Pharmaforschung:Standort Deutschland in Gefahr

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Taugt Deutschland noch als Standort für die Entwicklung innovativer Medizin? Eine Studie der forschenden Pharmaunternehmen schürt Zweifel. (Foto: Sylvio Dittrich/Imago)

Neue Medikamente in der Bundesrepublik zu entwickeln, werde unattraktiver, heißt es in einer Studie. An innovativen Medikamenten wird zunehmend im Ausland geforscht.

Von Elisabeth Dostert

Viele Generika, also Medikamente, für die kein Patentschutz mehr besteht, werden nicht mehr in Deutschland und auch nicht in Europa hergestellt. Nun drohe Deutschland auch im internationalen Wettbewerb als Standort für die Forschung nach neuen Medikamenten zurückzufallen. "Die Erosion des Pharma-Innovationstandorts Deutschland hat längst begonnen," heißt es in einer am Montag veröffentlichten Studie des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen VFA und der Beratungsfirma Kearney.

Als ein Maß dafür nennen die Autoren die Zahl der klinischen Studien, die in Deutschland durchgeführt werden. Ehe ein Medikament zugelassen wird, wird es in klinischen Studien in mehreren Phasen mit einer immer größeren Zahl an Teilnehmern auf Verträglichkeit, Qualität und Wirksamkeit getestet. Lange Zeit sei Deutschland die Nummer eins in Europa gewesen und nach den USA die Nummer zwei in der Welt. 2021 lagen der Studie zufolge die USA mit rund 12 500 klinischen Studien vorne. Auf Platz zwei folgte China mit knapp 7700 Studien. Auch Frankreich, Spanien, Großbritannien und Kanada zogen an Deutschland vorbei, hierzulande wurden 2021 lediglich gut 2700 Studien durchgeführt.

Das habe mittelfristig erhebliche Folgen für "einige Zehntausend Patienten" in Deutschland, sagt Matthias Meergans, einer der Autoren der Studie und im VFA-Vorstand für Forschung und Entwicklung zuständig. "Weil sie nicht an Studien teilnehmen können, erhalten sie erst Jahre später Zugang zu innovativer Medizin, erst in der Regelversorgung, also dann, wenn das Medikament in Deutschland zugelassen ist." 2021 nahmen laut Studie in Deutschland knapp 180 000 Patienten und Patientinnen an klinischen Studien teil. Es könnten mehr sein, aber hierzulande sei es mühsam, sich überregional über die Teilnahmemöglichkeiten an laufenden Studien zu informieren, Ärzte wiesen ihre Patienten zu selten darauf hin.

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Warum Deutschland im Wettbewerb verliert

Es gibt Meergans zufolge viele Gründe, weshalb Deutschland im Wettbewerb verliert. Das Verfahren zur Genehmigung klinischer Studien sei zu komplex. Da wären zum Beispiel der Datenschutz, über den die Ethik-Kommissionen wachen müssen, ohne deren Zustimmung eine klinische Studien nicht stattfinden dürfe. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) waren - Stand Februar 2023 - allein rund drei Dutzend solcher Kommissionen registriert. Sie prüfen unter anderem, ob die Risiken und Belastungen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem guten Verhältnis zu dem erwarteten Nutzen stehen. Gibt es widersprüchliche Datenschutzanforderungen in verschiedenen Bundesländern, dann dauere das Verfahren zu lange, sagt Meergans. Verbesserungspotenzial gibt es auch bei den Verträgen zwischen dem Sponsor, also dem Pharmaunternehmen, das die Studie beantragt, und der Universität, an der sie durchgeführt wird. Eigentlich gäbe es für die Klauseln in den Verträgen Textbausteine, häufig würden aber die Universitäten und Unternehmen individuelle Verträge ausarbeiten, erläutert Meergans. Bis zu einem Vertragsabschluss dauert es der Studie zufolge in Deutschland 128 bis 298 Tage und in Frankreich 24 bis 76.

Die Studie zeichnet, wenn nichts geschieht, ein düsteres Szenario für die Zukunft. Noch sei Deutschland für die forschenden Pharmaunternehmen "einer der wichtigsten Innovationsstandorte". 80 Prozent der - gemessen am Umsatz mit verschreibungspflichtigen Medikamenten - 21 weltweit führenden Konzerne betreiben mindestens einen Standort für Forschung und Entwicklung in Deutschland, damit sei die Bundesrepublik führend in Europa und weltweite Nummer zwei nach den USA. Es gebe auch viele kleine, "hoch innovative" Firmen wie Aicuris, Adrenomed, Atriva und Inflarx.

Pharmazeutische Unternehmen befänden sich im intensiven "Wettrennen" um die Marktzulassung innovativer Therapien. Sie evaluierten kritischer als "jemals zuvor standortpolitische Rahmenbedingungen, um ihre Investitions- und Ressourcenallokationen zu optimieren", heißt es in der Studie. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz habe die Attraktivität Deutschlands als Absatzmarkt für innovative Arzneimittel "nochmals gedämpft". Neu eingeführte Medikamente, deren Zusatznutzen in Deutschland als geringfügig bewertet werde, sollen keinen Aufpreis mehr gegenüber der Vergleichstherapie erhalten. Die neuen Regeln bedeuteten ein "erheblich erhöhtes Risiko", neue Medikamente nicht zu einem akzeptablen Preis auf den Markt bringen zu können.

Empfehlungen, was zu tun ist, geben die Experten auch. Zum Beispiel müssten die Anforderungen an die Ethik-Kommissionen ebenso wie die Datenschutzrichtlinien für klinische Studien bundesweit harmonisiert werden. Die Autoren empfehlen den Aufbau eines zentralen Studienregisters, das Transparenz für Ärzte und Patienten schafft. Und medizinische Daten müssten systematisch erhoben und zu Forschungszwecken nutzbar gemacht werden. Es sind sehr viele Empfehlungen.

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