Waffen:Wie die Rüstungsindustrie vom Krieg in der Ukraine profitiert

Lesezeit: 6 min

Nichts für jeden Geschmack, aber so etwas gibt es auf der Nürnberger Rüstungsmesse "Enforce Tac" zu sehen: die Nachtsichtbrille GPNVG-18 (Ground Panoramic Night Vision Goggle) der Firma IEA-Mil-Optics. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Die Militärbranche hatte lange ein miserables Image. Panzer und Granaten? Nein, danke! Dann kamen der Krieg und der 100-Milliarden-Euro-Plan der Bundesregierung für die Bundeswehr - und auf einmal kaufen Menschen Aktien von Panzerbauern. Was ist da los?

Von Thomas Fromm , Harald Freiberger, Uwe Ritzer und Nils Wischmeyer,

Um mal nachzusehen, wie es einer Branche so geht, eignen sich Besuche auf Fachmessen. Wenn man zum Beispiel wissen will, wie die Stimmung in der Autoindustrie ist, empfiehlt sich ein Gang über die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA). Wer mal nachsehen will, was die Kollegen aus der Rüstungsindustrie gerade umtreibt, hatte in diesen Tagen Gelegenheit dazu.

"Enforce Tac" heißt die Nürnberger Veranstaltung für alles rund um Schnellfeuerwaffen und Nachtsichtgeräte, Maschinengewehre, gepanzerte Jeeps und Granatwerfer. Auch die passende Front-Kleidung kommt nicht zu kurz: Kampfstiefel, farblich angepasste Tarnanzüge, wahlweise für den Einsatz in der Wüste oder im Dschungel. Die Nürnberger Zusammenkunft nennt sich übrigens auch "Fachmesse für Behörden mit Sicherheitsaufgaben", was durchaus angenehmer klingt als "Enforce Tac", aber über eines nicht hinwegtäuschen sollte: Es geht um das Treffen einer sehr diskreten Branche. Polizeiführer, Grenzschützer, Terrorismusexperten, militärische Einkäufer und - wie man vor Ort munkelt - auch Geheimdienstler kommen zusammen, um sich auszutauschen und neues Equipment zu begutachten. Ein etwas ausgewählteres Fachpublikum also als, sagen wir, bei der IAA. Was wohl bis vor Kurzem niemand für möglich gehalten hätte: Die Fachmesse fand ausgerechnet zu einer Zeit statt, in der zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ein Krieg in Europa tobt.

Olaf Scholz in der Sondersitzung des Deutschen Bundestages am vergangenen Sonntag. Sein Plan: ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. (Foto: Frederic Kern /imago)

Russland greift an, und alles ist anders. Grund dafür: die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Die Bundesregierung will der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, dauerhaft mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung stecken und Waffen in Kriegsgebiete liefern. Was für eine Wende: bis vor ein paar Tagen noch pazifistische Zivilmacht mit dezidierter Export-Ausrichtung, jetzt das große Aufrüstungsprogramm.

Mit dem Krieg steigen die Gewinne

Der Ukraine-Schock dürfte sich für Deutschlands Rüstungsindustrie als ein, nun ja, Booster erweisen. Ein Konjunkturprogramm, das sich alle wohl lieber erspart hätten, eben weil die Rüstungsindustrie doch nicht die Autoindustrie ist und die "Enforce Tac" nicht die IAA. Aber nun ist die Welt gerade so, wie sie ist, und wo sich die Nachfragesituation radikal ändert, da locken auch Umsatz- und Gewinnsteigerungen.

Ausgerechnet. Die Vertreter einer Industrie, die noch bis vor wenigen Tagen ein Killer- und Schmuddelimage hatte, können es nicht fassen.

Am Stand Nummer 573 auf der Enforce Tac erzählt Andreas von Büren, wie er die Kanzlerrede am Sonntag erlebt hat. "Ich saß wie bestimmt viele Menschen mit offenem Mund da, so erstaunt war ich." 42 Jahre lang war Andreas von Büren Bundeswehrsoldat, knapp die Hälfte dieser Zeit flog er Kampfjets. Danach diente er in verschiedenen Stäben, ehe er als Oberst ausschied und eine zweite Karriere begann, als Rüstungslobbyist. Mit 67 Jahren ist er Geschäftsführer des BDSV, des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Jetzt verteilt er an seinem Messestand gelbe Taschen an die Besucher mit der grünen Aufschrift: "Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit".

