Zugunfall:Knapp vorbei am Güter-Chaos

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Stau auf der Gotthardautobahn A 2. (Foto: Manuel Geisser/Imago)

Fast ein Suezkanal-Moment: Nach der Entgleisung eines Güterzugs gleicht ein Teil des Gotthard-Basistunnels einem Trümmerfeld. Dabei hatte die Branche noch Glück im Unglück.

Von Isabel Pfaff, Bern

Am frühen Nachmittag des 10. August passiert es: Im Gotthard-Basistunnel, dem 57 Kilometer langen Stolz der Bahnnation Schweiz, entgleist ein Güterzug und richtet enorme Schäden in der Weströhre des Tunnels an. Der Eisenbahntunnel wird sofort komplett gesperrt.

Am Mittwoch haben die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) erstmals über das Ausmaß der Schäden informiert. Demnach wurde das Gleisbett streckenweise so stark beschädigt, dass die Reparaturen mehrere Monate dauern werden. Insgesamt müssen demnach rund acht Kilometer Gleise und 20 000 Betonschwellen ersetzt werden. "Der Gotthard-Basistunnel gehört zu den sichersten der Welt. Dass trotzdem ein solcher Unfall geschehen konnte, trifft uns sehr", sagt SBB-Chef Vincent Ducrot.

Wie es zu dem Unfall kommen konnte, sei weiterhin nicht klar. Die 30 Waggons seien aus fünf verschiedenen Orten in Italien zusammengekommen und sollten von Chiasso nach Norden fahren. Der Zug sei wie üblich kontrolliert worden, dabei habe man keine Mängel festgestellt. Trotzdem kam es zur Entgleisung von 16 Wagen.

Der 2016 eröffnete Gotthard-Basistunnel verbindet den Kanton Uri mit dem Tessin und ist eine der wichtigsten Schweizer Verkehrsachsen durch die Alpen - sowohl für Personen als auch für den Güterverkehr. Seit es den Tunnel gibt, sinkt der Anteil der auf der Straße über die Alpen transportierten Güter stetig. Inzwischen laufen knapp drei Viertel dieses Güterverkehrs über die Schiene, und zwar gut 28 Millionen Nettotonnen. Fast 20 Millionen davon fahren durch den Gotthard-Basistunnel, das sind fast 70 Prozent.

Von kommendem Mittwoch an dürfen wieder Güterzüge fahren

Seit mehr als einer Woche sind nun beide Röhren des Tunnels gesperrt. Personenzüge leiten die SBB derzeit über die Gotthard-Bergstrecke um, was rund eine Stunde länger dauert. Auch Teile des Güterverkehrs können auf diese sogenannte Panoramastrecke ausweichen, sodass nach Informationen der SBB der schweizerische Binnengüterverkehr weitgehend fließt.

Größere Probleme hat der internationale Güterverkehr, also Transit-Züge oder das Import-Export-Geschäft. Hier kommen häufig Sattelschlepper mit Aufliegern von vier Metern Eckhöhe zum Einsatz. Die Gotthard- und auch die Lötschberg-Achse sind auf diese Höhe ausgerichtet, nicht aber die Gotthard-Bergstrecke. Diese Art von Güterverkehr kann momentan nur auf die Lötschberg-Achse ausweichen, weshalb sich die Güterzüge gerade in und um die Schweiz stauen.

Die gute Nachricht, die die SBB am Freitag bestätigten: Von kommendem Mittwoch an dürfen wieder Güterzüge durch den Gotthard-Basistunnel fahren, vorerst nur durch die unbeschädigte Oströhre. Damit können laut SBB pro Tag rund 90 Güterzüge durch den Basistunnel verkehren - nicht annähernd so viel wie vorher, als die Tageskapazität bei 260 Güterzügen lag. Zusätzlich sollen etwa 20 Züge täglich über die Panoramastrecke verkehren. Umwege müssen die Logistik- und Transportunternehmen auch nach dem 23. August noch in Kauf nehmen: "Damit alle Güter befördert werden können, müssen weiterhin auch Güterzüge über die Lötschberg-Simplon-Achse und über die Brenner-Strecke umgeleitet werden", schreiben die SBB.

Dabei hatte die Branche noch Glück im Unglück. In Italien herrscht gerade tiefste Sommerpause, entsprechend gering ist die Nachfrage nach Gütern. Schon von kommender Woche an dürfte sich das wieder ändern. Bis dahin müsste klar sein, wie gut der Sektor die Teilsperrung am Gotthard verkraftet.

"Jetzt ist plötzlich die Schweiz das Nadelöhr"

Momentan könne man das Ausmaß der Einschränkungen noch nicht beziffern, sagt Pascal Jenni, Geschäftsleitungsmitglied bei SBB Cargo International. Die SBB-Tochter hat im alpenquerenden Güterverkehr auf der Schiene mit knapp 40 Prozent den größten Marktanteil. Übers Wochenende könne man die von SBB Infrastruktur erarbeiteten Zeitfenster-Angebote für die Phase ab Mittwoch in eigene Pläne umsetzen. "Früher richtete sich alles nach den Slots in den Hafen-Terminals, jetzt ist plötzlich die Schweiz das Nadelöhr", sagt Jenni.

Doch die macht offenbar einen guten Job in dieser Problemlage, wie eine Sprecherin von Hupac betont. Hupac mit Sitz im schweizerischen Chiasso ist eins der führenden europäischen Tansportunternehmen und bedeutender Kunde von SBB Cargo International. Die insgesamt 110 Züge über die Gotthard-Achse seien "eine gute Nachricht". Zusammen mit den Ausweichrouten komme man auf etwa 60 Prozent der eigentlich möglichen Kapazität im alpenquerenden Schienengüterverkehr. Damit könne Hupac "knapp" arbeiten.

Nun komme es auf gute Planung und Absprachen zwischen den Infrastrukturbetreibern in Deutschland, der Schweiz und Italien an. Grundsätzlich lobt das Unternehmen den schweizerischen Umgang mit dem folgenschweren Unfall: "Die Schweiz gibt dem empfindlichen Güterverkehr klar den Vorzug vor dem Personenverkehr, das ist nicht selbstverständlich", so die Sprecherin.

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