Das Internet ist kaputt. Das ist keine Zustandsbeschreibung, sondern der Inhalt einer Folge der britischen TV-Serie "IT Crowd". Um das weltweite Netzwerk, dessen Vorläufer im Herbst 1969 gestartet wurde, muss man sich keine grundlegenden Sorgen machen. Im fünfzigsten Jahr seiner Existenz erfreut sich das Internet einer erstaunlichen Vitalität. Sorgen bereitet eher die Art und Weise, wie die Gesellschaft mit dem Netz und seinen Folgen umgeht.
Die Aufarbeitung der Europawahl und die Diskussion um Wahlempfehlungen im Internet haben gezeigt, dass das Land auf unterschiedliche Weise gespalten ist - und ein tiefer Graben zeigt sich im Umgang mit dem Internet. Dabei stehen auf der einen Seite junge Menschen, die eine Welt ohne Internet gar nicht kennengelernt haben und dieses sehr selbstverständlich nutzen - zum Beispiel, um wenige Tage vor der Wahl die Empfehlung auszusprechen, auf keinen Fall CDU/CSU oder die SPD zu wählen, weil diese sich nicht ausreichend für eine andere Klimapolitik einsetzen. Und da sind auf der anderen Seite jene so genannten etablierten Parteien, die etwas verdattert feststellen, dass sie für junge Wählerinnen und Wähler offenbar nicht besonders interessant sind.
Unter denjenigen, die bei der Europawahl erstmals ihre Stimme abgeben durften, stimmten mehr Menschen für die Grünen als für CDU/CSU, SPD und FDP zusammen. Das liegt an dem Thema Klimaschutz, das jungen Wählern offenbar entschieden wichtiger ist als älteren Politikern der Parteien der alten Bundesrepublik. Es liegt aber auch am Internet und der Art und Weise, wie man dies- und jenseits des Grabens damit umgeht. Es ist im Jahr 2019 kein Ausweis innovativer Politik, als etablierte Organisation "im Internet zu sein", sonst aber nichts zu ändern.
Das Internet ist nichts Fremdes, nichts Anderes mehr, das der Gesellschaft ergänzt wird wie eine Webadresse, die am Ende einer Fernsehsendung durchgesagt wird. Das Internet macht mittlerweile selber Programm, ist grundlegender Ausgangspunkt zahlreicher Debatten, wie nicht nur die Parteien gerade erfahren: die Mobilisierungskraft der "Fridays for Future"-Demonstrationen, die Proteste gegen die EU-Urheberrechtsreform oder die Online-Petition z.B. gegen ein vermeintlich zu kompliziertes Mathematik-Abitur kommen nicht aus einem fremden Kontinent namens Neuland, sondern aus dem Kern der Gesellschaft.
Vielleicht sollte man sich anders mit dem Internet befassen
Die Europawahl und ihre Nachbetrachtung haben das auch denjenigen deutlich gemacht, die insgeheim hofften, vielleicht könne man das Internet tatsächlich abgetrennt vom wirklichen, vom echten Leben denken. Es klingt zunächst etwas absurd, wenn man im Jahr 2019 schreibt: "Das Internet ist in dieser Woche in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen." Es steckt aber ein großer Teil Wahrheit darin, festzuhalten: Die Unterscheidung zwischen einer irgendwie echten analogen Welt auf der einen Seite und einer irgendwie neuen digitalen Welt auf der anderen Seite hat sich aufgelöst. Anders formuliert: Die Mitte der Gesellschaft bemerkt gerade, dass sie sich vielleicht anders mit dem Internet befassen sollte.
Dies kann man sehr schön am Beispiel der eingangs zitierten Folge der Serie IT-Crowd illustrieren. Sie handelt von zwei Mitarbeitern aus der EDV-Abteilung der fiktiven Firma "Reynholm Industries" in Großbritannien: Moss und Roy sind besonders überzeichnete Beispiele für den Typus Nerd. Sie kennen sich sehr gut mit Technologie im Allgemeinen und dem Internet im Speziellen aus - und sie haben ihren Arbeitsplatz neben allerlei alten Computern im Keller des Unternehmens.
