Klimagipfel:Abschied vom Pfad der Verbrennung

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Autos ohne Sprit, Heizungen ohne Gas, Strom ohne Kohle - die heimliche Agenda von Kopenhagen. Warum die Konferenz in Wahrheit ein Wirtschaftsgipfel ist.

Michael Bauchmüller

Wie weit fährt ein Auto mit 95 Prozent weniger Sprit? Wie warm wird eine Wohnung ganz ohne Öl und Gas? Wie sollen Lampen leuchten und Computer laufen, wenn Kraftwerke keine Kohle mehr verbrennen dürfen?

Vorbote der Katastrophe? Ein Staubsturm, genannt Habub, fegt über die sudanesische Stadt Khartum hinweg. Extreme Wetter-Ereignisse, so sagen Forscher, werden mit der Erderwärmung zunehmen. (Foto: Foto: AFP)

Autos ohne Sprit, Heizungen ohne Gas, Strom ohne Kohle - das ist die heimliche Agenda von Kopenhagen. Am Montag beginnen dort die Verhandlungen über ein neues Klimaabkommen. Es soll, anders als das Kyoto-Protokoll, endlich einen echten Beitrag leisten gegen die Erderwärmung, soll das von Menschen verursachte Temperatur-Plus bis 2050 auf zwei Grad Celsius begrenzen. Das setzt mehr voraus als die üblichen Minimalbekenntnisse gutmeinender Staaten, die am Ende die wenigsten nur einhalten.

Die Aufgabe wird umso unfasslicher, je genauer man sie betrachtet. Bis 2050 sollen sich die Industriestaaten fast vollständig von der Verbrennung fossiler Rohstoffe verabschieden. Ein Budget von zwei Tonnen Treibhausgasen würde am Ende für jeden Menschen bleiben. Das ist weniger als ein Zehntel dessen, was Amerikaner derzeit für ihren Lebensstil beanspruchen, und ein Fünftel dessen, was ein Durchschnitts-Deutscher braucht: für Wärme, Licht, Mobilität, Konsum.

Dieses Ziel könnten die Staaten in Kopenhagen in Angriff nehmen. Gemeinsam könnten sie das größte Rad der Wirtschaftsgeschichte drehen: Sie könnten sich von Technologien verabschieden, die den Pfad der Wirtschaft seit Jahrzehnten bestimmen. Und das bis 2050, in einem halben Menschenleben.

40 Jahre sind historisch betrachtet eine Millisekunde, in der jüngeren Entwicklungsgeschichte aber können sie eine ganze Epoche sein. Die vergangenen 40 Jahre sahen das Überschallflugzeug Concorde kommen und wieder abstürzen, sie erlebten den beispiellosen Siegeszug des Computers und verhalfen der Welt zu einer neuen, virtuellen Wirklichkeit. Wenige Jahre nur brauchte es, den Raum zu einer Dimension der Vergangenheit zu machen. Doch eines blieb bestehen: das System von Hitze und Dampf.

Feuer und Dampf sind Ausgangspunkt nahezu jeder Innovation der jüngeren Geschichte. Sie machten die Überwindung großer Entfernungen im Massenbeförderungsmittel Zug möglich, die Verbrennung des Ölderivats Benzin schuf das individuelle Pendant, das Automobil. Dampfmaschinen erlaubten die Produktion großer Stückzahlen in Fabriken, Dieselmotoren den massenhaften Gütertransport in Lastkraftwagen und Containerschiffen.

Dampfbetriebene Computer

Doch während große Teile der Wirtschaft von Durchbruch zu Durchbruch hechteten, blieb die Energiewelt ihrer Technologie treu. Fahrzeugmotoren mögen in der Vergangenheit weitaus effizienter geworden sein, sie mögen die Verbrennung perfektioniert haben und das Maximum an Energie herausholen. Am Grundprinzip änderte sich aber nichts. Die Eisenbahn mag die Epoche der Dampflokomotive genauso hinter sich gelassen haben, wie es die Industrie getan hat. Nur beziehen alle nun Energie in Form von Strom - aus Kraftwerken, die nach wie vor nach dem Prinzip von Hitze und Dampf arbeiten.

Moderne Kessel und Generatoren mögen geholfen haben, weitaus mehr aus Kohle und Gas zu holen, als dies vor 150 Jahren der Fall war. Doch das Grundprinzip blieb dasselbe. Selbst der modernste Computer ist so letztlich überwiegend dampfbetrieben und von Kohle befeuert. Und das, obwohl längst klar ist, dass die gesamte globale Entwicklung, nicht nur die wirtschaftliche, mit der Abhängigkeit von endlichen Rohstoffen auf Sand gebaut ist; obwohl es alternative Technologie schon gibt. Dahinter steht dieselbe Blindheit, mit der Investoren in den Jahren vor dem Finanzcrash geschlagen waren.

