Kritik an Grundrente:"Rentenpolitik mit der Gießkanne"

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Dem Koalitionsvertrag zufolge soll die neue Grundrente ein Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs garantieren. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)
  • Das Konzept für die Grundrente liegt vor: Demnach sollen ehemalige Geringverdiener bis zu 447 Euro mehr bekommen.
  • Die Bedingung: 35 Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung. Kindererziehungs- und Pflegezeiten sollen angerechnet werden.
  • Die Union lehnt das Konzept ab: Es entspreche nicht dem Koalitionsvertrag und verteile das Geld "mit der Gießkanne". Auch aus der FDP kommt Kritik.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Renten von bis zu vier Millionen Geringverdienern spürbar steigern. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, soll im Alter mehr Geld bekommen als jemand, der das nicht getan hat. Für die von der großen Koalition vereinbarte Grundrente hat der Arbeitsminister nun ein Konzept vorgelegt. Der Aufschlag solle maximal 447 Euro pro Monat betragen, sagte Heil der Bild am Sonntag. Der Höchstbetrag wird demnach Menschen gewährt, denen lebenslang nur Mindestlohn gezahlt wurde. Das Projekt soll aus Steuern finanziert werden.

Das Vorhaben ist im Koalitionsvertrag der großen Koalition enthalten. Demnach soll die neue Grundrente ein Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs garantieren und an all jene ausgezahlt werden, die 35 Jahre mit Beitragszahlung, Kindererziehung oder Pflegetätigkeit aufweisen. Vom vereinbarten Konzept weicht Heil jedoch in einem wichtigen Punkt ab: Er lehnt eine Bedürftigkeitsprüfung als Bedingung für die Grundrente ab.

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Das Konzept von Hubertus Heil ist ein wichtiges, ja: ein wunderbares Vorhaben. Eine Bedürftigkeitsprüfung wäre rentenwidrig. Sie würde Millionen von Rentnern zu Fürsorgeempfängern machen.

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Die Finanzierung aus Steuermitteln und die Tatsache, dass es keine Bedürftigkeitsprüfung geben soll, kritisiert der Koalitionspartner CDU scharf. Die Union machte umgehend deutlich, dass sie das Konzept in der vorliegenden Form nicht mittrage. Der CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg sagte Bild, er hoffe nur, dass Heil seinen Vorschlag mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) abgesprochen habe - "und dieser ihm vier bis sechs Milliarden jährlich zur Verfügung stellt". Steuererhöhungen und neue Schulden seien dafür "jedenfalls nicht zu machen". CSU-Experte Stephan Stracke warnte vor einer "Rentenpolitik mit der Gießkanne". Ähnlich äußerte sich auch der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Peter Weiß. "Was Hubertus Heil vorlegt, entspricht nicht dem Koalitionsvertrag." Die Union wolle "ein differenziertes System, das am tatsächlichen Bedarf ansetzt und dann die Rente aufstockt". Es solle über die Rentenversicherung erfolgen und sei finanzierbar.

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer wies den Rentenplan in der Bild-Zeitung als "unfair und populistisch" zurück. Statt gezielt etwas gegen Altersarmut zu tun, wolle Heil "riesige Ausgaben zu Lasten der Allgemeinheit machen, ohne dass der, der gearbeitet und vorgesorgt hat, mehr hat als derjenige, der das nicht getan hat".

Unterstützung für Heils Konzept kam dagegen vom CDU-Sozialflügel. Der Vizechef der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, sagte dem Handelsblatt: "Das Konzept ist leistungsorientiert, da es an den erworbenen Rentenansprüchen anknüpft." Auch die Steuerfinanzierung hält der CDU-Politiker für den richtigen Ansatz. "Die Vermeidung von Altersarmut ist eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft solidarisch tragen soll", sagte Bäumler. "Da müssen auch Spitzenverdiener ran. Deshalb ist die Steuerfinanzierung richtig."

Auch der DGB begrüßte Heils Pläne: "Wer ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, muss im Alter mehr haben als die Grundsicherung", sagte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Der Sozialverband VdK lobte die Aufwertung niedriger Renten, kritisierte jedoch die "starren Zugangsvoraussetzungen". Einen "Schritt in die richtige Richtung" nannte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, das Konzept. Allerdings bleibe es "auf halben Weg hin zu einer armutsfesten solidarischen Mindestrente von 1050 Euro stehen".

Heil räumte ein, dass seine Pläne einen finanziellen Kraftakt bedeuten würden. Zu rechnen sei mit einem mittleren einstelligen Milliardenbetrag pro Jahr. "Aber den muss die Gesellschaft aus Respekt vor harter Arbeit schaffen." Als Beispiel nannte Heil eine Friseurin, die 40 Jahre lang auf Mindestlohnbasis gearbeitet hat und nun nur 514 Euro Rente bekommt. "Das finde ich respektlos und unwürdig", sagte Heil der Bild am Sonntag. Durch sein Modell der Grundrente könne die Friseurin künftig mit 961 Euro Rente im Monat rechnen.

Einzige Bedingung für die Grundrente sind laut Heil 35 Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung. Kindererziehungs- und Pflegezeiten würden angerechnet, ebenso Beschäftigungsjahre in Teilzeit. Die Grundrente solle nicht nur für Neu-Rentner gelten, sondern auch für bisherige Rentner. Drei bis vier Millionen ehemalige Geringverdiener sollen davon profitieren.

Heil verteidigte zudem die Entscheidung gegen eine Bedürftigkeitsprüfung. "Ich fände es respektlos, wenn wir diese Menschen nach einem Arbeitsleben zwingen würden, beim Amt ihre Vermögensverhältnisse darzulegen", sagt der SPD-Politiker. Stattdessen soll die Grundrente über die Rentenversicherung geklärt werden.

Bei einer derartigen Berechnung wäre es unerheblich, ob der Rentner geerbt hat, im eigenen Haus lebt und was der Ehepartner verdient. "Hat jemand mit niedrigem Einkommen mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt, werden seine Rentenpunkte automatisch hochgestuft", sagt Heil. Die Grundrente soll nach den Plänen des Ministers spätestens zum 1. Januar 2021 in Kraft treten.

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