Bei Nachhaltigkeit denken die Menschen vermutlich eher an Lastenfahrräder und den öffentlichen Personennahverkehr als an Panzer und Granatwerfer. Aber so ändern sich nach Jahrzehnten die Dinge - und zwar innerhalb weniger Tage.

Die Aktienkurse steigen, seitdem geschossen wird

Finanzen? Pharma? Autos? Tech-Firmen? Ach was. Die Rüstungskonzerne waren es, die in diesen Tagen an den Börsen abräumten. Mochten die Finanzmärkte in diesen Kriegstagen auch schwer den Bach runtergehen - der Wert der Aktien von Rheinmetall oder des Rüstungselektronikers Hensoldt stieg zwischenzeitlich in wenigen Tagen um an die 80 Prozent, auch Unternehmen wie der französische Rüstungs- und Raumfahrtkonzern Thales oder BAE Systems legten zu. Über den aktuellen Zustand der Welt haben die Börsen durchaus eine gewisse Aussagekraft.

Nürnberg im März, gesehen bei der Messe "Enforce Tac": Am Stand von Hensoldt probiert ein Mann die Panzerfaust 3 der Firma Dynamit Nobel Defence. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Der Rüstungsindustrie in Europa, auch in Deutschland, ging es schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine gut. Dabei half auch das Ausland kräftig mit: Im Jahr 2021 hatte Berlin Rüstungsexporte im Wert von 9,35 Milliarden Euro genehmigt, Ausfuhren von mehr als vier Milliarden Euro entfielen dabei auf Ägypten. Anders als etwa in der zivilen Luftfahrt hat Corona auch keine Spuren in den Bilanzen hinterlassen. Beispiel: Diehl Defence verzeichnete mit gut einer halben Milliarde Euro Umsatz 2020 das zweitbeste Jahr der Firmengeschichte. Und das Nürnberger Familienunternehmen gibt es immerhin seit 1902. Wie gut die Geschäfte aktuell laufen, zeigt allein der Umstand, dass Diehl Defence etwa 200 offene Stellen zur Besetzung ausgeschrieben hat.

"Es ist klar, dass es nun mehr Investitionen in die Verteidigungsindustrie hier in Deutschland geben wird", sagte Commerzbank-Chef Manfred Knof in dieser Woche vor Analysten und Investoren. "Und sie sind alle unsere Kunden." Dies sei eine "gute Basis", so der Bankchef weiter. "Wir kennen sie, sie kennen uns, und ich bin sicher, dass sie mit uns über weitere Investitionen sprechen werden."

Bis vor Kurzem hätte niemand einen Krieg in Europa für möglich gehalten

Die Düsseldorfer Firma Rheinmetall zum Beispiel, sie hat bereits eine Projektliste erarbeitet. Panzer und andere Militärgüter, das ganze Paket für insgesamt 42 Milliarden Euro. "Wir könnten sofort anfangen zu produzieren", sagt Rheinmetall-Chef Armin Papperger. "Sofort anfangen" - so etwas hören viele gerne in Tagen, in denen der russische Präsident nicht nur seinen Krieg in der Ukraine immer weiter eskaliert, sondern auch seine Rhetorik gegenüber dem Westen. Man könne schnell vom Ein- oder Zwei-Schicht-Betrieb auf Drei-Schicht-Betrieb inklusive Samstagsarbeit umstellen und das Personal massiv aufstocken, so Rheinmetall. So was kannte man sonst nur aus der Autoindustrie, und dann auch nur, wenn die Konjunktur richtig brummt. Jetzt aber ist Krieg.

Der Schützenpanzer "Puma", fotografiert beim Dienstantrittsbesuch von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht im Februar 2022. (Foto: Björn Trotzki/imago images)

"Bis vor einigen Tagen hat einen Krieg in Europa niemand ernst- und wahrhaben wollen, jetzt versuchen alle hinterherzukommen", sagt der Russlandkenner und Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations. Deutsche Rüstungsunternehmen hätten "schon lange" keine "großen Absatzperspektiven" mehr gehabt. "Es ging eher um Kleinserienproduktionen", sagt Gressel. Und jetzt das . "Eine Investition von 100 Milliarden Euro auf einmal, so etwas habe ich noch nie erlebt", sagt ein Analyst von Rüstungsaktien, der nicht mit Namen genannt werden will. Er erwartet, dass sich dieser Geldregen auf Jahre hinaus positiv auf die Gewinne der Unternehmen auswirken wird; auch die Aktienkurse hätten weiteres Potenzial nach oben.

