Tech-Konzerne:"Wir nehmen ja auch keine Rücksicht auf das Geschäftsmodell eines Steuerhinterziehers"

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Viele IT-Unternehmen sammeln ständig Daten über unser Verhalten. Besonders in der EU wollen Politiker ihnen deshalb mehr Vorschriften machen. (Symbolbild) (Foto: AP)

Daten für alle? SPD-Chefin Nahles will Amazon und Google zwingen, sie mit Konkurrenten zu teilen. Oxford-Professor Viktor Mayer-Schönberger hatte die Idee schon vor ihr. Er erklärt, was man mit dem Schatz des Silicon Valley anstellen könnte.

Interview von Jannis Brühl

Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles preschte Anfang der Woche in Sachen Digitalpolitik vor. Die Macht der Tech-Konzerne solle man dadurch brechen, sie zu zwingen, die von ihnen gesammelten Daten in anonymisierter Form zu veröffentlichen, schrieb sie im Handelsblatt. Das müsse ab einer bestimmten Unternehmensgröße gelten.

Eine Inspiration für die von Nahles geforderte Datenteilungspflicht war wohl Viktor Mayer-Schönberger. Der Professor für Internet Governance und Regulierung an der Universität Oxford hat den Gedanken in seinem Buch "Das Digital" (zusammen mit Thomas Ramge) formuliert.

SZ: Die SPD-Chefin hat sich offensichtlich auch von Ihrem Vorschlag inspirieren lassen. Was bringt eine Datenteilungspflicht, wie sie Nahles fordert?

Viktor Mayer-Schönberger: Gegen zu große Marktmacht gibt es schon immer eine Gegenkraft: Innovation. Das hat sehr lange funktioniert. Aber im digitalen Zeitalter haben wir nun ein Problem: Innovation ist datengetrieben. Die großen IT-Unternehmen können sehr viel innovativer sein, wenn sie diese Daten für Big Data und maschinelles Lernen nutzen. Googles autonome Autos fahren enorm viel besser als die der Konkurrenz, weil sie auf die riesigen Datenmengen des Konzerns zugreifen können. Dem muss man etwas entgegensetzen. Unser Vorschlag fokussiert sich nicht darauf, Unternehmen aufzuspalten, sondern auf Innovationskraft - und deren Grundlage sind die Daten. Wir wollen, dass die Unternehmen diese offenlegen.

Das wäre ein drastischer Eingriff in deren Art, zu operieren.

Wir wollen den Unternehmen ihre Daten nicht wegnehmen. Es geht nicht um Enteignung. Es geht darum, sie kleineren Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet mehr Vielfalt und weniger Monopol.

Wie soll das konkret funktionieren?

Es gibt dafür mehrere Modelle. Eines, das in Deutschland schon existiert, ist ein Datenpool unter Versicherern. Größere Unternehmen speisen Daten ein, auf die dann kleinere Zugriff haben, insbesondere um statistische Risikoberechnungen vorzunehmen. Kleine Versicherer haben ja oft nicht genug Fallzahlen dafür.

Der Österreicher Viktor Mayer-Schönberger, 52, forscht in Oxford und findet, der Staat könne die Tech-Konzerne ruhig zu mehr Offenheit zwingen. (Foto: Peter van Heesen peter@vanheese; Peter van Heese)

Klingt, als wäre es technisch aufwendig umzusetzen.

In den USA gibt es ein gutes Beispiel für eine technische Lösung: Google hat vor einigen Jahren ITA gekauft, eine Suchmaschinen-Software für Flüge. Damit hatte der Konzern extrem viele Daten über den Luftverkehr. Das US-Justizministerium hat sich eingeschaltet und gesagt: "Google, ihr dürft das kaufen, aber ihr müsst für fünf Jahre Mitbewerbern den Zugriff auf diese Daten ermöglichen." Begrenzter Zugriff kostenlos, vollen Zugriff für faire Kosten. Das wurde über eine spezielle Schnittstelle gemacht, über die andere Unternehmen dann zugreifen konnten.

Aber ist das nicht ein Albtraum, wenn Google zusätzlich zu den eigenen noch auf die Daten von Facebook zugreift und andersherum? Freuen sich da die bisherigen Monopolisten nicht erst recht?

