Inflation:US-Notenbank verzichtet auf weitere Leitzinserhöhung

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EZB in Frankfurt am Main: Die Währungshüter entscheiden im September wieder über den Zinssatz. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Weil die US-Bürger trotz Inflation viel kaufen und manche Firmen sich bereichern, sind die Leitsätze womöglich schon jetzt höher als nötig. Leidtragende, warnt Ökonomin Monika Schnitzer, sind die Ärmeren.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Wer dieser Tage einen kundigen Menschen fragt, warum die Verbraucherpreise in Europa und den USA trotz aller Leitzinserhöhungen der Notenbanken immer noch so stark steigen, erhält oft keine wirklich befriedigende Antwort. Von möglichen "Zweitrundeneffekten" ist dann die Rede, von hohen Lohnabschlüssen, profitgierigen Unternehmen und gestiegenen Inflationserwartungen der Bürger.

Eine mögliche Erklärung hingegen spielte bislang kaum eine Rolle: der Verdacht nämlich, dass vor allem Besserverdiener, aber auch so manche Bezieher von Durchschnittseinkommen die hohen Preise zwar beklagen, sie aber letztlich doch bezahlen, statt ihren Konsum einzuschränken. Dafür spricht unter anderem die hohe Nachfrage etwa nach teuren Urlaubsflügen und Markenprodukten. Oder anders gesagt: Vielleicht laufen die Gegenmaßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der US-amerikanischen Federal Reserve (Fed) ein Stück weit ins Leere, weil viele Bürgerinnen und Bürger weiter mehr Geld ausgeben als das die meisten Experten angesichts der deutlich schlechteren Kreditkonditionen prognostiziert hatten.

Mit derlei Fragen sah sich am Mittwoch auch die Fed konfrontiert, deren zinspolitischer Ausschuss zu seiner turnusmäßige Sitzung in Washington zusammenkam. Notenbankchef Jerome Powell und seine Mitstreiter haben ihren wichtigsten Leitzins, die sogenannte Tagesgeldzielspanne, seit März vergangenen Jahres zehn Mal in Folge von praktisch null auf mittlerweile 5,0 bis 5,25 Prozent angehoben. Die Inflationsrate ist seither von zeitweise 9,1 auf 4,9 Prozent gesunken - es ist also nicht nichts passiert. Allerdings liegt der Wert immer noch deutlich über dem Zielmarke der Währungshüter von rund zwei Prozent.

Die Fed hatte die Zinsen zuvor zehn Mal in Folge auf über fünf Prozent angehoben

Dennoch beschloss der Ausschuss am Mittwoch, erstmals seit 15 Monaten eine Zinspause einzulegen. Begründung: Eine Erhöhung der Leitsätze kommt immer erst mit einer Verzögerung von sechs bis neun Monaten im Wirtschaftsleben an, und man will sich nicht nachsagen lassen, die Zügel unnötig stark gestrafft und damit einen eigentlich vermeidbaren Konjunkturabsturz ausgelöst zu haben. Schon jetzt hinterließen die bisherigen Zinsschritte bei den Unternehmen und den privaten Haushalten Spuren, erklärte die Notenbank.

Der Verzicht auf eine weitere Anhebung bedeutet allerdings nicht notwendigerweise, dass der Höhepunkt der Zinsentwicklung erreicht ist. Fachleute halten es im Gegenteil für denkbar, dass die Fed beim letzten Treffen vor der Sommerpause Ende Juli noch einmal einen Viertelprozentpunkt auf dann 5,25 bis 5,5 Prozent draufsattelt - ein Schritt, der auch aus Sicht von Monika Schnitzer angemessen wäre: "Es ist richtig, die Leitzinsen noch ein Stück weiter anzuheben", sagt die Vorsitzende des deutschen Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Letztlich ist das das einzige Mittel, das wir haben, um die Inflation in den Griff zu bekommen - selbst dann, wenn die Preissteigerungen nicht durch eine überhitzte Wirtschaft und eine überbordende Nachfrage ausgelöst wurden."

Was aber ist nun mit dem Konsumverhalten der Menschen? Eine Untersuchung der New York Times förderte jüngst zutage, dass vor allem US-Markenanbieter ihre Preise weiter erhöhen, obwohl der Kostenanstieg für sie längst gebremst ist und man meinen könnte, dass die Kunden in Scharen zu billigeren No-Name-Produkten wechseln. Genau das aber tun sie ganz offensichtlich nicht, wie die Absatzzahlen und Quartalsergebnisse von Firmen wie PepsiCo (Soft- und Energydrinks), Colgate-Palmolive (Zahnpasta, Seife), Royal Carribean (Kreuzfahrten) und anderen zeigen. Die Gewinnmargen vieler Firmen sind nämlich trotz teils deutlich höherer Produktionskosten nicht etwa gesunken, sondern stabil geblieben oder gar gestiegen.

Die Signalwirkung der Preise funktioniert nicht mehr, sagt Schnitzer

Ein Motiv für das wenig flexible Kaufverhalten der Konsumenten ist mutmaßlich, dass viele Menschen während der Ausgeh- und Reiseverbote der Corona-Zeit Geld gespart haben, das sie nun ausgeben wollen. Ökonomin Schnitzer kennt aber noch einen weiteren Grund: "Die gegenwärtige Situation zeigt sehr deutlich, warum Inflation ein so großes Problem ist: Die Signalwirkung der Preise funktioniert nicht mehr", so die Ratsvorsitzende, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München unterrichtet. "Normalerweise geht ein Kunde einfach einen Laden weiter, wenn er das Gefühl hat, der Besitzer des ersten Geschäfts will ihn ausnehmen." Im Moment aber könne ein Unternehmen die Preise oft problemlos anheben, weil es mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen dürfe, dass es der Konkurrent nebenan auch tut. "Der Kunde kann da kaum noch beurteilen, ob ein Produkt deshalb so teuer ist, weil die Herstellungskosten stark gestiegen sind oder weil sich der Ladeninhaber bereichern will", so Schnitzer. "Das einzige, was dagegen hilft, ist ein funktionierender Wettbewerb."

Während sich Besserverdiener die Preisintransparenz zumindest finanziell leisten können, laufen die Fed und auch die EZB Gefahr, ausgerechnet die Nöte sozial schwächerer Bevölkerungsschichten noch zu vergrößern. "Wenn die Preise für Markenprodukte künstlich hochgehalten werden, dann sind es ja tendenziell erst einmal die besser Betuchten, die geschröpft werden", sagt die Chefin der sogenannten Wirtschaftsweisen. "Dennoch könnten am Ende auch die Geringverdiener betroffen sein: Dann nämlich, wenn die Notenbank die Leitzinsen wegen der Markenwaren-Inflation stärker erhöhen oder länger hochhalten muss als eigentlich notwendig und sich das negativ auf die Konjunktur und den Arbeitsmarkt auswirkt."

Bleibt die Frage, wie viel der Profithunger vieler Firmen zum Inflationsproblem beiträgt. Für eine wissenschaftliche Studie dazu ist es noch zu früh - und Schnitzer ist sicher, dass "Gierflation" längst nicht der einzige Preistreiber ist. Umgekehrt sage aber auch alle Erfahrung: "Natürlich gibt es das Phänomen. Es wäre doch überraschend, wenn kein einziges Unternehmen die gegenwärtige Situation für sich ausnutzen würde."

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