Und der Bund verdient bisweilen mit. Er hält nicht nur Anteile am Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus, sondern seit dem vergangenen Jahr auch eine Sperrminorität von 25,1 Prozent am Rüstungsunternehmen Hensoldt. Der Einstieg erfolgte damals über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und hatte sicherheitspolitische Gründe. Die Firma, die seit 2020 an der Börse ist, sollte durch den Zukauf vor dem Zugriff "unfreundlicher Mächte" geschützt werden, hieß es damals. Besonders Technologien wie Sensorik oder Verschlüsselungstechniken für den militärischen Einsatz machen die Firma so interessant.

"Das ist für Anleger ein moralisches Dilemma."

Und jetzt eigentlich: noch interessanter, denn jetzt wird groß eingekauft. Sämtliche Nato-Länder müssen nun ihre eigenen Waffenbestände ergänzen, nachdem sie die Ukraine mit Material unterstützt haben. Weiterreichen, nachkaufen, aufstocken - auch am Aktienmarkt? Da, wo der Trend doch seit Jahren hin zum nachhaltigen Investieren geht? Anleger, die nachhaltig investieren, wollen eigentlich keine Aktien von Rüstungsfirmen im Depot haben.

Doch nun gilt es, dem Aggressor Putin etwas entgegenzusetzen. Wird die Rüstungsindustrie, wenn sie gegen das Böse kämpft, jetzt selbst weniger böse? "Das ist für Anleger ein großes moralisches Dilemma", sagt Barbara Claus von der Fonds-Ratingagentur Scope. Viele Fonds schließen kontroverse Waffen wie Streubomben komplett aus, nachhaltig ausgerichtete Fonds auch konventionelle Waffen, selbst solche, die ausschließlich der Verteidigung dienen. Aber: "Natürlich können Investoren auf die Idee kommen, dass es sich mit dem 100-Milliarden-Euro-Paket der Bundesregierung lohnen könnte, in solche Aktien zu investieren", sagt Expertin Claus.

Hier knallen keine Sektkorken

Hochstimmung also? "Sektkorken? Hier knallt nichts", sagt ein Sprecher von Diehl Defence. "Wir sind hier weit weg von jeglicher Goldgräberstimmung." Auf dem Nürnberger Messestand steht Verbandslobbyist Andreas von Büren und sagt: "Nein, nein." Es sei ja nun nicht so, "dass die Unternehmen jetzt alle jubeln, bald klingeln die Kassen". Eher mache sich Erleichterung breit. "Darüber, dass wir endlich eine sicherheitspolitische Debatte in diesem Land zu führen beginnen, die längst überfällig ist."

Experten wie Gressel sehen ohnehin einen großen Nachholbedarf. "Die Bundeswehr hat das gleiche Problem wie die Ukraine: zu wenig Kräfte, zu viel Raum", sagt der Russland-Experte. "Dieses Dilemma lässt sich nur mit Drohnen, elektronischer Aufklärung und einer funktionsfähigen Raketen-Artillerie lösen." Dies sei umso wichtiger, da Deutschland "eine logistische Drehscheibe innerhalb Europas" sei, die "hiesigen Infrastrukturen" müssten "ganz besonders" geschützt werden.

Andreas H. Glas, Forschungsgruppenleiter an der Universität der Bundeswehr in München, sagt es so: "Stellen Sie sich vor, Sie versuchen, im Supermarkt für zehn Euro für eine ganze Woche einzukaufen. Das war bisher die Situation." Das Problem zeige sich bereits in der personellen Ausstattung: Die etwa 11 500 Mitarbeiter im Beschaffungsamt müssten 2000 Projekte stemmen, von der Drohne bis zum U-Boot. Mögliche Projekte für die Gelder seien unter anderem die Nachfolge des aktuellen Eurofighters oder der Nachfolger des Kampfpanzers Leopard 3. Beide Projekte dürften aber noch einige Jahre in der Entwicklung dauern.

Das ist im Rüstungsbereich nichts Ungewöhnliches. In aktuellen Krisen aber nutzlos.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: