Gleichstellung:Frauen verlassen Vorstand schneller als Männer

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Vier von fünf Frauen, die 2023 einen Dax-Vorstand verließen, hatten ihren Posten nur drei Jahre oder weniger inne. (Foto: Imago/Funke Foto Services)

Während Männer am Chefsessel kleben, wird er für Frauen zum Schleudersitz - das legt eine neue Studie nahe. Doch so eindeutig ist das Ganze nicht.

Von Kerstin Bund

Das neue Jahr hat eigentlich gut begonnen für die Frauen: Bei der Allianz sitzen seit Januar gleich vier Damen im Vorstand, so viele wie in keinem anderen Dax-Konzern. Mit der neuen Finanzchefin Claire-Marie Coste-Lepoutre stieg der Frauenanteil im obersten Führungsgremium des Münchner Traditionskonzerns auf 44 Prozent. Und auch in anderen Unternehmen tut sich was in Sachen Gleichstellung der Geschlechter: Die Dax-Größen Siemens Healthineers, Beiersdorf, Merck und Zalando haben ihren Vorstand inzwischen fast paritätisch besetzt.

Selbst die größte deutsche Gewerkschaft, deren Mitglieder zu 80 Prozent Männer sind, hat nun eine Chefin: Seit Oktober führt Christiane Benner als erste Frau die mächtige IG Metall. Man kann sagen, dass die Führungsriege der deutschen Wirtschaft noch nie so weiblich war wie heute.

Doch damit enden die guten Nachrichten auch schon. Denn die Dynamik bei der Berufung von Frauen in den Vorständen deutscher Unternehmen hat zuletzt nachgelassen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Personalberatung Russell Reynolds Associates. Demnach übertraf die Zahl der ausgeschiedenen Vorstandsfrauen im Leitindex der 40 größten börsennotierten Konzerne Deutschlands zuletzt die Zahl der Neubesetzungen. Neun Top-Frauen schieden 2023 aus dem Amt aus, aber nur acht wurden neu in die obersten Führungsgremien berufen. Erschreckender noch: Laut der Analyse der Personalberater geben Frauen fünfmal häufiger als Männer ihren Posten innerhalb der ersten drei Jahre wieder ab.

Vier von fünf Frauen, die 2023 einen Dax-Vorstand verließen, hatten ihren Posten demnach nur drei Jahre oder weniger inne. Bei den ausgeschiedenen Männern traf das nur auf jeden siebten zu. Während die Vorstände auf eine durchschnittliche Amtszeit von fast acht Jahren kamen, schafften die Vorständinnen im Schnitt nur knapp drei Jahre. Man könnte meinen: Während Männer am Chefsessel kleben, wird er für Frauen zum Schleudersitz.

Doch ganz so eindeutig ist die Sache nicht, denn wirklich aussagekräftig sind die Zahlen nicht. Zum einen handelt es sich um eine sehr kleine Stichprobe (lediglich neun Frauen und 31 Männer schieden 2023 aus Dax-Vorständen aus), die keine repräsentativen Schlüsse zulässt. Außerdem lässt sich die relativ kurze Amtszeit von Frauen auch damit erklären, dass Top-Managerinnen derzeit sehr begehrt sind. Weil Unternehmen Frauen im Vorstand haben wollen, können die sich die Jobs häufig aussuchen. Die ein oder andere mag deshalb eher bereit sein, den Posten zu wechseln, wenn es ein besseres Angebot gibt. Männliche Manager sind im Vergleich weniger gefragt.

Eines aber steht fest: Die Fluktuation in den Vorständen war - unabhängig vom Geschlecht - im vergangenen Jahr überdurchschnittlich hoch. Das belegt auch eine Studie der deutsch-schwedischen Allbright Stiftung vom Herbst 2023: Demnach haben zwischen September 2022 und September 2023 insgesamt 19 Frauen und 106 Männer aus unterschiedlichen Gründen ihr Vorstandsmandat wieder abgegeben. Das ist eine ungewöhnlich hohe Zahl, die belegt, dass die Verweildauer in Top-Jobs insgesamt sinkt.

Der Schwung bei der Berufung von Frauen in Top-Positionen nimmt ab

Betrachtet man die durchschnittliche Amtszeit von Männern und Frauen über einen längeren Zeitraum, stellt man fest, dass Frauen sogar etwas sicherer auf ihren Chefstühlen sitzen als ihre männlichen Kollegen. Laut der Allbright-Studie haben in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt nur 14 Prozent der Frauen, aber 16 Prozent der Männer im Verlaufe eines Jahres die Vorstände wieder verlassen.

Zweifelsohne hat der Schwung bei der Berufung von Frauen in Top-Positionen aber nachgelassen: Nachdem es in den Jahren 2021 und 2022 die historisch größten Steigerungen beim Frauenanteil in Dax- Vorständen gab, pendelte er sich zuletzt bei rund 23 Prozent ein.

Das hat auch mit einem Gesetz zu tun, das einen sperrigen Namen trägt - Zweites Führungspositionen-Gesetz -, aber ein simples Ziel verfolgt: mehr Frauen in die Vorstände bringen. Es regelt, dass börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit vier oder mehr Vorständen mindestens eine Frau ins Team holen müssen. Das Gesetz trat im August 2022 in Kraft. Im Halbjahr davor fiel ein Drittel (33 Prozent) aller neu zu besetzenden Vorstandsposten an eine Frau. In den sechs Monaten nach Inkrafttreten gingen sogar fast zwei Drittel (64 Prozent) aller Dax-Vorstandsposten an Frauen. Im Jahr 2023 ist der Anteil weiblicher Neubesetzungen jedoch auf 22 Prozent gefallen.

"Wir beobachten in den Vorständen eine vergleichbare Entwicklung wie seinerzeit in den Aufsichtsräten: Mit der Erfüllung der Quote findet der positive Trend ein Ende", sagt Jens-Thomas Pietralla von Russell Reynolds Associates. Er sieht darin "einen Rückschlag für die Bemühungen um mehr Diversität in den Vorstandsgremien". Daran dürften auch die prominenten Neuzugänge der jüngsten Zeit nichts ändern.

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