Jobsuche:Langzeitarbeitslose - gefangen auf der Schulbank

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Schlange stehen für die Rückkehr in den Job: Menschen im 'Integrationscenter für Arbeit" in Gelsenkirchen. (Foto: dpa)

Die Bundesagentur für Arbeit gibt Milliarden aus, um Arbeitslose zu qualifizieren. Aber nicht alles, was Geld kostet, hilft auch.

Von Lea Hampel und Thomas Öchsner

Seiner Beraterin hat er erst vor Kurzem wieder geschrieben. Vier DIN-A4-Seiten hat Jonas Thomas vollgeschrieben. Vier Seiten Verzweiflung, an deren Ende er zu einem Schluss kommt: "Ich kann sehr wohl sprechen und mich verständlich mündlich ausdrücken, nur mit ein paar Fehlern und nicht ganz so flüssig."

Jonas Thomas, 29 Jahre, ist seit mehreren Jahren arbeitslos. Auf den ersten Blick könnte man sagen: Er hat Probleme beim Schreiben und Lesen, gelegentlich fällt ihm ein Wort nicht ein, vielleicht ist es deshalb schwer für ihn, einen Job zu finden. Auf den zweiten Blick, und wenn man die vier Seiten gelesen hat, die er an seine Beraterin beim Jobcenter geschickt hat, könnte man auch sagen: Thomas will arbeiten, kommt aber nicht von der Stelle. Förderkurse, formale Vorgaben der Jobcenter, die Erwartungen möglicher Arbeitgeber, die eigenen Ansprüche - zu viel passt nicht zusammen. So ist seine sogenannte Erwerbsbiografie vor allem eine Liste begonnener und gescheiterter Kurse.

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Seminare und Trainings für Menschen ohne Job sind seit vielen Jahren ein wichtiger Geschäftsbereich in der Bildungsindustrie. Obwohl die Zahl der Arbeitslosen gesunken ist, so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung einen Job haben und teilweise Fachkräftemangel herrscht, gibt es immer noch etwa 900 000 Langzeitarbeitslose, die seit mindestens einem Jahr ohne Job sind. Hinzu kommen Hunderttausende, die ebenfalls seit Jahren auf Arbeitssuche sind, aber in der Statistik gerade nicht mitgezählt werden, zum Beispiel, weil sie gerade einen Förderkurs belegen. Rund um sie gibt es mehrere tausend Seminar-Anbieter, die von den Aufträgen der Jobcenter und Arbeitsagenturen leben und Erwerbslose so qualifizieren sollen, dass sie möglichst den Sprung auf den regulären ersten Arbeitsmarkt schaffen.

Der Markt ist riesig, Arbeitslosigkeit ist ein Milliardengeschäft. Doch jahrelang litten die Förder- und Trainingskurse unter einem miserablen Ruf. Zu Recht? Wird immer noch Geld des Steuerzahlers und der Beitragszahler für unsinnige Schulungen verbrannt?

Thomas kann darüber viel erzählen. Der junge Mann hat nach der Schule eine Ausbildung zum Holzbearbeiter gemacht, später war er bei VW Zeitarbeiter, hat nebenbei seinen erweiterten Realschulabschluss nachgeholt - bis ihm eine Autofelge auf den Fuß fiel, er einige Wochen nicht arbeiten konnte und danach nicht mehr anheuern durfte. "Danach habe ich mich dauernd beworben", sagt er. Wegen seiner Lese-Rechtschreib-Schwäche half das nicht viel. Er fand zwar Arbeit als OP-Reiniger, landete aber am Ende in Hartz IV.

Von sinnlosen Bewerbungstrainings und überflüssigen Förderkursen

Anfangs war er noch optimistisch. Thomas wollte sich zum Fachinformatiker weiterbilden, einen Auswahltest hatte er schon bestanden. Nun hoffte er, das Jobcenter würde das zahlen. Die Behörde lehnte jedoch ab mit dem Hinweis, ein Legastheniker werde sowieso nicht als Informatiker angestellt. Stattdessen wurde er in Bewerbungstrainings geschickt. Darüber ärgert er sich noch heute: "Ich musste sinnlos Zeit absitzen. Da haben wir eine Bewerbung pro Woche geschrieben - zu Hause habe ich viel mehr geschafft", sagt er.

Natürlich lässt sich der Fall Thomas nicht verallgemeinern. Aber er zeigt, dass bei den Förderkursen nach wie vor viel schieflaufen kann.

Dirk Kratz hat in einer Doktorarbeit untersucht, was Langzeitarbeitslosen wirklich hilft. Der Universitätsdozent und Leiter des Therapieverbunds Ludwigsmühle in Landau (Pfalz), sagt, in den Jobcentern werde zu wenig auf vorhandene Fähigkeiten geachtet. Oft wüssten Langzeitarbeitslose ziemlich genau, was sie tun möchten, worauf sie hinarbeiten wollten, bekämen aber die gewünschte Weiterbildung nicht, weil ihnen die formalen Voraussetzungen fehlen, das Geld für das Wunschangebot nicht da ist oder ihr Betreuer das für nicht passend hält.

Ähnlich sieht es Stefan Sell, Professor für Sozialpolitik an der Hochschule Koblenz: Er kritisiert, dass Jobcenter noch zu viele Arbeitslose in kurzfristige Maßnahmen steckten, ohne auf die Vorkenntnisse der Teilnehmer zu achten. "Da drücken in einem Kurs über Online-Bewerbungen neben einem Akademiker Menschen die Schulbank, die kaum Deutsch können."