Sie verkennen den relativen Nutzen, den man aus Daten gewinnen kann. Stellen Sie sich vor, Sie haben schon 100 Milliarden Datenpunkte und bekommen noch eine Milliarde hinzu. Dann ist der relative Gewinn aus der einen zusätzlichen Milliarde äußerst beschränkt. Wenn Sie aber ein kleines Start-up mit nur einer Milliarde Datenpunkten sind und plötzlich von einem "Großen" 15 Milliarden dazu bekommen, dann kann das für Sie ein Quantensprung sein. Wenn ein kleines Unternehmen ein paar Prozent der Daten von Google bekommt, gewinnt es viel mehr als wenn Google ein paar Prozent von einem kleinen Unternehmen bekommt.

Was könnten europäische Mitbewerber denn mit den Daten anfangen?

Amazon zum Beispiel ist nicht nur ein digitaler Marktplatz. Aus den Daten über Käufe auf diesem Markt kann der Konzern Kaufempfehlungen generieren. Niemand anderes kann da mithalten. Könnten aber auch andere auf Amazons Daten zugreifen, könnten wir plötzlich aus einer Vielfalt von Ratgebern auswählen. Das kommt auch unserer analogen Realität näher: Wir verlassen uns ja nicht alle auf denselben Ratgeber, wenn wir auf den Marktplatz gehen, um Obst zu kaufen.

Darauf folgt aber die Frage, ob dann nicht noch mehr Daten veröffentlicht werden, die vor Missbrauch geschützt werden müssten.

Viele Daten sind ja gar nicht personenbezogen und als solche schützenswert. Das gilt zum Beispiel für Daten, die man fürs autonome Fahren braucht, etwa zu Bremsverhalten oder Zündkopftemperatur. Und Amazons Empfehlungssystem funktioniert weniger, indem es Ihre persönlichen Vorlieben erkennt, sondern typische, statistisch relevante Kaufketten. Also: "Dieses Produkt wird vor diesem Produkt gekauft und das vor jenem." Wer das kauft, ist für Amazon nicht so wichtig. Amazon kann einer Person Kaufempfehlungen geben, ohne deren Identität überhaupt zu kennen.

Gerade die Anzeigensysteme von Google und Facebook funktionieren aber mit personenbezogenen Daten - und sind ihre Haupteinnahmequelle. Die beiden gehören sicherlich zu den Zielen von Andrea Nahles' Vorstoß.

Es geht aber in der Gesellschaftspolitik nicht darum, Geschäftsmodelle amerikanischer Unternehmen abzusichern. Wenn Frau Nahles sagt, dass sie die Daten mit anderen anonymisiert zu teilen haben, und das umsetzt, dann wird sich Facebook eben ändern müssen. Wir nehmen ja auch keine Rücksicht auf das Geschäftsmodell eines Steuerhinterziehers.

Google muss auch nicht wissen, dass es jetzt Viktor Mayer-Schönberger ist, der nach etwas sucht. Es gibt Wege, die Daten abzusichern, ohne viele personenbezogene Informationen zu speichern; etwa die eingeschränkte statistische Auswertung verschlüsselter Daten, oder so genannte differential privacy. Ziel von Google ist nicht, ein Personenprofil anzulegen. Google ist ausschließlich daran interessiert, welche Werbung für die Person, die gerade eine Suchanfrage stellt, in diesem Moment am interessantesten ist, damit sie draufklickt.

Google verknüpft Namen und Vorlieben aber zum Beispiel mit der E-Mail-Adresse. Wer sollte denn in dem System, das Ihnen vorschwebt, kontrollieren, dass die veröffentlichten Daten wirklich anonymisiert sind?

Das muss staatlich reguliert werden, wie das Verfahren bei der Zulassung von Lebensmitteln, Autos oder Fahrstühlen. Unternehmen müssen verpflichtet werden, ihre Produkte evaluieren zu lassen, vielleicht von Dritten - Stichwort TÜV. Das machen wir in vielen technisch komplexen Bereichen. Warum wir das im Bereich der personenbezogenen Daten immer noch nicht tun, verstehe ich nicht.

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