Börse:Warum der Atomfonds auf dreckige Investments setzt

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Die Frau mit den Milliarden: Anja Mikus leitet den "Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung" (Foto: Felix Zahn/IMAGO/photothek)

Der Staatsfonds Kenfo soll die Entsorgung des Atommülls finanzieren. Jetzt beklagen sich Umweltschützer über zweifelhafte Investments - ausgerechnet in der Energiebranche.

Von Victor Gojdka

Vielleicht könnte man die Adresse an der Kurfürstenstraße 87 als Finanzzentrale der wohl kompliziertesten Müllabfuhr des Landes bezeichnen. Das dortige Lenz-Haus rühmt sich als eine der prestigereichsten Büroadressen Berlins, die Geldverwalter des öffentlich-rechtlichen Atomfonds Kenfo dirigieren von hier aus ein Milliardenvermögen. Ihr "Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung" soll schließlich dringend benötigtes Geld für die Lagerung des deutschen Atommülls bereitstellen. Doch nun hat der Fonds offenbar selbst ein Problem mit umstrittenen Energietechnologien in seinem Portfolio.

In Investmentkreisen gilt der Fonds eigentlich als Instanz, fachlich auf Augenhöhe mit privaten Geldverwaltern. So sollten die Kenfo-Leute nicht nur die ursprünglich 24 Milliarden Euro der Kraftwerksbetreiber verwalten, im vergangenen Jahr war der Fonds sogar als Manager einer möglichen Aktienrente aus dem Ideenbuch von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Gespräch. Doch auch wenn die private Geldbranche mit Bewunderung auf den Fonds und seine Chefin Anja Mikus schaut, legen Recherchen der Nichtregierungsorganisation Urgewald nun methodische Ungereimtheiten nahe - ausgerechnet beim sensiblen Thema der Nachhaltigkeit.

Laut den gesetzlichen Anlagerichtlinien muss der Fonds Nachhaltigkeitskriterien in seine Entscheidungen "integrieren", Mikus' Truppe verfolgt dabei einen "fakten- und knowhowbasierten Ansatz". Der führt offenbar allerdings nicht zwingend zu einer kreuzgrünen Anlagepolitik, wie eine Auswertung von Urgewald zeigt, die der SZ vorab vorliegt: Zur aktuellsten Offenlegung Ende 2022 investierte der Fonds demzufolge 771 Millionen Euro in Aktien und Anleihen von Unternehmen mit Öl-, Kohle- oder Gasgeschäft. "Das ist eine Dreiviertelmilliarde zu viel", meint Urgewald-Vertreterin Anna Lena Samborski.

Auf der Liste der fossilen Investments finden sich zum Beispiel große Ölriesen wie Total, Shell oder BP. Besonders pikant: Als BP im vergangenen Jahr kurz nach dem Offenlegungs-Stichtag des Kenfo das beste Ergebnis seiner Firmengeschichte vorlegte, schraubte der britische Ölriese gleichzeitig die eigenen Umweltambitionen nach unten. Statt die Öl- und Gasförderung zwischen 2019 und 2030 um 40 Prozent verringern zu wollen, genügen dem Konzern jetzt 25 Prozent.

Einige kleinere Positionen im Fonds werfen allerdings die noch pikantere Frage auf, wie ernst es der Fonds mit seinen eigenen Regeln meint. So haben die Berliner Geldverwalter in ihrem eigenen Nachhaltigkeitsbericht klar formuliert, dass sie nicht in Öl aus Teersanden investieren. Anders als bei der traditionellen Ölförderung muss der Rohstoff dabei erst aus einer dieselstinkenden Schlacke gelöst werden. Häufig geschieht das mit heißem Dampf, für den es viel Energie braucht. Rund sechs Millionen Euro des Atomfonds steckten zum aktuellsten Berichtstermin dennoch in Anleihen der kanadischen Firma Enbridge, die Teersandöl immerhin in einer Pipeline transportiert. Anders als die Förderung solchen Öls sind entsprechende Pipelineaktivitäten nicht vom Ausschluss umfasst, teilte der Kenfo auf Anfrage mit. "Solche Inkonsistenzen sind unter Expertinnen und Experten jedenfalls seit Jahren bekannt", sagt Samborski.

Warum sich solche Unternehmen in den Anlagen des Atomfonds finden, lässt sich leicht erklären: Neben dunkelgrünen Anlagestrategien haben sich unter Investmentprofis mittlerweile Dutzende Grünschattierungen etabliert. So setzt der Kenfo neben einigen wenigen harten Ausschlüssen offenbar vor allem auf die sogenannte Best-in-Class-Strategie, so legt es ein Papier des Fonds nahe. Statt Umweltsünder also konsequent auszuschließen, kommen stets die besten Unternehmen einer Branche in den Fonds - im Zweifel jedoch auch aus umstrittenen Branchen.

Theoretisch gibt es übrigens gute Argumente, auch an fossilen Firmen beteiligt zu bleiben: "Durch den Ausschluss bestimmter Sektoren würde der CO₂-Ausstoß der Realwirtschaft nicht reduziert", teilt der Kenfo auf Anfrage mit. Wenn Anteilseigner außerdem ihre Stimmrechte auf Hauptversammlungen nutzen oder die Firmenchefs zum bilateralen Rapport laden, kann eine solche Strategie Druck auf das Management aufbauen. Beim Kenfo arbeiten aktuell drei der 50 Mitarbeiter im Nachhaltigkeitsbereich.

Vor rund einer Woche bewegte übigens der zweitgrößte niederländische Pensionsfonds PFZW die Märkte mit einer überraschend klaren Ansage: 310 Öl- und Gastitel im Wert von knapp drei Milliarden Euro hatte er zuvor aus seinem Portfolio geworfen und dabei einzelne Unternehmen auch noch öffentlich angegangen. "Wir haben zwei Jahre lang darüber gesprochen und es hat sich nicht genug geändert", sagte die Fondsvorsitzende Joanne Kellerman dem niederländischen Wirtschaftssender RTL Z. Die Atomfondsmanager in Berlin dürften es mitbekommen haben.

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