Sell empfiehlt stattdessen nach der Devise vorzugehen: "Weniger, aber mehr, das lohnt sich." Also statt Arbeitslose womöglich noch gegen ihren Willen und mehrmals in vierwöchige oder zwei, drei Monate lange kurzfristige Maßnahmen zu verschieben, lieber in langfristige Weiterbildungskurse zu investieren. Denn die steigern auf jeden Fall die Jobaussichten, vor allem, wenn sie in einem Betrieb stattfinden oder am Ende mit einem beruflichen Abschluss verbunden sind.

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Das zeigen auch die Untersuchungen der Denkfabrik der BA: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fand anhand der Lebensläufe von Hartz-IV-Empfängern heraus, dass Weiterbildungen von über einem Jahr, in der Regel Umschulungen, viel besser wirken als solche kürzerer Förderdauer. Wer eine lange Weiterbildung absolvierte, hatte später mit einem Job im Durchschnitt mehr als 400 Euro mehr Lohn als ein Nichtteilnehmer. Der Anteil, der danach eine Arbeit fand, war - je nachdem, welcher Beruf erlernt wurde - um bis zu 20 Prozent höher.

Nur, nicht jeder Arbeitslose schafft es überhaupt, zwei, drei Jahre durchzuhalten. Und oft bewilligen die Jobcenter auch nur kurzfristige Maßnahmen - für Sell ein Grundsatzproblem: "Die Jobcenter schrecken oft noch davor zurück, Arbeitslosen eine Weiterbildung zum Beispiel über zwei Jahre zu genehmigen, weil sie dann Mittel so lange binden." Außerdem könnten sie mit kürzeren Kursen mehr Teilnehmer durchschleusen - mit dem Nebeneffekt, dass mehr Menschen in der Zeit der Schulung nicht als arbeitslos gemeldet sind und die Statistik schöner aussieht.

Auch Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft, sieht noch Defizite: Im Hartz-IV-System gebe es "eine Unterfinanzierung bei der Weiterbildung", kritisiert er. Unter der früheren schwarz-gelben Regierung waren die Mittel für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen um etwa drei Milliarden Euro gekürzt worden, ohne dass die schwarz-rote Regierung das Budget wieder aufstockte. Dass hier gekürzt worden sei, hält Schäfer für teilweise richtig, etwa bei den Ein-Euro-Jobs. Es sei aber versäumt worden, im Gegenzug die Weiterbildung zu stärken.

Bei einem Zusatzproblem geht es um eine Preisfrage: Lange war der Bundesagentur für Arbeit vorgeworfen worden, indirekt das Lohndumping bei den Seminaranbietern zu fördern. Bekommt nach wie vor nur der Billigste bei einer Ausschreibung den Zuschlag? Und kann günstig überhaupt gut sein? Nach wie vor werden Dozenten bei den Kursveranstaltern schlecht bezahlt. Oft sind es Solo-Selbständige, die froh um jeden Auftrag sind. "Wenn das Honorar mit Glück bei 15 Euro die Stunde liegt, ist die Frage, wie man da eine gute Leistung bekommen möchte", sagt die Leipziger Rechtsanwältin Luisa Milazzo.

Schäfer billigt den Arbeitsbehörden jedoch zu, bei der Vergabe von Aufträgen besser geworden zu sein. "Ich habe schon den subjektiven Eindruck, dass mehr als früher auf Qualität geachtet wird", sagt er. Auch BA-Kritiker Sell sieht hier "graduelle Verbesserungen", ihm fehlen aber "nachprüfbare Belege".

Irgendwann ist da nur noch Frustration

So oder so, für Arbeitslose wie Jonas Thomas kann jeder Kurs, jede Weiterbildung eine neue Phase der Hoffnung sein. Er hatte sogar eine Ausbildung zum Lokführer angefangen - die sind derzeit dringend gesucht. Geklappt hatte das nur, weil ihm Anwältin Milazzo einen Bildungsgutschein dafür erstritten hatte. Anfangs fand er das eine gute Idee. Doch auch das sei nicht gut gelaufen, oft seien Unterrichtsstunden ausgefallen, erzählt Thomas. Schließlich habe der Ausbildungsleiter gemeint, auch als Lokführer könne er aufgrund seiner Legasthenie nicht arbeiten. "All das macht mich so traurig", sagt er. "Da werden Steuergelder umsonst rausgeschmissen."

Thomas will nicht aufgeben, aber nicht selten sind Langzeitarbeitslose nach mehreren vergeblichen Anläufen und erfolglosen Schulungen so frustriert, dass sie tatsächlich schwer zu vermitteln sind - und kein Vertrauen zu den Vermittlern mehr haben.

"Da entsteht großer Schaden", sagt Diplom-Pädagoge Kratz. Anwältin Milazzo kennt dieses Phänomen: Was Maßnahmen angeht, sind die Arbeitslosen misstrauisch geworden - und lernen dann wenig. Milazzo hält es für schwierig, jemanden zu einer Teilnahme zu zwingen. "Ich glaube, man erreicht durch diesen Zwang das Gegenteil von dem, was man möchte", sagt sie. Die Anwältin hält es für besser, wenn die Betroffenen selbst dabei mitplanen, was sie leisten können und wollen.

Jonas Thomas sieht das genauso. Er wünscht sich ein Leben ohne Hartz IV und schreibt immer noch Bewerbungen. "Mehr kann ich auch nicht machen."

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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