Start-ups:Lieber Herford als Berlin

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Eine Maschine wird mit dem Tablet gewartet - und mit der Software eines Start-ups. (Foto: Findiq)

Die meisten Gründer bauen ihre Firmen in Deutschlands Großstädten auf. Doch auch auf dem Land tut sich was, zum Beispiel in Ostwestfalen. Denn manchmal lockt die Provinz mit ihren ganz eigenen Reizen.

Von Björn Finke, Bielefeld

Aus der Anlage in der Fabrikhalle ertönen seltsame Geräusche, außerdem misst ein Sensor erhöhte Temperaturen. Der lang gediente Maschinenführer weiß, woran das liegt - und was zu tun ist. Ein deutsches Start-up will diese Erfahrungsschätze heben und nutzbar machen, in Form einer einfach zu bedienenden Software. Das Programm hilft Kunden, Fehler zu diagnostizieren und abzustellen. Dafür analysiert es die Daten, die Sensoren aus den Maschinen schicken, mit künstlicher Intelligenz - und mit dem eingespeisten Wissen der Fabrikarbeiter. "Wenige Stunden Interview mit einem altgedienten Maschinenführer liefern uns schneller Erkenntnisse als die Auswertung von anderthalb Jahren Maschinendaten", sagt Sina Kämmerling.

Die 29-Jährige ist Mitgründerin und Chefin der Firma Findiq. Die hat inzwischen sieben Mitarbeiter und 15 Kunden, etwa Phoenix Contact, einen Weltmarktführer für Elektronikbauteile. Findiqs Umsätze sollen in einem Jahr erstmals die Kosten decken, dabei hat Kämmerling das Start-up erst im Frühjahr 2022 gegründet. Und als Ort dafür wählte die frühere Unternehmensberaterin keine Gründerhochburg wie Berlin, München oder Hamburg, sondern das beschauliche Herford in Ostwestfalen, einer Region im Nordosten Nordrhein-Westfalens. "Es gibt hier viele mittelständische Industrie-Unternehmen, viele Maschinenbauer: Wir sind nah bei möglichen Kunden", sagt Kämmerling.

Neben Findiq wurden in Ostwestfalen-Lippe im Jahr 2022 gut 50 weitere Start-ups gegründet, eine Bestmarke. Dies geht aus der jährlichen Untersuchung des Bundesverbands Deutsche Startups hervor. Und das, obwohl die Zahl der Gründungen in Deutschland insgesamt sank. Demnach verlieren die Start-up-Zentren Berlin, München und Hamburg langsam ein wenig von ihrer Dominanz. Standen sie 2019 für 41 Prozent aller Gründungen, sind es nun nur noch 33 Prozent.

Die niedrige Miete hilft den Gründern

Vanessa Hünnemeyer befasst sich ebenfalls mit dem Gründungsgeschehen in Deutschland. Die Wirtschaftsgeografin ist Beraterin bei IW Consult, einer Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Hünnemeyer sagt, dass große Städte immer noch ein Magnet für Gründer seien, etwa wegen der Hochschulen oder der Nähe zu anderen jungen Firmen und zu Investoren. Doch auch im ländlichen Raum rings um die Städte fänden sich Regionen mit zahlreichen Start-ups: "Hier ist man schnell in den Städten mit ihren Vorteilen, kann aber vielleicht von günstigeren Mieten profitieren und von der Nähe zu Industriekunden, die da sitzen." Zum Beispiel gebe es in Ostwestfalen-Lippe viele innovative Industriebetriebe außerhalb der größten Stadt Bielefeld - und das könnte erklären, wieso sich zahlreiche Start-ups genau dort niederließen, sagt Hünnemeyer.

Auch Gründerin Kämmerling nennt das Mietniveau als einen Vorteil Herfords: "Wir wollen schnell profitabel werden, und da machen 500 Euro Unterschied bei der Büromiete schon viel aus bei einem Start-up", sagt sie. Auf der anderen Seite sei es in einer Metropole wie Berlin sicher einfacher, Fachkräfte zu finden. "Doch heutzutage geht ja vieles remote; wir können mit Leuten arbeiten, die gar nicht bei uns in Herford ihren Schreibtisch haben." Schwerer auszugleichen sei der Nachteil, dass die Start-up-Szene eben kleiner sei und man weniger andere Gründer treffe.

Findiq-Gründerin Sina Kämmerling hat von einem Förderprogramm profitiert. (Foto: Findiq)

Kämmerling nahm aber an einem Programm der Bielefelder Founders Foundation teil, einer Organisation, die Start-ups fördert, etwa mit Seminaren, Konferenzen oder Büroplätzen. "Die bringt ein bisschen Berlin nach Bielefeld", sagt sie lachend. Über die Founders Foundation, die 2016 von der Bertelsmann-Stiftung ins Leben gerufen wurde, habe sie auch spätere Kunden kennengelernt; außerdem sei der Austausch mit anderen Gründern sehr hilfreich gewesen, erinnert sich Kämmerling.

IW-Forscherin Hünnemeyer sagt, solche Initiativen, welche die Vernetzung unter Gründern stärken und passende Arbeitsräume anbieten, seien äußerst wichtig, damit ländliche Regionen Nachteile gegenüber Metropolen wie Berlin verringern könnten. Chef der Founders Foundation ist Dominik Gross. "Als wir anfingen, war das hier eine Start-up-Wüste mit nur vier Gründungen", sagt er. Inzwischen gebe es gut 180 Start-ups in Ostwestfalen-Lippe, von denen die Hälfte Programme der Founders Foundation absolviert habe.

Die jungen Firmen helfen der Industrie

Die allermeisten der jungen Firmen zielten mit ihren Produkten nicht auf Verbraucher ab, sondern auf Industriekunden - ganz so wie Findiq, sagt Gross. Schließlich ist Ostwestfalen-Lippe Heimat großer Unternehmen wie Miele, Melitta oder der Oetker-Gruppe, des Landmaschinenbauers Claas, des Fensterherstellers Schüco, des Maschinenbauers DMG Mori oder der Elektronikspezialisten Wago und Phoenix Contact. "Das spiegelt sich bei den Start-ups wider", sagt er. "Die können der Industrie innovative Lösungen anbieten, um effizienter zu werden."

Bei Findiq laufen die Geschäfte inzwischen so gut, dass Gründerin Kämmerling einen zweiten Standort aufbauen will. Nicht in Berlin, nicht in Hamburg oder München - sondern in Baden-Württemberg: "Da gibt es auch viel mittelständische Industrie, so wie hier."

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