Bundeskanzler Olaf Scholz hat einen der härtesten Jobs, die es in Deutschland gerade gibt: Als Regierungschef die Bundesrepublik stabil zu halten zwischen Kriegsgefahr, Augenmaß und eigener Energieversorgung, nebenbei noch die Klimawende voranzutreiben und die nächste Stufe der Pandemie zu orchestrieren, das alles und manches mehr erfordert ein brutales Pensum. Wahrscheinlich ist die schier unheimliche Ruhe, die Scholz bei seinen öffentlichen Auftritten und gerade wieder eine Stunde lang bei Anne Will an den Tag gelegt hat, ebenso eine Form der Stressbewältigung wie seine manchmal schwer zu ertragende Arroganz.
"Der Kanzler macht alles richtig, sagt der Kanzler", titelte die SZ am Montag, und diese Formulierung enthält das nötige Quäntchen Spott, zu dem der Mensch Scholz eigentlich immer fähig war, das er inzwischen aber kaum noch zeigen mag. So viel Selbstbeherrschung ist verständlich, schade nur, dass Scholz nicht wirklich um die Menschen wirbt, die er auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft mitnehmen muss.
Anne Will:Der Kanzler macht alles richtig, sagt der Kanzler
"Nein, das ist falsch, was Sie sagen": Olaf Scholz widerspricht energisch dem Eindruck, er sei in der Ukraine-Krise führungsschwach. Als es um russische Soldaten geht, wird er persönlich.
Die vielleicht aus Selbstschutz zur Schau gestellte Attitüde des "Ich mache alles richtig - schon immer, und jetzt auch" kann sich rächen. Das hat man beim letzten SPD-Kanzler Gerhard Schröder gesehen, der den Bürgern mit der Agenda 2010 Zumutungen auferlegte, ohne diese jemals wirklich zu erklären. Damit hat er dieser im Kern richtigen und übrigens auch erfolgreichen Arbeitsmarktreform von Anfang an schweren Schaden zugefügt, ebenso seiner Partei und am Ende auch sich selbst.
Regelrecht ärgerlich wird es dann, wenn Besserwisser Scholz wichtige Akteure einfach aus dem Spiel nimmt, aktuell trifft es deutsche Ökonomen. Wenn einige von diesen "mit mathematischen Modellen" vorrechneten, dass Deutschland sich ein Öl- und Gasembargo leisten könne, dann ist dies für Scholz einfach falsch, sogar "unverantwortlich". Scholz braucht keine mathematischen Modelle, natürlich nicht, er weiß einfach, was richtig ist: Wenn "von einem Tag auf den anderen diese Importe ausblieben, würde das dazu führen, dass ganze Industriezweige ihre Tätigkeit einstellen müssten", und es gehe um "unglaublich viele Arbeitsplätze" - ganz so, als habe der Staat nicht beispielsweise mit dem Kurzarbeitergeld die Möglichkeit zu helfen, und als habe sich nicht gerade die deutsche Wirtschaft immer wieder in Krisen als besonders anpassungsfähig erwiesen. Die Unternehmen sind ja gerade dabei, sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen, und manche Veränderung ist einfach eine Frage des Geldes. Es wird teuer, ja, schmälert den Gewinn, schadet - aber es ist eben auch Krieg, ein Weiter so kann es nicht geben.
Merkel hatte den klareren Blick: Sie glaubte Managern erst mal gar nichts
Und dann lässt Scholz noch den verräterischen Satz fallen, woher er das alles so genau weiß: von "Wirtschaftsvertretern" nämlich, die sich in der Realität auskennen, sagt er. Das müssen so eine Art Supermänner sein (Frauen erfahrungsgemäß eher selten), auf deren Wort man sich verlassen kann, da braucht es also keine zweite Meinung. Scholz übernimmt damit eine schlechte Übung, die es auch in den TV-Talks zu beobachten gibt: Wenn es darum geht zu erklären, was wirtschaftspolitisch, steuerpolitisch, arbeitsmarktpolitisch sinnvoll ist, dann werden gerne Unternehmer und Manager als vermeintliche Experten eingeladen. In Wirklichkeit sind sie in erster Linie Interessenvertreter ihres Unternehmens, dort kennen sie sich aus, und vorrangig dessen Wohl liegt ihnen - völlig zu Recht - am Herzen.
Natürlich wird es für viele Unternehmen schwierig, mit weniger Energie auszukommen, und natürlich warnen sie vor dieser Situation, jede Woche, in diversen Runden mit der Bundesregierung. Scholz' Vorgängerin Angela Merkel machte sich über den Wert solcher Klagen und Forderungen keine Illusionen. Sie glaubte erst mal gar nichts, sondern sicherte sich mehrfach ab, indem sie sich eben auch von Wissenschaftlern beraten ließ.
Übrigens kann man über die von Scholz genannten Berechnungen mancher Ökonomen durchaus streiten, und das geschieht in der Zunft auch. Die Debatte dient der Schärfung der Argumente. Scholz könnte mit Gewinn zuhören. Stattdessen kanzelt er die Wissenschaft in einer Art und Weise pauschal ab, die unter seinem Niveau ist.