Nur ist das Problem in diesem Fall weit elementarer, weil nicht nur die Quellen des globalen Wachstumsmodells irgendwann zwangsläufig versiegen werden, sondern weil ihre Nutzung zunehmend die Lebensbedingungen auf dem Planeten verändert. Es droht die Wiederentdeckung einer alten Erfahrung. Nahezu die gesamte Menschheitsgeschichte war geprägt von den Begrenzungen durch die Natur. Der Mensch hat sich erst in den vergangenen 150 Jahren von Umweltbedingungen zunehmend unabhängig machen können. Er erweckte nährstoffarme Böden mit Dünger zu neuem Leben, er lernte Entfernungen zu überwinden, er machte die Verbreitung von Wissen zu einer Frage der Datenleitung. Er kann Meerwasser entsalzen und Wolken wegbomben. Aber den Klimawandel stoppen?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Kopenhagen der "wichtigste Wirtschaftsgipfel aller Zeiten" ist.

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Wenn nicht bald gehandelt wird, ist ein gravierender Klimawandel nicht mehr aufzuhalten. Doch die Konzepte der meisten Staaten werden der Bedrohung nicht gerecht.

Die Größe der Aufgabe treibt viele in diesen Wochen in grenzenlosen Pessimismus. Letztendlich wirkt die ganze Operation wie ein Reifenwechsel bei voller Fahrt. Wie soll das gehen? Wie kann ein System, das maßgeblich auf der Verbrennung fossiler Rohstoffe basiert, auf diese verzichten - ohne selbst unterzugehen? Und wie sollen Staaten dazu bereit sein, wenn sie doch womöglich die Grundlage ihres Wohlstands aufs Spiel setzen? Wohl nur, wenn sich das lohnt. Ob Klimaschutz gelingen kann, wird eine Frage von Kosten und Nutzen sein.

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Die Grundlage aller Entwicklung ist immer dieselbe gewesen. Es war die Innovation einerseits, aber mindestens ebenso wichtig waren die Bedingungen, unter denen sich die Ideen behaupten mussten: die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen. Von der "kreativen Zerstörung" sprach der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter, vom ständigen Werden und Vergehen von Unternehmen und Geschäftsmodellen. Eine Idee entsteht, setzt sich durch, verdrängt anderes - zumindest in der Theorie. In der Praxis war die kreative Zerstörung nie nur eine Frage der Kreativität, sondern auch eine der Umstände. Denn ob Neues entstehen kann, hängt immer auch vom Bestehenden ab, von seiner Beharrungskraft.

Doch je weitreichender der Wandel, desto größer die Kraft des Alten. Das erklärt sich ökonomisch durch die Anlaufkosten des Neuen und die vermeintlichen Vorteile des Alten. Es mag technologisch einige Alternativen zu einem alten Kohlekraftwerk geben. Betriebswirtschaftlich aber kann es unschlagbar günstig sein, weil die Investition sich längst amortisiert hat. Es arbeitet, so grotesk es klingen mag, am "goldenen Ende".

Gesellschaftlich ist der Wandel nicht leichter, weil er immer auch Einschnitte für einzelne Gruppen bedeutet. Je größer der Wandel, desto besser sind die Gruppen organisiert. Umso schwerer wird es, politische Mehrheiten für den Klimaschutz zu organisieren. Heftige Debatten im australischen Parlament und im US-Senat führen das dieser Tage vor.

Viel ist in den Tagen vor dem Klimagipfel die Rede davon gewesen, das Treffen in Kopenhagen sei die letzte Chance, eine globale Katastrophe abzuwenden. Doch der Kampf gegen die Erderwärmung ist letztlich auch Metapher - für den längst überfälligen, kollektiven Abschied vom Pfad der Verbrennung. Ein gegenseitiges Versprechen, die Fundamente ihrer Wirtschaft radikal umzubauen: So viel steht auf dem Spiel, so gewaltig ist die Aufgabe. Das erklärt, warum die Staaten sich so schwer damit tun, obwohl schmelzende Eisberge und steigende Meerespegel längst zur Eile drängen.

