Industriestrompreis:Die Industrie klagt - und Habeck ist hilflos

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Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Klimakongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Doch so ganz kann er die Forderungen der Unternehmen nicht erfüllen. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die Energiepreise sind viel zu hoch, sagt die deutsche Industrie. Selbst Wirtschaftsminister Habeck muss zugeben, dass ihm die Hände gebunden sind. Das Problem: die Partner in der Bundesregierung.

Von Michael Bauchmüller

Robert Habeck sagt es nicht. Im ersten Anlauf nicht, im zweiten nicht, im dritten nicht. Um das S-Wort streicht der grüne Wirtschaftsminister wie die Katze um das Mäuseloch. Jetzt bloß nicht noch alles schlimmer machen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat zum Klimakongress geladen. Dabei soll es auch um die Schuldenbremse gehen, das gefürchtete S-Wort. Den Ton hat dessen Präsident Siegfried Russwurm schon zum Auftakt gesetzt: Es droht der Untergang. "Das Licht an immer mehr deutschen Standorten wird buchstäblich ausgeschaltet", sagt Russwurm. Standorte der energieintensiven Industrie seien "konkret" in Gefahr. "Ohne international wettbewerbsfähige Energiekosten für die Unternehmen geht das nicht gut aus." Nötig sei auch eine rasche Absenkung von Stromsteuer und Netzentgelten. Die Rede hatte der BDI schon vorab verbreitet und auf diese vorzeitige Verbreitung tags zuvor noch eigens hingewiesen - soll bloß keiner verpassen, wie bescheiden die Industrie ihre Lage sieht.

In Habeck hat die Industrie dabei sogar einen Verbündeten. Schließlich hatte der Wirtschaftsminister im Frühjahr schon einen Vorschlag unterbreitet, wie sich die Strompreise der energieintensiven Industrie deckeln lassen. "Mich müssen Sie nicht katholisch machen", sagt er bei dem Kongress in Berlin. Nur mit den Partnern in der Bundesregierung sieht das schwieriger aus. Finanzminister Christian Lindner von der FDP hält die Hand fest auf dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds, mit dessen übrig gebliebenen Milliarden Euro Habeck gerne seinen "Brückenstrompreis" finanzieren würde. Und der Kanzler und einstige Finanzminister Olaf Scholz hat schon vor Wochen durchblicken lassen, dass ihm weder an einer Dauersubvention, noch an einer Hilfe per Gießkanne gelegen ist. Seitdem schweigt er zu dem Thema.

Derweil bildet Habeck wahre Wortungetüme, um den Preisdeckel irgendwie zu rechtfertigen. Es müsse klar werden, dass es letztlich ein "Industriearbeiterinnen- und -arbeiterstrompreis" ist, sagt er, ein "Industriestandortstrompreis". Mehr noch, am Ende gehe es um einen "Industriegesellschaftsstrompreis". Von den Partnern in der Bundesregierung hört man an diesem Dienstag nichts zum Thema.

Wenn aber das Geld fehlt, weil keine Steuern erhöht werden sollen, wenn zugleich staatliche Fonds nicht angetastet werden sollen oder, wie der Klima- und Transformationsfonds, schon jetzt x-fach überzeichnet sind, dann bleibt nur zusätzliche Verschuldung. Und das wiederum geht nur über jene Operation, die Habeck zwar an-, aber nicht ausspricht: die Lockerung der Schuldenbremse. "Die Frage, die jetzt im Raum steht, ist: Passen eigentlich die finanzpolitischen Regeln, die wir uns gegeben haben, zu den Anforderungen, die wir in dieser Zeit bestehen müssen", sagt er. "Ich lass' mal diese Frage im Raume verhallen."

Die letzte Silbe ist noch nicht verklungen, da legt er noch nach. Alle Annahmen, auf denen bisher Lebensgefühl und Sicherheit in Deutschland beruht hätten, seien erschüttert: günstiges russisches Gas, ein riesiger Exportmarkt in China, die schützende Hand der USA. "Ob die Regeln, die wir uns unter diesen drei Annahmen gegeben haben, dieselben sein können, ist zumindest eine relevante Frage." Selten hat jemand so hartnäckig eine Regel infrage gestellt, ohne sie auch nur einmal explizit zu erwähnen. Die Schuldenbremse schwingt in jedem Halbsatz mit.

Ohne Entlastung drohe eine "schleichende Abwanderung", befürchten manche

Von der Industrie erntet er keinen Widerspruch. "Ich würde gerne die 2030er Jahre erleben", sagt etwa Christian Hartel, Vorstandschef des bayerischen Chemiekonzerns Wacker. "Auch wir müssen uns nicht nur der Frage stellen, kann ich noch expandieren, sondern auch, kann ich am Standort Deutschland bleiben." Doppelt so hohe Energiekosten könne man vielleicht noch wegstecken. Aber bei Faktor 3 bis 5 werde es eng.

Schon vorige Woche hatten sich auch die Gewerkschaften zu Wort gemeldet, unter anderem mit einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Diese plädierte für eine Fortsetzung und Ausweitung der bisherigen Strompreisbremse. Am Dienstag wird diese Allianz noch fester: Da verbreiten BDI und Deutscher Gewerkschaftsbund eine gemeinsame Erklärung zum Thema Strompreise. Russwurm fordert darin eine schnelle Entlastung, andernfalls drohe eine "schleichende Abwanderung". Und DGB-Chefin Yasmin Fahimi erklärt "wettbewerbsfähige Strompreise" zur Bedingung für den Abschied von fossiler Energie. "Ohne diese gibt es auch keinen Klimaschutz."

Wie gut die Chancen für eine Entlastung stünden, wird Habeck noch gefragt. Seine Antwort: "Fifty-fifty". Das sei aber aus Sicht der Industrie sogar eine gute Nachricht. Es habe Zeiten gegeben, da habe die Wahrscheinlichkeit bei 10:90 gelegen.

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