Stromnetz:Worum es beim Streit um die Netzentgelte geht

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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder reagiert allergisch auf die Vorschläge der Bundesnetzagentur. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wo der Wind ordentlich weht, müssen Kunden besonders viel für den Strom bezahlen. Das will die Bundesnetzagentur nun ändern. Prompt kommt Gegenwind aus Bayern. Zu Recht? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

An der Küste zu wohnen, kann in Deutschland so seine Nachteile haben. Das Meer ist zwar nah, aber damit auch der Wind. Und auf dem platten Land, wo der Wind gut weht, leben viele Stromkunden teurer als anderswo im Land. Denn die Entgelte für das Stromnetz sind hier besonders hoch. Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, will das ändern - und erntet prompt Gegenwind aus dem Süden. Dort wähnt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) höhere Strompreise und Nachteile für Bayerns Industrie. Was ist da dran? Ein Überblick.

Was genau ist das Problem?

Haushalte zahlen nicht nur für den Strom, sondern auch für dessen Transport, also die Stromleitungen. Ein gutes Fünftel der Stromrechnung machen die sogenannten Netzentgelte aus. Sie fallen regional sehr unterschiedlich aus. Wo die regionalen Netzbetreiber viel in das Stromnetz investieren, sind auch die entsprechenden Entgelte höher. Die Folge: Dort, wo viele Windparks stehen, sind sie häufig höher als anderswo oder in Städten. Jede neue Leitung, die für Windstrom nötig wird, zahlen die Verbraucher in der Umgebung mit. Auch, wenn Windräder in Zeiten von Stromüberschüssen abgeregelt werden müssen, findet sich das in den Netzentgelten wieder, denn die Betreiber erhalten dann eine Entschädigung, die auf diese Weise umgelegt wird. Hoch im Norden, wo die Schleswig-Holstein Netz AG die Leitungen betreibt, sind die Entgelte binnen eines Jahres um satte 27 Prozent gestiegen.

Was will die Bundesnetzagentur?

In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung hat ihr Präsident Klaus Müller eine Neuregelung in Aussicht gestellt. Die Bonner Behörde reguliert schon jetzt einen Großteil der Netzentgelte, hatte aber bisher begrenzte Kompetenzen. Das hat sich mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (Verfahren C-718/18) geändert, das für die Behörde mehr Unabhängigkeit und Befugnisse verlangt. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat das Kabinett im Mai verabschiedet, der Bundestag muss noch zustimmen. Mit ihm könnte Müllers Behörde einen Vorschlag für die neue Verteilung der Netzentgelte machen.

Was wäre die Alternative?

Schon 2021 hatte das Land Schleswig-Holstein zwei Varianten zum Status quo überprüfen lassen. Die einfachste sähe vor, die Extrakosten für die Windparks einfach auf alle deutschen Stromkunden umzulegen. Regionen mit viel Windkraft würde das stark entlasten. Doch vor allem Haushalte in den Städten hätten dann entsprechend mehr zu zahlen. Eine zweite Variante sähe vor, zumindest für einen Teil des Windstroms die Netzentgelte anders zu berechnen - nämlich für jene Überschüsse, die in andere Regionen abfließen. Die Entlastung auf dem Land wäre nicht ganz so stark, die zusätzliche Belastung in den Städten allerdings auch nicht. Fairer als das bisherige System wäre es allemal.

Warum reagiert Markus Söder so allergisch auf den Vorstoß?

Das lässt sich bestenfalls mit bayerischen Reflexen erklären. Denn ein Gefälle bei den Netzentgelten gibt es nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch innerhalb Bayerns, wie eine Karte der Bundesnetzagentur zeigt. So könnten auch Stromkunden im Allgäu ein Interesse an einer anderen Verteilung der Netzentgelte haben. Erst im Juni hatte sich auch die Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Thema befasst, vor allem auf Betreiben von nord- und ostdeutschen Ministerpräsidenten. Seinerzeit verhielt sich Söder still. Allerdings wettert er nun vor allem gegen eine ganz andere Idee - eine Aufteilung Deutschlands in unterschiedliche Strompreiszonen.

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Was hat es mit diesen Preiszonen auf sich?

Dahinter steckt ein anderes Problem: Der meiste Windstrom fällt im Norden Deutschlands an, aber es gibt in vielen Stunden nicht genug Leitungen, um ihn nach Süden zu transportieren. Gäbe es in Deutschland zwei Strommärkte, einen im Süden und einen im Norden, dann wäre der Preisunterschied in diesen Stunden gewaltig. Im Norden gäbe es Strom dann viel billiger als im Süden. Vor allem aus Brüssel gibt es Druck, den Kräften des Marktes hier mehr Spielraum zu geben. Das mag auch die reflexhafte Reaktion Söders erklären, denn Bayerns Wirtschaft geriete dann tatsächlich unter Druck. Nur: Mit dem Verteilungsproblem bei den Netzentgelten hat das rein gar nichts zu tun. Und auch die Industrie muss sich um eine neue Verteilung dieser Entgelte nicht groß sorgen: Sie ist davon zum größten Teil befreit.

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