Die Wirtschaft ist Kern der Lösung

Dieser Wandel geht nur mit, nicht gegen Wirtschaft und Märkte: Er lässt sich nur bewerkstelligen, wenn das Neue im Vergleich zum Alten einen höheren Wert bekommt, wenn sich klimafreundliches Wirtschaften lohnt. Der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung, Volker Hauff, untertreibt nicht, wenn er Kopenhagen zum "wichtigsten Wirtschaftsgipfel aller Zeiten" erklärt. Die Wirtschaft ist Kern des Problems, aber auch Kern der Lösung.

So gesehen liegt der Wert des Treffens am Ende nur mittelbar in den Minderungszielen, die verschiedene Staaten abgeben - viel mehr dagegen in deren Übersetzung in Euro, Dollar und Cent. Das Instrument dazu gibt es schon, es ist in der Europäischen Union seit 2005 in Kraft und funktioniert: der Handel mit Emissionszertifikaten. Er nimmt die Verknappung fossiler Ressourcen schlicht vorweg, indem er ihren Verbrauch begrenzt, ihn deckelt. Unternehmen, die mehr davon verbrennen wollen, ergo mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre abgeben, müssen dafür Zertifikate besitzen. Und weil diese Zertifikate knapp sind, entsteht ein Wettbewerb um sie, kurz: ein Markt.

Je mehr Unternehmen an der Verbrennung fossiler Ressourcen festhalten, desto mehr muss jedes einzelne dafür zahlen. Erstmals bekommt das öffentliche Gut "Nutzung der Atmosphäre" damit einen Preis. Erstmals gibt es ein Mittel, den Kostennachteil sauberer Technologien gegenüber der etablierten, oft schmutzigen Konkurrenz auszugleichen.

Es sind harte Wirtschaftsfragen. Gelingt es, Grundlagen für einen globalen Emissionshandel zu legen, gelingt es, die USA und wichtige Schwellenländer zu beteiligen, kann es der erste gemeinsame Schritt weg vom alten Pfad sein. Es kann den Beginn einer Wirtschaftsordnung markieren, in der auch die Zukunft einen Wert hat, weil der Verzicht auf Emissionen für die Unternehmen honoriert wird - und weil sich keiner mehr einen Vorteil dadurch verschaffen kann, dass er im großen Stil das Klima belastet.

Träume vom "green new deal"

Am Ende wird die Klimapolitik eine Machtfrage sein, doch die Macht verschiebt sich. Schon träumen nicht nur Grüne in aller Welt vom "green new deal", von neuem, sauberem Wachstum. Dahinter steckt letztlich ein neuer Wettlauf um Märkte und Profite, um Jobs und Standorte. Dies als Chance zu erkennen ist Bedingung, um auch Beharrungskräfte zu überwinden. Es ist erstaunlich, wie schnell sich diese Philosophie im Kohleland Deutschland durchgesetzt hat, und zwar quer durch alle Parteien. Neues entwickelt eben stets eigene Dynamik, eigene Macht. Längst nimmt die Solarindustrie auf deutsche Politik mehr Einfluss als die Kohlelobby, sind Gewerkschaften und Industrieverbände gespalten, weil sie Teile der alten Ökonomie ebenso vertreten müssen wie Teile der neuen. Auch das gehört zu schöpferischer Zerstörung.

Der Umbau der Wirtschaft bleibt freilich nur ein Teil der Lösung, wenn auch der wichtigste. Denn selbst wenn er gelingt, wird das Ziel noch lang nicht erreicht sein. 95 Prozent weniger Kohlendioxid ist mehr als nur der Verzicht auf Öl, Gas und Kohle. Jenseits der Kohlenstoffe bleibt immer noch der Wunsch einer wachsenden Weltbevölkerung nach Wohlstand, nach Fleisch, nach Gütern aller Art, gehen immer noch Wälder verloren. Es wird sich zeigen, dass die Abkehr vom fossilen Pfad nicht schnell genug vonstatten geht, um die Erwärmung zu bremsen. Und es wird sich ganz sicher herausstellen, dass der Mehrheit der Menschen Klimaschutz zwar am Herzen liegt, ihr aber keinen Verzicht abnötigt.

Es ist das größte Rad der Welt, und es wird gedreht werden. Wenn nicht rechtzeitig durch ein gemeinsames Versprechen, dann durch äußeren Druck. Zwar mag es Öl noch für 100 Jahre und länger geben. Doch die Förderung wird immer teurer werden. Energie wird absehbar zur Zwangsjacke der Weltwirtschaft. Der Klimaschutz ist Verpflichtung gegenüber künftigen Generationen und Betroffenen, er ist Aufgabe für alle, die ihren Wohlstand auf den Verbrauch fossiler Energie aufbauten. Aber er ist auch Vehikel: zum überfälligen Wandel.

© SZ vom 05.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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