Der Mensch ist ein soziales Wesen, das sich zunehmend isoliert. Eine landläufige Meinung, gespeist aus der wahrgenommenen allgemeinen Smartphone-Fixierung, aber auch aus statistischen Fakten wie dem kontinuierlichen prozentualen Anstieg der Single-Haushalte. Doch wie Isolation mit individuell gefühlter Einsamkeit zusammenhängt und welche Rolle Digitaltechnologie dabei konkret spielt: Diese Debatte ist weit komplexer.
Das Digitalfestival "South by Southwest" (SXSW) im März in Austin kreiste in immer neuen Podiumsgesprächen und Interviews um diese Frage. Die Debatten schwankten nicht nur zwischen deprimierenden Statements ("10 000 Follower und keine Freunde") und Heilsversprechen ("Die stille Einsamkeitsepidemie: Lösungen designen"), sie zeigten auch, dass die große Erkundung unserer gegenwärtigen Gemütswelt gerade erst beginnt.
Social Media und Demokratie:Wie würden öffentlich-rechtliche Algorithmen entscheiden?
Die Stimmung in den sozialen Medien kippt, die Menschen ziehen sich in private Chats und Gruppen zurück. Eine öffentlich-rechtliche Alternative zu Facebook und Twitter könnte für Entspannung im Netz sorgen - und zugleich eine europäische Öffentlichkeit schaffen.
In einer weltweiten Online-Umfrage für die BBC gaben 40 Prozent der 16- bis 24-Jährigen an, sich oft oder sehr oft einsam zu fühlen - mehr als in jeder anderen Altersgruppe. Die 21-jährige Gabby Frost, die seit Jahren in der Jugend-Suizidprävention aktiv ist, erinnerte auf dem SXSW an den Performance-Druck der "Generation Z": "Teenager machen sich permanent Sorgen über ihre Follower-Zahl oder wie viele Likes sie auf Instagram bekommen. Es schadet ihrer geistigen Gesundheit." Zugleich aber, so schränkte sie ein, sei Social Media die beste Möglichkeit, sich als Heranwachsender Gehör zu verschaffen, seine politische Meinung kundzutun - und sich über besagte emotionalen Folgen des ständigen Drucks mit anderen auszutauschen.
Instagram schadet der geistigen Gesundheit von Teenagern
Das Problem rührt also nicht daher, kein Teil einer Jugendbewegung sein zu dürfen; vielmehr kann Isolation ausgerechnet daraus resultieren, ständig am Informationsfluss innerhalb der eigenen Gruppe teilzuhaben: Schule und Uni sind in den eigenen vier Wänden nicht zu Ende, freundschaftliche Gespräche setzen sich auf Whatsapp und Co. nahtlos fort, aber eben auch Selbstdarstellungszwang und Mobbing. Wer nicht beliebt genug für eine Partyeinladung ist, sieht trotzdem die gut gelaunten Mitschüler in der Instagram-Story. Und Anerkennung ist durch Metriken wie Aufrufe, Likes und Interaktionen plötzlich ganz genau bezifferbar.
Die Messbarkeit der psychologischen Folgen gestaltet sich dagegen schwieriger: So ist die Zahl der US-Teenager mit diagnostizierten Depressionen zwischen 2005 und 2014 um 37 Prozentpunkte gestiegen. Was ungefähr in dieser Zeit ebenfalls massiv anstieg: Die Verbreitung von Smartphones. Doch gibt es einen Zusammenhang? Eine Meta-Studie kam jüngst zu dem Ergebnis, dass die Nutzung digitaler Technologien wirklich einen negativen Effekt auf das geistige Wohlbefinden Jugendlicher hat. Doch das galt fast im gleichen Maße für den regelmäßigen Verzehr von Kartoffeln (sic!). Die negativsten Konsequenzen folgten schlicht aus der Eigenschaft, Brillenträger zu sein. Dennoch waren sich Psychologen, Aktivisten und Designer einig in der Forderung, das Thema ernst zu nehmen - Isolation ist ein Problem des 21. Jahrhunderts, ob epidemisch oder nicht.
Doch auf dem SXSW kristallisierte sich noch mehr heraus: Noch einmal lauter als sonst ertönte aus unterschiedlichsten Ecken die Forderung nach einer humanistischen Wende in der Software-Entwicklung, und das nicht nur in Zusammenhang mit dem Thema der künstlichen Intelligenz.
Humanistische Wende in der Software-Entwicklung?
"Wir stecken Menschen in Schubladen. Programmieren wir Apps oder programmieren wir Menschen?", kritisierte zum Beispiel Aza Raskin, Mitgründer des "Center for Humane Technology", das suchtfördernde Spielautomaten-Prinzip vieler Apps. Der Designer bereut es inzwischen, 2006 den "unendlichen Scroll" erfunden zu haben - seitdem haben viele Webseiten und Apps kein Ende mehr, der Nutzer sieht, wenn er weiterscrollt, ständig neue Inhalte. Und Ex-Cyberpunk Douglas Rushkoff warnte: "Wir erkennen nicht mehr das Menschliche in der Technik, sondern nur noch die Technik im Menschen."
Diese Form der Entfremdung sieht auch der Stanford-Psychologe Jamil Zaki am Werk, der über menschliche Empathie forscht. "Für den Großteil der Menschheitsgeschichte wirkten Karma oder ihre Taten direkt, weil du es immer nur mit Anwesenden zu tun hattest", so Zaki in Anspielung auf die Stammes- und Dorfgemeinschaften der Vergangenheit. Dies habe sich durch die digitale Kommunikation, die vermittelte Abstraktheit von Konsequenzen und die Anonymität des urbanen Lebens geändert.
Für Zaki ist deshalb nicht Einsamkeit das zentrale Problem des digitalen Zeitalters, sondern der Verlust von menschlicher Empathie. Doch statt im Geiste des Technik-Determinismus den baldigen Verlust der Zwischenmenschlichkeit zu beklagen, schlug er vor, Einfühlsamkeit als erlernbare Fähigkeit zu betrachten.
Um die Annahme zu testen, gaben er und sein Team Siebtklässlern im Silicon Valley Kurse, in denen sie erklärten, was Empathie bedeutet. In einer späteren Befragung sollte die Klasse die Beliebtheit und das Einfühlungsvermögen der einzelnen Mitschüler bewerten. Das Resultat: Wer als einfühlsam galt, dem wurde auch hohe Beliebtheit attestiert. Ob die Likes auf Instagram mit diesem Ergebnis korrelierten, wurde allerdings nicht untersucht.