Mitarbeiter mit Büros in einem höheren Stockwerk verirren sich kaum in den Keller und teilen deshalb auch nur selten das Wissen, das Moss und Roy haben - über Technologie im Allgemeinen und das Internet im Speziellen. Kontakt gibt es eigentlich nur, wenn Moss und Roy ein Problem lösen sollen. So auch, als ihre ahnungslose Chefin Jen einen Vortrag über das Internet halten soll. Selbstverständlich kennt sie das Internet, sagt sie. Sie könne aber gerade nicht so gut erklären, was das eigentlich sei und wie es genau funktioniere.
Deshalb sucht sie Hilfe im Keller und erhält eine sehr beruhigende Antwort. Moss und Roy basteln ihrer Chefin einen schwarzen Kasten mit blinkendem roten Knopf auf der Oberseite, den sie kurzerhand "das Internet" nennen. Sie überlassen Jen diesen Kasten für ihren Vortrag mit der dringenden Warnung, um Himmels Willen gut darauf aufzupassen. Jen fühlt sich geehrt und stellt den Kasten prominent neben das Vortragspult. Moss und Roy folgen ihr feixend und setzen sich in die letzte Reihe. Doch zu ihrer Verwunderung muss niemand lachen, als Jen mit großer Geste das schwarze Tuch von dem Kasten zieht und voller Pathos "das Internet" präsentiert.
Was das Internet wohl wiegt?
Stattdessen geht ein Raunen durch den Saal, und Zuschauer beginnen den Kasten zu fotografieren, den sie offenbar tatsächlich für "das Internet" halten. "Was das Internet wohl wiegt?", will eine Zuhörerin wissen und wird gleich darauf von der weiterhin ahnungslosen Jen gerügt: Es sei ja wohl allgemein bekannt, dass das Internet kein Gewicht habe. Zustimmendes Nicken. Durch ein Missgeschick während der Rede fällt der Kasten dann zu Boden und wird dabei zerstört: Das Internet ist kaputt. Panik im leichtgläubigen Publikum breitet sich aus. Nur Moss und Roy betrachten die Szene mit großer Gelassenheit und stillem Lächeln.
Das Internet ist in dieser Woche im politischen Berlin zwar nicht kaputt gegangen (auch wenn sich das manche vielleicht gewünscht haben), die Verbindung zur TV-Serie drängt sich aber dennoch auf. In Talkshows und Artikeln wurde ausführlich ergründet, was das Wahlergebnis nun mit dem digitalen Wandel zu tun habe, und dabei wurde "das Internet" tatsächlich so behandelt wie ein schwarzer Kasten, den man in die Hand nehmen und rumtragen kann.
Und wie in der Serie gibt es auch in der aktuellen Debatte Menschen, die dabei wie Moss und Roy in sich hinein kicherten und sich feixend über diejenigen lustigmachten, die mit dem Internet hadern. Manche von ihnen schwangen sich dann auf und verfassten Texte, in denen sie formulierten, dass nun erkennbar sei, dass die Parteien der großen Koalition "das Internet" nicht verstanden hätten.
Das wirkt nur auf den ersten Blick schlauer als das Publikum in der Serie. Denn zu suggerieren, man könne das Internet verstehen, ist natürlich Unsinn. Es ist wie die Behauptung, die Weltformel gefunden zu haben: eine schöne Vorstellung, aber wenig glaubhaft. Das Internet ist Bestandteil der Gesellschaft und wie diese ständig in Bewegung. Es geht beim "Internet verstehen" vermutlich am ehesten darum, dem gesellschaftlichen Wandel zu folgen.
Dabei hilft das Bild des New Yorker Autors Douglas Rushkoff, der das notwendige Wissen im Umgang mit dem Digitalen mal mit der Kenntnis übers Auto verglichen hat: Natürlich sollten digitale Bürgerinnen und Bürger wissen, wo die Motorhaube ist, wie man tankt und vor allem, wie man ein Auto fährt. Die Grundzüge der Maschine Internet sind wichtig; um aber "das Internet" zu verstehen, braucht es auch ein Wissen darüber, wie und vor allem wohin das Auto fährt. Dafür muss nicht das ganze Land aus Automechanikern bestehen. Es reicht aber auch nicht, sich darauf zu verlassen, dass man beim kleinsten Problem zu Moss und Roy in den Keller laufen kann. Diese Form der digitalen Aufklärung ist schon aus Eigeninteresse ratsam, damit man nicht davon abhängig ist, dass jemand anders die Richtung vorgibt und steuert.
Vieles von dem, was in der Debatte in den Kasten "Internet" gesteckt wird, bezieht sich korrekterweise eher auf das World Wide Web - also auf die vermutlich bekannteste Anwendung, die auf der Infrastruktur Internet basiert. Wenn junge Menschen zum Beispiel auf der Videoplattform YouTube einen Clip gegen die CDU veröffentlichen, dann findet all das im Web statt. Das World Wide Web, das maßgeblich von dem britischen Forscher Tim Berners-Lee entwickelt wurde, ist viel jünger als das Internet. Es feiert in diesem Jahr aber auch ein Jubiläum. Es ist 30 Jahre her, dass Berners-Lee am Forschungsinstitut Cern in Genf erste Ideen fürs World Wide Web vorstellte. Als grundlegende Infrastruktur zählen zum Internet darüber hinaus aber auch Anwendungen wie Mail oder der Dienst FTP zum Datenaustausch.
Man sollte von "dem Internet" mit der gleichen Vorsicht sprechen wie von "der Gesellschaft"
Das ist nicht ganz unbedeutend in einer Zeit, in der manche Menschen glauben, Google oder Facebook seien das Internet. Dabei handelt es sich zwar um äußerst dominante Akteure, aber das Internet ist viel größer und viel umfassender. Deshalb sollte man von "dem Internet" am besten mit der gleichen Vorsicht sprechen, wie man es von "der Gesellschaft" tun sollte. Denn beide sind so facettenreich, dass das Bild dessen, was man für "das Internet" oder "die Gesellschaft" hält, stets auch von der eigenen Perspektive abhängt.
In dieser Woche scheint sich diese Perspektive vieler Menschen nicht nur im politischen Berlin grundlegend verändert zu haben. Der Berliner Kulturwissenschaftler und Publizist Michael Seemann twitterte jedenfalls: "Ich habe das Gefühl, dass endlich der digitale Weckruf in Politik und Gesellschaft passiert ist, auf den ich seit ungefähr zehn Jahren warte." Das liegt vor allem daran, dass das Internet nun in der Währung greifbar ist, die auf der analogen Seite des Grabens Bedeutung hat. Das sind in der Wirtschaft Verkaufszahlen und Umsätze, weshalb diese Entwicklung hier schon seit einer gefühlten Ewigkeit sehr ernsthaft läuft.
In der Politik sind es Wählerstimmen und Zustimmungswerte, und deren Verlust führt zu einer Verunsicherung in den Parteizentralen, die in den dünnhäutigen Reaktionen zahlreicher Politikerinnen und Politiker sichtbar wird, die den jungen Menschen, die sie nicht wählen wollen, tatsächlich raten, doch erstmal erwachsen zu werden. Das ist sicher noch nicht der digitale Weckruf, zeigt aber, welche Herausforderung "das Internet" der Gesellschaft aufbürdet: den Generationenkonflikt zu bewältigen, der an den Rändern des digitalen Grabens aufbricht.
Neue Technologien machten Generationenkonflikte schon immer sichtbar
Dass eine Technologie einen solchen Generationenkonflikt auslöst, ist übrigens nichts Ungewöhnliches und historisch weit weniger beunruhigend, als es manche vielleicht gerade empfinden. Schon vor 30 Jahren hat der Science-Fiction-Autor Douglas Adams eine historische Konstante im Umgang mit technologischen Neuerungen formuliert: Egal, ob es um die Erfindung des Rades, des Telefons oder des Fernsehens ging, stets wurde ein Generationenkonflikt sichtbar, der auch jetzt sichtbar wird.
Adams schreibt, dass wir all das für völlig normal halten, was zu dem Zeitpunkt existiert, an dem wir geboren werden. Die Menschen neigen dazu, die Welt, in der sie aufwachsen, für den menschheitshistorischen Standard zu halten, der sie und ihre Perspektive auf die Welt im weiteren Verlauf ihres Lebens prägt. Deshalb halten wir diejenigen Innovationen, die realisiert werden, bis wir etwa 30 Jahre alt werden, für äußerst spannend und interessant. Wir glauben sogar, dass wir mit ihrer Hilfe neue Jobs finden oder Karriere machen können.
Diejenigen Neuerungen jedoch, die auf die Welt kommen, nachdem wir gesellschaftlich angekommen - also über 30 Jahre alt - sind, hält die Menschheit seit jeher für einen Beweis für den Niedergang der Kultur und für einen Angriff auf die natürliche Ordnung der Dinge. Man kann das historisch in erstaunlichen Abwehrreaktionen gegen Technologien beobachten, die oft schon eine Generation später als völlig normal angesehen werden: das Automobil, die Eisenbahn und sogar die Druckerpresse durchliefen allesamt Bewertungskreisläufe, die durchaus bekannt erscheinen.
Digitale Demenz ist die moderne Lesesucht
Vor der Beschleunigung des menschlichen Körpers in einer Dampflok warnten die Pessimisten der Vergangenheit auf eine Art und Weise, die stark an die derzeitigen Warnungen vor digitaler Demenz erinnert: Das schnelle Fahren in der Eisenbahn habe schwerwiegende Folgen für das menschliche Hirn. Und nachdem die Druckerpresse dafür sorgte, dass Informationen schneller und ausführlicher als per Handschrift vervielfältigt werden konnten, war die Klage zu hören, dass nun viel zu viel Unsinn veröffentlicht würde, der bei manchen Menschen gar zu Lesesucht führen würde.
Die Marktforschungsagentur Gartner hat für diese Abläufe einen so genannten Hype-Zyklus entwickelt, der den Umgang mit Neuerungen in fünf Phasen einteilt, die wie ein von Kinderhand gezeichneter Berg aussehen, der immer wieder bezwungen werden muss, bevor eine Innovation gesellschaftlich voll akzeptiert ist. Der Aufstieg beginnt mit einem technischen Auslöser (1), der Weg führt dann über den Gipfel der überzogenen Erwartungen (2), durch ein Tal der Enttäuschungen (3) und über einen Pfad der Erleuchtung (4) zu einem Plateau der Produktivität (5). Diese fünfte Phase wäre ein schönes Ziel, um den digitalen Generationenkonflikt zu schlichten. Sie zeichnet sich durch einen pragmatischen Umgang mit dem Neuen aus, in dem der technische Auslöser so selbstverständlich genutzt wird, dass er gar nicht mehr erwähnt wird.
Man könnte zum Beispiel argumentieren, dass die gesellschaftliche Verbreitung des Kühlschranks einen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit und zur Emanzipation der Frauen geleistet habe. Dennoch käme niemand auf die Idee, deshalb mit Blick auf diejenigen, die ihn erstmals flächendeckend nutzten, von einer "Generation Kühlschrank" zu sprechen. Beim Internet hat die Gesellschaft diese Phase des Hype-Zyklus noch nicht erreicht, was man zum Beispiel daran erkennt, dass mehr darüber gesprochen wurde, auf welche Weise Rezo sein Video "Die Zerstörung der CDU" veröffentlicht hat (YouTube!) als darüber, was er inhaltlich zu kritisieren hatte. Das ist ganz so, als würde ein kritischer Zeitungskommentar vor allem mit Blick auf das verwendete Papier und die Drucktechnologie bewertet.
Auslöser für diese Rede von der digitalen Generation ist der New Yorker Autor Marc Prensky. Er nutzte im Jahr 2001 erstmals ein Begriffspaar, das die Debatte über das Internet bis heute prägt. Er verglich das Internet mit einem Kontinent, auf dem es eingeborene Menschen gibt und solche, die nur zugereist sind. "Digital Natives" wurde zu einem Generationenbegriff für diejenigen, die eine Welt ohne Internet gar nicht kennen und heute diejenigen sind, die nicht mehr so selbstverständlich ihr Kreuz auf dem Wahlzettel bei der Union oder der SPD machen wie ihre Eltern.
In Prenskys Metapher, die von Angela Merkel im Sommer 2013 mit ihrem Neuland-Zitat fortgeführt wurde, steckt aber ein Problem, das vergleichbar ist mit der schwarzen Internet-Kiste aus "IT-Crowd". Die Idee, das Internet als Kontinent zu denken, legt den Verdacht nahe, man könne sich auch dagegen entscheiden, es zu bereisen. Das war vielleicht 2001 noch so, aber diese Phase ist vorbei. Spätestens seit der Wahl scheint aber zu gelten: Wer am Internet nicht teilnimmt, nimmt nicht mehr an der Gegenwart teil.
Das Internet ist eine riesige Kopiermaschine
Leonard Kleinrock vergleicht das Internet deshalb mit Sauerstoff. Kleinrock ist US-amerikanischer Informatiker und gilt als einer der Väter des Internet. Etwas enttäuscht fügt er in einem Interview hinzu: "Allerdings fragt sich niemand, woher der Sauerstoff eigentlich kommt." Wenn man das rausfinden will, muss man zumindest kurz die Motorhaube der Maschine Internet aufklappen - und sieht dann vor allem eins: Kabel.
Denn ohne Kabel gäbe es kein Internet, auch nicht im Mobilfunk und im WLAN. Dicke Stränge, die unter den Ozeanen die Kontinente und unter den Gehsteigen die Häuser mit den zentralen Knotenpunkten verbinden, bilden die Grundlage für das Internet. Über sie werden Daten kopierend durch die Welt geschickt. Denn in erster Linie ist das Internet eine riesige Kopiermaschine, die Daten dupliziert und so verbreitet. Dies gelingt nicht über eine Verbindung, die zwischen Anfang- und Endpunkt gespannt wird, sondern über ein Netzwerk ganz unterschiedlicher Verbindungen.
Wenn zum Beispiel eine Mail von München nach Berlin geschickt werden soll, geschieht dies mit Hilfe sehr vieler kleiner Pakete, in die die Mail technisch zerlegt wird. Diese Informationspakete suchen sich jeweils unterschiedliche Wege zum Ziel und werden erst am Ende wieder zusammengefügt - und zwar völlig unabhängig von ihrem Inhalt. Das Netz behandelt alle Inhalte gleich, das Prinzip heißt Netzneutralität und ist genauso wichtig wie die Tatsache, dass das Netzwerk der Netzwerke ohne zentralen Steuerungspunkt auskommt.
Würde das Internet einen Atomangriff überstehen?
Man nennt dieses Verfahren "paketvermittelte Kommunikation" und dies ist einer der Gründe, warum sich nachhaltig das Gerücht hält, die Infrastruktur des Internet sei so konzipiert worden, dass sie einen Atomangriff übersteht. Ganz praktisch genügt jedoch schon ein zerstörtes Kabel an zentraler Stelle, um ganze Stadtteile vom Internet abzutrennen. Richtig ist hingegen, dass es durch die dezentrale Infrastruktur unmöglich ist, eine zentrale Steuereinheit und damit das ganze System auf einen Schlag lahmzulegen.
Möglich wurde dies, weil es Leonard Kleinrock und seinen Mitstreitern im Oktober 1969 gelang, eine erste Verbindung über das so genannte Arpanet herzustellen. Dieses bestand zu Beginn aus vier Rechnern, die im Stanford Research Institute, an der Universität in Utah, an der Universität in Santa Barbara und im Raum 3420 der Universität von California aufgebaut waren. Dort steht noch heute der kühlschrank-große Kasten, der rund 400 Kilogramm wiegt und damals als Mini-Computer galt. Es ist ein IMP (Interface Message Processor) vom Typ Honeywell DDP-516, der auf der Vorderseite einen Aufkleber trägt, auf dem steht: "Entwickelt für die Advanced Research Projects Agency (ARPA)". Dabei handelt es sich um eine Behörde des US-Verteidigungsministerium, die in den 1950er-Jahren als Reaktion auf die Aktivitäten der damaligen Sowjetunion im All gegründet wurde, um Forschungsaktivitäten durchzuführen. Ihr vermutlich bekanntestes Projekt basiert dabei auf dem kühlschrank-großen Mini-Computer aus Los Angeles: Das Arpanet gilt als Vorläufer dessen, was man heute das Internet nennt.
Und wenn man heute vom Internet spricht, das hat die Wahl gezeigt, spricht man häufig von der Gesellschaft. Vielleicht nähert man sich dem Thema also am besten, indem man das Netz als Spiegel der Gesellschaft betrachtet. Das bezieht sich natürlich nicht auf die selbstreferentielle Selfie-Kultur der sozialen Netzwerke, sondern vor allem darauf, dass durch das Internet gesellschaftliche Entwicklungen und Probleme sichtbar werden, die ihren Ursprung nicht in der Technologie haben, sondern im sozialen Gefüge.
Wenn man herausgefunden hat, wie man das Auto startet, fängt die Arbeit erst an
Das heißt, wenn man die Perspektive etwas ändert, kann man durch das Internet in eine Art ein Rück- oder Seitenspiegel schauen, was hilft, den Blick zu weiten. Dieser Blick zeigt Entwicklungen, die neu und vielleicht auch verstörend sind. Er scheint den Parteien der alten Bundesrepublik bisher nicht gut gelungen zu sein. Aber es ist nicht unmöglich, nochmal hinzuschauen.
Übertragen auf das bereits erwähnte Bild vom Auto, dessen Funktionsweise man kennenlernen sollte, heißt das: Wenn man herausgefunden hat, wie man das Fahrzeug startet, fängt die Arbeit erst an. Man muss einen Führerschein machen und herausfinden, wie man das Auto steuert. Das ist keine private Angelegenheit, sondern eine Frage von Vorsicht und Rücksicht im Straßenverkehr: eine gesellschaftliche Herausforderung, die sich bei jeder Fahrt neu stellt.
Das ist auf der Datenautobahn nicht anders. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen anfangen, Fahrstunden zu nehmen. Unternehmen, Organisationen und Parteien werden Phasen der digitalen Alphabetisierung erleben und irgendwann aufhören, über das Fahrzeug zu sprechen und den Blick auf die Wegstrecke lenken. Dann beginnt endlich der Streit darüber, wohin die Reise gehen soll. Das ist aber nicht schlimm, sondern schon immer der Gegenstand der Debatte zwischen Generationen.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Textes wurde irrtümlich behauptet, das Büro von Jen in der Serie IT-Crowd sei nicht im Keller. Das ist falsch.