl viele Anleger die Aussicht seltsam finden, dass Sozialanleihen Waffenproduktion finanzieren sollen - genauso seltsam wie die Aussicht, dass von 2023 an Ökofonds Aktien von Atomfirmen halten dürfen. Die grüne Taxonomie ist umstritten wegen der Einbeziehung von Kernkraftwerken; bei der sozialen Taxonomie wird die Rolle der Rüstungsindustrie heftige Debatten auslösen.

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber fordert daher die Kommission auf, die soziale Taxonomie zu beerdigen. "Wenn man sich das derzeitige Drama um die grüne Taxonomie anschaut", wäre die Behörde "gut beraten, nicht direkt das nächste Fass aufzumachen", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion. Bei der grünen Taxonomie habe es sogar "objektive wissenschaftliche Kriterien" gegeben, doch der Disput um Atomkraftwerke zeige, dass "wir uns trotzdem nicht auf ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit einigen können", sagt Ferber. Ein Konsens bei der sozialen Taxonomie werde noch schwieriger zu finden sein, weil "jeder seine subjektiven Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit auspackt".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: